In Luzern und Davos geben ehemals geförderte Musiker ihre Erfahrungen an Jüngere weiter. Die beiden Festivals sehen Alumni-Netzwerke als zukunftsträchtige Ressource.
Beim Lucerne Festival stehen die Zeichen auf Veränderung. Ab 2020 fallen die beiden kleineren Ableger zu Ostern und im Herbst weg. Wie geht es jetzt am Vierwaldstättersee weiter? Intendant Michael Haefliger will sich nach eigenen Worten darauf konzentrieren, das Profil der einmonatigen Sommerausgabe weiter zu schärfen. Neben dem 2003 gemeinsam mit Claudio Abbado ins Leben gerufenen Lucerne Festival Orchestra soll auch die ein Jahr darauf mit Pierre Boulez gegründete Festivalakademie für zeitgenössische Musik stärker in den Fokus rücken. Junge Instrumentalisten, Dirigenten und Komponisten finden dort eine international vielbeachtete Plattform. Auch ehemalige Akademisten werden seit einigen Jahren in Projekte eingebunden und musizieren in unterschiedlichen Formationen. Haefliger will diese Arbeit jetzt sichtbarer machen. Erstmals leitet in diesem Jahr Abbados Nachfolger Riccardo Chailly zwei Alumni-Orchesterkonzerte in Luzern und Hamburg. Beim Davos Festival in Graubünden, das 1986 auf Initiative von Haefliger gegründet wurde, bildet die Arbeit mit jungen Künstlern von Beginn an den Hauptschwerpunkt. Dies verrät bereits der Namenszusatz „Young artists in concert“. Auch in Davos steht die Expertise Ehemaliger hoch im Kurs. In seiner ersten und letzten Festivalausgabe hat Intendant Oliver Schnyder in diesem Sommer neben neuen Workshops für Very Young Artists im Alter zwischen neun und 17 Jahren auch ein Mentorenprogramm mit jungen Künstlern eingeführt, die beruflich schon ein Stück weitergekommen sind.
Für das Lucerne Festival zählen Nachwuchsprojekte zu den eigenen Ressourcen, die bei der anstehenden Neuausrichtung genutzt werden sollen. Die überraschende Nachricht von der Streichung des 1988 gegründeten Oster-Festivals und des ein Jahrzehnt später hinzugekommenen Piano-Festivals sorgte im Frühjahr zunächst für Spekulationen bezüglich der künftigen Finanzierung des Festivals. Haefliger stellte rasch klar, dass nicht etwa mangelnder Zuspruch des Publikums zu der öffentlich heftig kritisierten Entscheidung geführt habe. Im Gegenteil, denn die Auslastung sei in beiden Sparten hoch gewesen. Zugleich räumte er allerdings Defizite bei der inhaltlichen Entwicklung der Festivalableger ein. Eine Reihe hochkarätiger Namen zu präsentieren, genügt offensichtlich nicht, um sich von der internationalen Konkurrenz, etwa den Oster- und Pfingstfestspielen in Salzburg, abzuheben.
Wie Haefliger dann kurz vor Start des Sommerfestivals unter dem Oberthema „Macht“ erklärte, sind die Planungen für die Zukunft noch nicht abgeschlossen. Einen neuen Akzent setzt aber bereits in diesem Jahr ein Alumni-Orchester, das Anfang September unter Leitung von Chailly im KKL und in der Elbphilharmonie in Hamburg Werke von Aleksandr Mossolow, Bruno Maderna, Arnold Schönberg und Wolfgang Rihm spielt. Als Solisten treten der Flötist Jacques Zoon und Lucas Macías Navarro auf, beide langjährige Mitglieder des seit 2016 von Chailly geleiteten Festivalorchesters.
