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„Hoffmanns Erzählungen“ in Wuppertal. Foto: Jens Großmann
„Hoffmanns Erzählungen“ in Wuppertal. Foto: Jens Großmann
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Vier Regisseure für „Hoffmanns Erzählungen“: Neustart an der Oper Wuppertal

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Mit einem fulminanten Premieren-Wochenende hat sich die Oper Wuppertal in der nordrhein-westfälischen Szene zurückgemeldet. Erst war die Video-Oper „Three Tales“ von Beryl Korot und Steve Reich zu erleben, tags darauf „Les Contes d’Hoffmann“ von Jacques Offenbach – Wuppertals Premieren-Publikum zeigte sich begeistert von diesem Neustart.

Dieser Neustart war auch dringend notwendig, denn noch bis Ende der letzten Spielzeit dümpelte das erst vor wenigen Jahren aufwändig renovierte Opernhaus nur noch irgendwie vor sich her. Was dort an Musiktheater lief, interessierte kaum noch jemanden. Weshalb? Weil Toshiyuki Kamioka, seit 2004 durchaus erfolgreicher GMD der Wuppertaler Sinfoniker, dann verhängnisvoller Weise 2014 zum Opernintendanten gekürt, das edle Haus im Wuppertaler Stadtteil Barmen auf den Kopf stellte. Oder genauer: ihm den Kopf gleich abhackte.

Was ist ein Opernhaus ohne Solistenensemble, ohne professionelles künstlerisches Equipment hinter der Bühne, ohne Kapellmeister? All dies Personal hatte Kamioka gleich nach seinem Amtsantritt als Opernintendant vor die Tür gesetzt – damit gewiss brav den Vorgaben der kulturpolitisch wohl weitgehend uninteressierten Wuppertaler Kulturpolitiker folgend, die ihren GMD geliebt und gehätschelt haben. Fortan wurde ausschließlich mit Gästen gearbeitet. Ein „En Suite“- oder „Stagione“-Prinzip wurde etabliert, wenngleich jeder weiß, dass so etwas in Deutschland noch nie richtig funktioniert hat. Hat es auch nicht in Wuppertal. Das wurde schon im ersten Jahr von Kamiokas Intendanz schnell klar. Weshalb der Maestro auch seinen eigentlich bis 2019 laufenden Vertrag vorzeitig kündigte – und von dannen zog. Gott sei Dank, muss man sagen.

Jetzt übernimmt Berthold Schneider als Intendant das vor die Wand gefahrene Haus, wobei dessen finanzielle Ausstattung auch nicht besser aussieht als in den beiden verheerenden Kamioka-Spielzeiten. Wie Schneider das macht? Egal. Jedenfalls legt er einen Spielplan vor, der sich sehen lassen kann, der Interesse weckt – auch überregionales. Schneider hat ein (im Moment noch) kleines Solistenensemble etabliert und liefert attraktive, weil gut durchmischte Monatsspielpläne. Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ werden gegeben, Richard O’Briens „The Rocky Horror Show“ und Verdis „Rigoletto“, die Uraufführung der finalen Fassung von Helmut Oehrings „AscheMOND ODER THE FAIRY QUEEN“ ist terminiert, außerdem stehen Peter Cornelius’ „Der Barbier von Bagdad“ und ein Education-Projekt mit Igor Strawinskys „Pulcinella“ auf dem Programm. Die Zeichen stehen also in Richtung Aufbruch.

Und dieser Aufbruch war auch unmittelbar zu spüren: „Three Tales“ – drei Erzählungen von die jüngere Menschheitsgeschichte berührenden Ereignissen wie der Zeppelin-Überquerung des Atlantik, den Atombombenversuchen auf den Bikini-Atollen und der des Clon-Schafs Dolly – bekamen gesteigerte Aufmerksamkeit, einen Tag später auch Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Hier kam Berthold Schneider auf die Idee, das Werk vier verschiedenen Regisseurinnen und Regisseuren anzuvertrauen. Ein Experiment, das mehr oder weniger glückte. Und es waren große Namen: Charles Edwards kümmerte sich um den (hinzuerfundenen) Prolog, Luthers Weinstube und Epilog, Nigel Lowery um den Olympia-Akt; Christopher Alden übernahm den der Antonia; die Giulietta-Szene brachte Inga Levant auf die Bühne. 

