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Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ im Nationaltheater Prag. Foto: Patrik Borecky
Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ im Nationaltheater Prag. Foto: Patrik Borecky
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Virilität und Virtuosität: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ im Nationaltheater Prag

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Es ist die erste Produktion von Ernst Kreneks Zeitoper in Prag nach der Erstaufführung 1927 am Neuen Deutschen Theater, die dort wenige Monate nach der Leipziger Uraufführung auch Alexander Zemlinsky dirigiert hatte. Die Neuinszenierung des größten Opernerfolgs der Weimarer Republik im Nationaltheater Prag findet mit Poesie und feinem Witz szenische Entsprechungen zu Kreneks Stilpluralismus, der weit über das vom Komponisten selbst dementierte und noch immer für dieses Werk verwendete Schlagwort der „Jazzoper“ hinausweist. Denn natürlich steht „Jonny spielt auf“ auch in freundlicher Nähe zu den sinnlichen Neuromantikern und sogar zum „Weißen Rössl“.

Auf dem Plakat posiert ein attraktiver, fast nackter dunkelhäutiger Mann und hält ein Banjo vor sein bestes Stück. Norweger-Schal und -Handschuhe passen zur von Jakub Kopecký auch auf der Bühne des Prager Nationaltheaters angebrachten Panorama-Karte des Skiparadieses Zell am See in Tirol. Weiß und Schwarz kontrastieren also auf gleich mehreren existenziellen und symbolischen Ebenen. Aber: Ist es korrekt, dass Jonny, dem Textbuch nach ein dunkelhäutiger Afro-Amerikaner (oder Minstrel, ein in amerikanischen Revuen nach 1900 farbig geschminkter Weißer) als sexgieriger Dieb dargestellt wird? Die Frage erübrigt sich nicht nur darum, weil die Titelfigur innerhalb eines Textbuchs agiert, in dem der Komponist keine einzige Figur als eindeutig positiv charakterisiert hatte. Der Bariton Jiři Rajniš kehrt mit geschwärztem Gesicht überdies weniger die suggestiven Züge Jonnys heraus als die des sachlich-trockenen Drahtziehers.

Also eine Projektionsfläche für die anderen Figuren! Und was für ein Arsenal windiger Persönlichkeiten hat Krenek da erfunden: Der Komponist Max, Vertreter der bürgerlichen Kunstmusik, hat eine Sinnkrise. Deshalb findet er trotz künstlerischer Erfolge nicht so richtig zur ihn verehrenden und begehrenden Opernsängerin Anita. Anita lässt sich nicht nur von Jonny bereitwillig besteigen (da fordert Regisseur David Drábek den Solisten kurze groteske Bodengymnastik ab), sondern findet auch Gefallen am Violinvirtuosen Daniello (Igor Loškár). Natürlich ist Virtuosentum, egal ob auf dem Banjo oder der Violine, auch ein Symbol für mehr oder weniger pulsierende Potenz. In ihrer mehr oder weniger ausgelebten Virilität ähneln sich die männlichen Figuren bei Krenek. Am Ende blickt der in violett bis pink grell ausstaffierte Chor zu Jonny auf. Die Kostüme zeugen auch von einer großen spielerischen Lust, mit der Tomaš Kypta Moden der zwanziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhundert ins Spielgeschehen wirft. 

Eigener Weg zwischen Rauschverweigerung und Revue

In seinen szenischen Vorstellungen und in seiner Musik ist Ernst Krenek viel differenzierter als in seinem Textbuch, das als Absage an die Musikdramen von Strauss, Schreker oder von Schillings verstehbar ist. Aus der Charakterisierung der Partien spricht weitaus mehr Pragmatismus als Leidenschaft. Die Chorfiguren (überzeugend einstudiert von Adolf Melichar) rennen allen flüchtigen Trends nach. Über neunzig Jahre nach der Uraufführung bestätigt sich, dass Krenek zwischen Rauschverweigerung und Revue mit sehr überlegtem musikalischen Formdenken einen eigenen Weg suchte.

Max, der erst in Bariton-Lage singen und in seinem langen Solo perfide heldentenorale Höhenzüge erklimmen muss, unterliegt mit dem Erlahmen seiner Kreativität dem ungewohnt Neuen und Energischen, für das Jonny steht. Das wird natürlich kaum deutlich, wenn ein durchschlagskräftiger und konditionsstarker Sänger wie Jonathan Stoughton in diesem Part auftritt. Denn seine stark komponierte und ausagierte Szene ist eine Niederlage, kein Sieg. Petra Alvarez Šimková verkörpert eine Opernsängerin Anita, die lieber sich bietende Chancen nutzt als die drohenden Reifejahre auf dem Altar der Kunst zu opfern. Die Zeit für Affären wird in dieser Oper also effizient geplant wie alles andere: Erfolg, Gewinn, Amüsement. Das zeigt David Drábeks Inszenierung mit Witz.