„Mit der Akademie haben wir eine einzigartige Weiterbildungsplattform im Bereich der zeitgenössischen Musik geschaffen. Das Alumni-Netzwerk aus Musikern, Dirigenten und Komponisten ist über einen längeren Zeitraum gewachsen“, sagte Haefliger im Gespräch mit der nmz. „Von den bisher mehr als 1.200 Ehemaligen haben viele Interesse daran gezeigt, sich weiterhin in die Arbeit einzubringen. In den letzten sechs Jahren haben immer wieder gezielt Alumni-Projekte stattgefunden. Diese wollen wir in der Zukunft als festen Bestandteil des Festivals weiterführen.“
Ehemalige Akademisten präsentierten zuerst 2013/14 vier Uraufführungen in New York, London, Peking, Zürich und Luzern. Im Rahmen des Festivals treten sie auch in Konzerten der Reihe „40min“ auf, die am frühen Abend bei freiem Eintritt stattfinden. Außerdem beteiligen sie sich an Produktionen des Education-Programms „Young“ und beraten Teilnehmer der Academy. 45 Alumni sind in diesem Sommer in Luzern zu erleben, darunter auch das Jack Quartett und das Mivos Quartett, das Werke von „composer-in-residence“ Thomas Kessler aufführt. Beide Formationen spielen außerdem Stücke junger Komponisten, die in einem von Wolfgang Rihm geleiteten Seminar entstehen, wo auch mit den Gastdozenten Thomas Kessler, George Benjamin und Dieter Ammann diskutiert werden kann.
Ammann kam zuvor bereits zum Davos Festival, wo das mehrfach bei Wettbewerben ausgezeichnete Trio Sora zur Eröffnung Anfang August sein Stück „Après le silence“ spielte. In diesem Jahr steht das Festival in dem Höhenkurort, der seine Berühmtheit nicht zuletzt Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ verdankt, unter dem Motto „Einschnitt!“. Auch weltbekannte Künstler wie der Pianist András Schiff treten dort gemeinsam mit den Jungen auf. In erster Linie gehört die Bühne allerdings dem Nachwuchs, der jeden Sommer zwei Wochen lang Gelegenheit hat, in Kammermusikensembles sein Können öffentlich vorzustellen. „Ich kenne kein anderes Festival, das sich wie wir auf diese Young Artists konzentriert. Das Publikum kann bei uns junge Künstler kennenlernen, von denen man bald mehr hören wird“, sagt der Pianist Oliver Schnyder, der die Festivalleitung von dem Klarinettisten Reto Bieri übernommen hat. Da sich dieses Amt letztlich aber unvereinbar mit Schnyders internationaler Solistentätigkeit erwiesen hat, tritt der Dirigent und Organist Marco Amherd schon im nächsten Jahr die Nachfolge an.
Schnyder hofft dennoch, die Mentorenidee längerfristig im Festivalkonzept verankern zu können. „Statt der klassischen Meisterkurse bieten wir dem Nachwuchs ein gemeinsames Musizieren mit jungen Künstlern, die schon wichtige berufliche Erfahrungen gesammelt haben.“ Ähnliche Mentorenprogramme hatte der Pianist kennengelernt, als er in den USA bei Leon Fleisher studierte. „Es können viel mehr Synergien genutzt werden, wenn die Mentoren der Young Artists fast noch derselben Generation angehören. Auch ich habe mich früher weniger mit den Älteren und Arrivierten gemessen. Bei uns in Davos sind die Hierarchien flach, die Mentoren spielen auch selbst. Sie sind also gefordert, ihr Können zu zeigen und müssen ihre Position rechtfertigen.“
Neben den Mentoren und den Young Artists, die vom Festival eingeladen werden und eine kleine Gage erhalten, gibt es die Akademisten, die sich selbst bewerben und denen Kost und Logis gestellt wird. In diesem Jahr wurden 22 von ihnen aufgenommen. Erstmals waren jetzt außerdem Very Young Artists dabei, die teils noch im Kindesalter sind. Das Programm leitete die mit Schnyder verheiratete Geigerin und Musikpädagogin Fränzi Frick, die unter anderem an der Zürcher Hochschule der Künste unterrichtet. „Von den ganz Jungen erwarten wir keine Spitzenleistungen“, meint der Intendant. „Sie sollen hier Gelegenheit erhalten, sich im Austausch mit Vorbildern zu entwickeln. Ich hoffe, dass diese Chance rege genutzt wird.“
Young Artists, Akademisten und Very Young Artists spielten während des Festivals auch 20-minütige Kurzkonzerte auf offenen Bühnen im Bahnhof Davos Platz und im Kaffeehaus. „Wir möchten ein Festival mit offenen Türen sein“, sagt Schnyder. „Der unmittelbare Kontakt zwischen Künstlern und Publikum hilft dabei, Schwellenängste vor Konzertbesuchen abzubauen. Wir können hier Musik ausprobieren, die man nicht alle Tage in den großen Konzertsälen hören kann. Diese künstlerische Freiheit ist ein großer Luxus.“