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Bruno de Sà (Aminta), Raffaele Pe (Megacle) & Bejun Mehta (Licida) © Birgit Gufler

Bruno de Sà (Aminta), Raffaele Pe (Megacle) & Bejun Mehta (Licida) © Birgit Gufler

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Vivaldis „Olimpiade“ als Innsbrucker Festwochen-Olympiade der Counterstimmen

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Alessandro de Marchi setzt in seinem letzten Sommer als künstlerischer Leider der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit drei Musiktheater-Produktionen einen Schwerpunkt für Antonio Vivaldi. Der Start war „L’Olimpiade“ (Venedig 1734), es folgen bis zum Ende des Festivals am 29. August „La fida ninfa und das Oratorium „Juditha triumphans“. Die Eröffnungspremiere im Tiroler Landestheater wurde durch eine insgesamt sehr gute Besetzung zum Ereignis – vor allem durch die drei herausragenden Counterstimmen von Bejun Mehta, Raffaele Pe und Bruno de Sá.

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Mit der Kritischen Edition von Alessandro Borin und Antonia Moccia hatte das Werk im Tiroler Landestheater eine Musikdauer von drei Stunden und ist damit länger als die meisten vorherigen Aufnahmen. In Bartolomeo Vitturis Bearbeitung des originalen Metastasio-Librettos für die 1734 im Teatro Sant’Angelo von Venedig uraufgeführte Oper geht es um menschliche Verwicklungen bei den Olympischen Spielen in antiker Vorzeit. Aber Vivaldis wunderbare Arien evozieren – wie Christian Bauer in seinem Aufsatz feststellt – mit weitgehend koloraturfreien Melodielinien ein Gefühl der Nostalgie. Der sportive Drive befindet sich also vor allem im Drama, seinem Anlass und deren empfindsamen wie politisch brisanten Zuspitzungen. Dabei erfüllte das Libretto wortreich alle Erwartungen an Oper in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Die ideale Aufstellung von Liebschaften und Verwandtschaften, aufregende Verwicklungs- und Auflösungskomplikationen sowie moralische Appelle, ein besserer Mensch zu werden.

Österreichs Festspieltrend 2023: Die Verlegung der Handlung in den italienischen Faschismus. So machte es – auf Umwegen motiviert durch Bernardo Bertolucci – Krzysztof Warlikowski in Verdis „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen. Und jetzt der Regisseur Stefano Vizioli in Innsbruck für „L’Olimpiade“. Das bot sich an, gelang auch anspielungsreich, milde und mit menschlicher Lauterkeit. Aber die Innsbrucker Festwochen bleiben in Hinblick auf Vergangenheitsaufarbeitung weit zurück hinter der Haymon-Buchhandlung im dortigen Stadtzentrum, wo am Premierentag an einem Sondertisch Literatur über den Anschluss Österreichs und die Tiroler Kultur während des deutschen Nationalsozialismus ausliegt. „Olympisches aus der klassischen Antike“ war der Dramaturgie wichtiger als die erste Wiederaufführung von „L’Olimpiade“ bei der Musikwoche Siena 19 39 unter Mussolini, wo diese für das 20. Jahrhundert mit eindeutiger ideologischer Vereinnahmung reanimiert worden war. Auch angesichts der verhältnismäßig hohen Zahl italienischer Mitwirkender setzt das in Erstaunen.

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Luigi De Donato (Alcandro) & Margherita Maria Sala (Aristea) © Birgit Gufler

Luigi De Donato (Alcandro) & Margherita Maria Sala (Aristea) © Birgit Gufler

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Bernsteinleuchten der Musik

Diese Nachlässigkeit vergisst man fast im sinnlichen Bernsteinleuchten der Musik, weil Vizioli szenisches Takt- und Feingefühl zeigt und mit diesem in hoher Schwingungsdichte die souveräne musikalische Leitung de Marchis noch mehr beflügelt. Anna Maria Heinreich setzte die berühmten drei Streifen eines weltbekannten deutschen Sporttextilien-Herstellers auf das Kleid der Königstochter Aristea. Deren Freundin-Rivalin Argene ist natürlich keine Hirtin in Verkleidung, sondern mit schwarzem Kostüm und roten Haaren die Angehörige einer verfolgten Minderheit. Solche Details flankieren die Begebenheiten in der hellenischen High Society. Als Hauptschauplatz setze Emanuele Sinisi eine realistische Turnhalle mit Gerätschaften aus Holz und Leder, in der Bausünden noch ausblieben und die Turner-Mannschaft wie die sportelnden Hauptfiguren mit blütenweißen Turnhosen antreten. Die Handlung frei nach Herodot gibt einiges her. Zum einem ähnelt ein Prinzenschicksal dem des König Oedipus mitsamt perfidem Orakel, geht hier aber gut aus. Zum anderen will der König – beliebtes Märchenmotiv der Neuzeit – nur den besten zum Schwiegersohn und Aristea deshalb mit dem Olympiasieger verheiraten.

Vizioli mag seine Figuren, setzt aber keinerlei Andeutungen über deren Zukunft nach dem Fallen des Vorgangs. Das ist schön, aber auch unentschlossen. Und gibt de Marchi die Gelegenheit, mit seinem idealen Gesangsensemble, dem Festspielorchester und dem Coro Maghini (Leitung: Elena Camoletto) in der musikalischen Gegenwart zu schwelgen und zu schweben, als ob es kein Morgen gäbe. Ovationen nach jedem Akt und ekstatische Begeisterung am Ende. Die Mussolini-Zeit bleibt dekoratives Zitat, obwohl gerade sie in die Wirkungsgeschichte von Vivaldis „L’Olimpiade“ dieser Oper eingraviert ist.

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Bejun Mehta (Licida_links)_Christian Senn (Clistene_hinten)_Raffaele Pe (Megacle_hockend) & Luigi De Donato (Alcandro_rechts hinten) © Birgit Gufler

Bejun Mehta (Licida_links)_Christian Senn (Clistene_hinten)_Raffaele Pe (Megacle_hockend) & Luigi De Donato (Alcandro_rechts hinten) © Birgit Gufler

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Was für eine Besetzung: Dass es im Cast keine Tenor-Stimme gibt, vermisst man bei diesen drei Counterstimmen sofort: Bejun Mehta als Licida, Raffaele Pe als Megacle und Bruno de Sá als Aminta – ein traumhaftes Trio sich ergänzender Vokalfarben und charakterstarker Temperamente. De Marchi erweist sich insgesamt als herausragender Besetzungsstratege: Die beiden Mezzo-Partien halten mit ebenso unterschiedlicher wie passgenauer Gestaltung mit, desgleichen die tiefen Stimmen. Als flüchtige Dame Argene gehören Benedetta Mazzucato mindestens zwei von Vivaldis Arienjuwelen. So modelliert sie keineswegs melancholisch oder säuerlich eine zu ihren Gefühlen stehende Leidende. Eine Spur differenzierter noch gerät die olympische Brautbeute Aristea durch Margherita Maria Sala. Eine ambivalente und deshalb sympathische Persönlichkeit. Mit kesser Lippe beklagt Aristea lautstark, dass Frauen bei den Spielen draußen bleiben müssen, und goutiert dann die Seelenbeichte ihrer Freundin Argene bei einem Glas guten Rotweins. Beide Frauen klingen dunkler als die Counterstimmen – faszinierend! Luigi De Donato als Alcandro und Christian Senn als Clistene ergänzen auf ähnlich olympischer Höhe.

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