Vier unterschiedliche Handschriften also, die markanteste von Inga Levant, die Hoffmanns Venedig-Besuch in eine Art Sanatorium verlegt. Drei riesige Badewannen sorgen dort für Hygiene, ein gynäkologischer Behandlungsstuhl steht auf der Bühne, jede Menge anderer Sitzgelegenheiten, jede Menge Patienten – und eine Giulietta in Form einer Krankenschwester in knallrotem Lackröckchen. Alles anfangs getaucht in Neonfarben Grün und Pink – schrill!

Ganz das Gegenteil zum Antonia-Akt mit seinen beiden rechtwinklig zueinander stehenden schäbig-grauen Wänden, in denen die junge Frau ihr Dasein fristen muss, streng bewacht von ihrem oberhalb der Wand wie ein Aufseher positionierten Vater. Durch eine schlichte Bodenklappe kommt Hoffmann zu ihr. Dass er sich zu Antonia hingezogen fühlt, kommt bei Christopher Alden allerdings kaum vor, stattdessen ist Hoffmann mit einer dicken Kladde beschäftigt, schreibt seine dichterischen Einfälle dort hinein.

Und Olympia ist für Nigel Lowery kein Automat, keine leblose Puppe, eher ein Zirkuspferd, das zum Vergnügen einer festlichen Gesellschaft vorgeführt wird. Insgesamt aber gibt es kaum wirklich spannende, gar überraschende Regie-Einfälle. Charles Edwards’ Idee, im Prolog die Muse als schon ganz schön schickere Theaterdramaturgin auszugeben, die erst aus dem Weinglas, dann bald direkt aus der Pulle in sich hineinschüttet, sorgte im Publikum für gute und lockere Stimmung – auch als sie den etwas wuselig und abgewrackt wirkenden Hoffmann mit Aldi-Tüte an der Hand aus dem Foyer auf die Bühne holte und das Spiel beginnen konnte.

Musikalisch hat dieser „Hoffmann“ Qualitäten: David Parry am Pult des Wuppertaler Sinfonieorchesters macht Tempo, liefert ausgesprochen farbige Klänge, koordiniert Bühne und Graben exzellent. Darauf können sich die Sängerinnen und Sänger verlassen: der Belgier Mickael Spadaccini in der Titelrolle – spielfreudig und konditionsstark (auch wenn er seine Spitzentöne oft von unten nach oben „schieben“ muss), ebenso Sara Hershkowitz in allen vier führenden, mit Leidenschaft umgesetzten Frauenrollen. Mark Bowman-Hester gibt mit schönstem „frechen“ Tenor die Diener, Kerstin Brix die alkoholisierte Muse. Catriona Morison als Nicklausse/Engel singt ein bezauberndes „Lied von der Geige“. Grandios Lucia Lucas, die sich als Lucas Harbour 2014 für eine Geschlechtsumwandlung entschied und jetzt als Frau mit einem enormen Bariton aufwartet. Sie ist Stadträtin Lindorf, Coppelius, eine gebieterische Frau Dr. Miracle und in Inga Levants Sanatorium eine selbstbewusst auftretende Ordensschwester namens Dapertutto (Dapertutta?).

Das Wuppertaler Opernhaus kann nach diesem ermutigenden Start wieder einen klaren, nach vorn blickenden Kopf auf seinen Rumpf stecken – und wird gewiss wieder zu einem lebendigen, pulsierenden Organismus.

Weitere Vorstellungen: 1., 9. und 22. Oktober; 5. November; 18. Dezember (zum letzten Mal)

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