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Durchaus auch mal jazzig: die rechte Hälfte des Ensembles „LUX:NM“

Durchaus auch mal jazzig: die rechte Hälfte des Ensembles „LUX:NM“

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Vielfältiger Eigensinn, Spiel der Empfindungen

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Das Festival Ultraschall Berlin 2025 auf der Suche nach neuen Herausforderungen des Spielens und Hörens
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Ein fünftägiges Festival wie „Ultraschall Berlin“ mit 12 Konzerten bringt zahlreiche Varianten musikalischer Kreativität im Rahmen von „neuer Musik“ in einen Wettbewerb um die Gunst des Publikums, aber davor stehen als Wächter des Konzertpalastes die Kuratoren. Da das jährlich in den eisigen Januartagen stattfindende Festival von den beiden Kulturradiosendern Deutschlandfunk Kultur und radio3 vom rbb veranstaltet wird, tragen auch zwei Redakteure die Verantwortung für die Auswahl an Werken und Ensembles, aber nicht gemeinsam, sondern, in höflicher Absprache zwar, einzeln. Und was ihnen „neue Musik“ jeweils bedeutet, bildet einen Halbkreis, mit einigen Überschneidungen und schmerzlichen Lücken. „Neu“ sollte aber bedeuten, dass neue Herausforderungen des Musizierens und Hörens zu bewältigen sind und vorhandene Maßstäbe mehr oder weniger versagen. Immer besser zu scheitern ist also viel mehr wert, als rundherum zu gelingen. 

 

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So ein gleichermaßen gelungenes Konzert in den gut erkundeten Gewässern expressiver Chromatik war zur Eröffnung, zusammengestellt von Andreas Göbel (rbb), der Abend mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin, kundig dirigiert von Anna Skryleva. Mitreißend einerseits zum Beispiel das brillant komponierte „Dreydl“, von der Siemens-Musikpreis-Trägerin Olga Neuwirth, welches einen fröhlichen Abend im Rahmen des jüdischen Lichterfestes Chanukka nachzeichnete, gleichzeitig aber peinlich, da unüberhörbar eine Überschreibung von Ravels „Bolero“. Auch die anderen Stücke des Abends basierten auf nacherzählbaren Inspirationen. Interessant, dass Younghi Pagh-Paan über ihr Orchesterstück „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ selber gesagt haben soll, dass es ihr weniger um die biblische Szene als um die musikalischen Empfindungen gehe, und tatsächlich, der Balanceakt auf der Grenze zwischen grauer Atonalität und sanft aufschimmernden Harmonien war ein solches Spiel der Empfindungen. Warum sollte ein Publikum nicht allein durchs Hören wahrnehmen, was es jeweils zu hören gibt?

Damit befasste sich ein Podiumsgespräch mit DLF-K-Kurator Pöllmann und seiner Kollegin Lucia Ronchetti, Leiterin der letzten vier Musikbiennalen in Venedig. Formuliert wurde der Gegensatz zwischen engagierter, also gegenständlicher, auch politischer Musik und absoluter Musik, welche nicht in Analogie zu Sprache und Sozialem, sondern völlig frei davon alles erforscht, was in der Welt der Musik der Fall ist. Beides wurde von den komponierenden Antipoden Iris ter Schiphorst und Marton Illés jeweils entschlossen verteidigt. Sie kamen auch im Konzertprogramm zu Wort, ter Schiphorst mit einer ausgreifenden turbulenten Märchen-Musik-Collage „Was wird hier eigentlich gespielt“ zum Thema „Eigensinn“ mit dem großen Ascolta-Ensemble, Illés mit zwei hochabstrakten rein musikalischen Werken, darunter ein Spiel mit Strukturen und Klängen: „Ljubljana24“, ein Stück für 24 Streicher, das nur aus glissandierenden Bewegungen nicht fixierter Tonhöhen, Flageolettkaskaden und pizzicato-Schauern bestand. 

Die Suche nach einem neuen Musizieren muss also am klassischen Orches­ter nicht haltmachen, hier dem Rundfunk Sinfonie-Orchester Berlin, das unter dem Kuratorium von Rainer Pöllmann für Deutschlandfunk Kultur die härteren Nüsse zu knacken hatte. Hier war ein Dirigent am Werk, der in der neuen Musik lebt: Enno Poppe. Nicht ohne erheblichen körperlichen Einsatz blieb er bei den heikelsten atmosphärischen Klangkatastrophen ganz bei den Spielern, schwungvoll, in einer Partnerschaft auf Augen­höhe! Offen für alle Mittel ist Enno Poppe auch als Komponist. Das Ensemble recherche musizierte mit leichten Händen das improvisatorisch wirkende­ Variationenwerk „Laub“; einfache Musik, gleichwohl ein Sturz in die Fremdheit.

Ein Kurator hat wenig Arbeit, wenn er Neue-Musik-Ensembles engagiert, die die Neugier der Komponierenden ganz naturgemäß teilen und immer bereit sind, ihre eigenen Grenzen zu durchbrechen. Das Ensemble LUX:NM breitet mit seiner Besetzung aus Bläsern, Klavier, Schlagzeug, Akkordeon, Geige und Cello die Arme weit aus. Niemals in 15 Jahren hätten sie, so die Saxophonistin Ruth Velten im Interview auf der Bühne, ein verabredetes Werk zurückgewiesen, sondern immer versucht, das Beste daraus zu machen – denn die Komponierenden sind Partner in der Entdeckung neuer Musizierformen, nicht Tyrannen! Der starken Bläserbesetzung entsprechend kann es durchaus jazzig hergehen – in Leopold Hurts „Preparations for a fall“ –, aber auch naturhaft, wie in Séverine Ballons Raum-Klangwerk „Espace imaginaire, forets“. 

„neue [sic] Musik“ kann und soll vieles heißen. Um die Vielfalt zu steigern, in dem kleinen Festival wenigstens ein exorbitales Angebot zu machen, wurde auch „Pony Says“ (E-Gitarre, Keyboard, Schlagzeug) engagiert. Diese Rockband hat Komponisten beauftragt, dem eigentlich von Improvisation dominierten Aktionsradius Strukturen zu schaffen, und so gab es vier völlig unterschiedliche Stücke: Verschmelzungen von Komposition und hartem Elektrorock, die einen halb taub und sehr mit Rätseln beladen zurückließ: Ultraschall!

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