Inszenierung mit Witz

Deshalb ist das Schneeparadies nicht echt, verkündet trotzdem Winterfreuden als Alternative zum Sommer im Weißen Rössl am Wolfgangsee. Witz hat auch das nach vorne offene Zugabteil mit Toiletten-Kabine und jenen roten niedrigen Plastiksitzen, an die sich ältere Reisende noch gut erinnern. Kreneks auskomponierte Rationalisierung und ein nostalgischer Blick zurück auf die Zeit, als Mobilität so scharf diskutiert wurde wie die sozialen Medien heute, durchdringen sich. Da kommt es schon fast einem dramaturgischen Deutlichkeitsschub gleich, dass Vanda Šipová, die Interpretin des den Fortschritt mit heiterem Pragmatismus akzeptierenden Kammermädchens Yvonne, erkrankt ist: Neben der auch choreografisch agierenden Originalbesetzung rettet die durch eine Produktion am Deutschen Nationaltheater rollenerfahrene Steffi Lehmann mit perfekt fokussiertem Sopran die Premiere und wird immer wieder mit schwarzer Konzertkleidung in die szenischen Bewegungen integriert. Das steigert die Künstlichkeit noch mehr.

Der motorische Rationalismus und der Abschied von der Bedächtigkeit des alten Europa hat in der Prager Neuproduktion eine weitere, sogar herzlich verspielte Ebene. Der Eisbär mit Schnapsfässchen am Hals küsst und balgt sich parallel zu den Konflikten von Anita und Max mit einem Murmeltier. Immer wieder mengen sich drei Wichtel mit roten Zipfelmützen und Rauschebärten und zwei als Alpen-Edelweiße kostümierte Ballerinen ins Geschehen. Sie spielen auf dem weißen Konzertflügel in der behaupteten Schneelandschaft und bleiben im beschleunigten Treiben der neuen Zeit gelassen. Mit diesen Erfindungen verdeutlicht David Drábek die Künstlichkeit von Kreneks Werkkosmos und hat in der Choreografin Adéla Laštovková Stodolová eine genaue, der Verniedlichung trotzende Gesinnungsgenossin.

Eklektizismus nicht als Polemik, sondern als kreative Chance!

Man sieht auf der Bühne viel von dem, was man den ganzen Abend von dem mit seidiger Energie spielenden Orchester der Tschechischen Staatsoper hört. Stefan Lano, der „Jonny spielt auf“ bereits am Teatro Colon de Buenos Aires dirigierte, widerlegt mit jedem Takt das eindimensionale Attribut ‚Jazzoper‘, mit der das Werk vom Nationalsozialismus bis kurz vor der Wiedervereinigung im Mangel an besserer Kenntnis besetzt wurde. Es musste seine Gründe haben, warum ausgerechnet „Jonny spielt auf“ zum größten Opernerfolg der Weimarer Republik werden konnte: Stefan Lano zeigt, wie Ernst Krenek sich, selbst wenn er das spätromantische Klangvokabular nutzt, zu diesem längst innere Distanz entwickelt hat. Natürlich gibt es Tango- oder Foxtrott-Klänge. Sie ertönen hier nicht mit sensationslüsterner Schärfe, sondern als aparte Kolorit-Beilage. Lano exponiert also Kreneks Begabung als Melodiker und dessen Absicht, die polarisierenden Tonsprachen seiner Zeit optimal zu nutzen: Eklektizismus nicht als Polemik, sondern als kreative Chance! In einer derart eloquenten Realisierung klingt dann auch der Afro-Amerikaner Jonny gar nicht so anders als Anita und der Violinvirtuose Daniello, der mehr noch als Max ein alles andere als sympathischer Vertreter der heute gerne attackierten Spezies „stupid white man“ ist. Krenek kannte diesen Begriff noch nicht, zeigte aber in „Jonny spielt auf“ durchaus einige Kenntnisse über dessen Phänomenologie. Dieser Aspekt des Werks interessierte die Gäste aus Deutschland weitaus mehr als das begeisterte Prager Stammpublikum. Starker Applaus.

Termine: 24.01., 19:00 (Premiere, besuchte Vorstellung) – 26.01., 19:00 – 30.01., 19:00 – 07.03., 19:00 – 20.03., 19:00

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