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Foto: Ronny Ristok
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Viermal Hoffmann, einmal Donna Anna – Intelligenter Offenbach in Gera

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„Don Giovanni“ steht auf dem Programmheft und auf dem Transparent über dem Portal. Dann blinzelt im Prélude Goethe ins Auditorium, aber nur vom Video als Büste in der Fassade des Geraer Jugendstil-Theaterbaus. Sofort landet die vergoldete Dachstatue des schönen Gebäudes als Muse auf dem Orchestersteg und outet sich als eifersüchtiges Frauenzimmer, die E. T. A. Hoffmann ganz für sich will. Deshalb verkleidet sie sich in Wolfgang Amadeus Niklas und macht den Dichter zum Alkoholiker. In Gera spielt man „Hoffmanns Erzählungen“ als das, was dieser Opern-Torso ist: Ein immer wieder neues Opern-Abenteuer mit Glücksmomenten und Fallen!

Der Tribut des Theater Altenburg-Geras zum Offenbach-Jubiläum gerät zu starken Stunden, weil der inszenierende Generalintendant Kay Kuntze und der Ende der Spielzeit auf eigenen Wunsch leider scheidende GMD Laurent Wagner einen abgründig gewieften Zugriff auf „Hoffmann Erzählungen“ zeigen: Musikalisch idiomatisch, nicht zu feinsinnig, dafür mit kräftigen Pinselstrichen mit Mut zur Überfülle. Vom szenischen Reichtum an Symmetrien, Entsprechungen, Doppelungen, Parallelen und Zersetzungen einer gebrochenen Psyche, als die Hoffmann noch zwiespältiger wird, muss selbst den aufmerksamsten und kenntnisreichsten Zuschauern einiges entgehen. Nach dem Grippe-Kollaps am Premierenabend spielte in der zweiten Vorstellung der intensiv geprobt habende Hugo Mallet „nur“ und sang von der Seite der aus Frankfurt a. M. herbeigeholte Ralf Simon.

Wunder der theatralen Verwandlung, aus Eins mach Vier! Diese Synthese gelingt so perfekt, dass man gar nicht mehr darauf achtet, wer singt, wer spricht, wer agiert. Im Foyer wälzt sich ein alkoholisierter Berber mit Fusel-Bottle, dazu dröhnt am Ende höhnend der Schlusschor. Timo Rößner wird, nachdem er dem Geheimrat Lindorf Hoffmanns Billet doux an die Sängerin Stella ausgehändigt hat, anstelle der Lakaien-Figur zum dritten Hoffmann und singt erst vor dem Venedig-Akt die berühmten Couplets.

Übrigens erklingt (fast) alles in deutscher Sprache. So erfährt man von den hervorragenden kleinen Soli der Studenten (Rastislav Lalinsky, Florian Neubauer, Andreas Veit), dass Stellas „Belcanto vollendet ist“. Man versteht hier endlich auch, dass es sich beim Wortduell zwischen Lindorf und Hoffmann um einen Literatur-Disput über die phantastische Novelle „Der goldne Topf“ handelt und (kleine Aktualisierungen gehören bei Offenbach dazu) die „Deutsche Bank“ für Qualität bürgt. Federnd, deutlich, dynamisch und deshalb mit direkter Emotionalität agieren der Opernchor und das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera wunderbar synchron, während – Poesie, perfide Überdrehung und hohler Moment in einem! – die Sängerin Stella (Madeline Hartig) zwischen ihren Auftritten als Donna Anna nach Hoffmann sucht und durch den tiefroten Vorhang wieder in die „Don Giovanni“-Bühnenwelt abtaucht. Konsequent spielt das natürlich nicht bei Lutter & Wegner nächst dem Königlichen Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt, sondern im Geraer Theaterrestaurant Szenario, für das Ulrich Burdack erst ein formidabler Wirt ist und sich später als Rat Crespel die tödliche Kugel gibt.

Aus dem Konvolut der kritischen Edition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck haben sich die Macher intelligent bedient, mit Ausnahme des Giulietta-Aktes. Denn warum wurde von Offenbach, Gainsbourg, Guiraud so viel tolle Musik entdeckt, kreiert, reanimiert und es kommt zu wenig von dieser? Dafür besticht das Ende: Was kann es in einer genialen, fragmentierten Oper über Spiegelungen und Symmetrien noch Schlimmeres geben als den Verlust des eigenen Spiegelbildes! Nachdem Hoffmann seines verliert, bricht die ganze Szenerie. Ihm tritt seine insgesamt vierte Inkarnation gegenüber als Wissenschaftler, der entfernt dem Vater-Erfinder des Automaten Olympia (János Ocsovai) gleicht. Unter dem die drei Mittelakte überwölbenden gläsernen Runddach Duncan Haylers reihen sich Kuntzes Einfälle mit einem Walter Felsenstein gleichkommenden Ehrgeiz auf semantische Vollständigkeit. Am Ende fleucht die Muse zurück aufs Theaterdach und dann wissen wir mit einer verstohlenen Träne, dass Leid größer ist als Liebe.

Natürlich gibt es in der (gespielten) „Don Giovanni“-Pause auch Happy-Hour-Cocktails, die ihre Genießer in die Irre führen könnten. Wir überspringen jetzt die Pêche Melba und kommen zum Hoffmannesken Getränkeangebot, auf die im Theaterrestaurant Szenario Johannes Beck in den vier Bösewichter-Rollen anstelle von teuflisch schwarzen Eiswürfeln die gefährlichen Waffen eines ortskundigen Bass-Baritons einsetzt. Am schlimmsten bei Antonia, die er im Wortsinn zu Tode streicht wie eine Violine.

Olympia On The Rocks: Hier keine Puppe, sondern eine „Eva der Zukunft“, die sich wie im ersten Traumfrau-Roboter-Roman von Villiers-Adam recht lange Zeit ohne Ladung von der Elektro-Station frei bewegen kann. Miriam Zubieta – eine starke, dunkle Stimme mit Höhenreserven und Individualität, die auch noch Rad schlägt!

Antonia Soda: Nix Soda, denn Anne Preuß steigert sich als schwindsüchtige Tochter eines Musikers in die Siedehitze eines Vulkans, sieht bei ihrer Klage „Nie mehr singen!“ aus wie Anja Harteros in München und lässt ihrer mächtigen, aus dem im Boden versenkten Flügel sich wie aus einem Sarg erhebenden Mutter (Judith Christ) keine Chance. Hier darf Anne Preuß ausleben, was in anderen Partien als unfein gilt: Perfekt gemeisterte und ekstatisch hochgeschraubte Belcanto-Hysterie.

Giulietta on the Beach, also Giulietta ohne Poesie. Weit hinten ragt die Rialtobrücke. Chordamen in schwarzen Anzügen und Herren in seidener Damenwäsche beleben das Erotik-Freilaufgehege und Herrschaftsgebiet Giuliettas (trägt sie Panda-Bikini oder Biene-Maia-Top?). Rebekka Reister zeigt professionelle Geilheit, Besitzgier und Meisterschaft vor allem im Verbrennen von Männer-Motten. Von der aberwitzigen Gebrochenheit der Figur bleibt (zu) wenig und sie stirbt auch recht flott.

Doch so eine Entgleisung ist legitim. Denn genau in der Stückmitte ereignet sich in der Arie von der wunderbaren Stimme einer Violine das hehrste Wunder: Aus der Muse und dem neben Hoffmann in schöner Eintracht sitzenden Genius Niklas wird in einem kurzen paradiesischen Moment die Traumfrau schlechthin. Ein großer lyrischer Höhepunkt für Juliane Bookhagen, die hier als Mitglied des Thüringer Opernstudios mit einer Hauptpartie einen verdienten Erfolg feiern kann. „Hoffmanns Erzählungen“ – in Gera ein traurig-böses Lied für Erwachsene und eine authentische Offenbachiade, in der auch der neue Chordirektor Gerald Krammer seinen glücklichen Einstand nimmt.

  • Weitere Vorstellungen: 14.12./19:30 Uhr, 26.12./18.00 Uhr und 19.01.2019/19.30 Uhr (Premiere: 30.11./19:30 – Besuchte Vorstellung: 02.12./14.30 Uhr)

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