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Foto: Iko Freese, drama-berlin.de
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Vollmundiger Klang von Ohrwürmern

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Wirklich erst jetzt: „My Fair Lady“-Erstaufführung an der Komischen Oper Berlin. Kritiker Peter P. Pachl geht den Gründen nach.

In der vergangenen Spielzeit ging die Komische Oper Berlin in die Zielgerade für ein klassisches Musical, welches noch nie an diesem Haus gespielt worden war, „My fair Lady“. Der zurückliegende veritable Roboter in „My Square Lady“ (siehe hier) war allerdings weitaus weniger lernfähig als nun das Blumenmädchen Eliza im unverwüstlichem Musical-Welterfolg.

Alan Jay Lerners Libretto basiert auf George Bernard Shaws sozialkritischem Drama „Pygmalion“, in dem ein Phonetikprofessor ein Mädchen von der Straße sprechtechnisch so weit bringt, dass sie für eine Adelige gehalten wird. Shaws Titel schafft Bezug zum antiken Bildhauer, der sich in sein eigenes Kunstwerk verliebt. Insbesondere durch George Cukors Verfilmung mit Audrey Hepburn und Max Harrison wurde Frederic Loewes Musical aus dem Jahre 1956 zum Dauerbrenner. Dass es zu DDR-Zeiten an der Komischen Oper Berlin nicht gespielt worden ist, lag vermutlich an den Devisenbestimmungen – und nach der Wende schien die Spielvorlage für die Macher dieses Hauses vermutlich doch schon als zu abgestanden. Andreas Homoki, der Vorgänger des derzeitigen Intendanten, inszenierte nunmehr die späte Erstaufführung.

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann, der bei den Bayreuther Festspielen für so ästhetisch unterschiedliche Inszenierungen verantwortlich zeichnete, wie für Dieter Dorns retardierenden „Ring“ oder Katharina Wagners innovativ-frechen „Tristan“, wartet für „My fair Lady“ mit einer ungewöhnlichen optischen Lösung auf. Die in ihrer Reduktion zunächst ärmlich wirkende Ausstattung orientiert sich an der Meta-Ebene der Handlung: zunächst eines, dann immer mehr übergroße, plastische Phonographen und Grammophone beleben die leere Bühnenfläche, bis hin zu einem die volle Bühnenhöhe einnehmenden Grammophon, aus dessen Trichter-Schalloch sieben weiße Bräute herausrutschen. Einmal wird die Drehscheibe selbst zu einer kreisenden, gigantischen Schallplatte mit 78 Umdrehungen pro Minute. Vorne und hinten abgeschlossen wird die Szenerie durch einen sich in unterschiedlicher Laufrichtung bewegenden, die Drehscheibe umrundenden Prunkvorhang. Darüber hinaus gibt es keine Signets für die Spielorte Covent Garden, Ascot (mit der Society in schwarzweißer Kostümierung von Mechthild Seipel) oder für den Diplomatenpalast (in Luxusroben). Das biedere Milieu von Wohnung und Atelier des Phonetik-Professors ist reduziert auf einen Ledersessel, welcher aus der linken Proszeniumsloge aufgetragen wird.

Gleichwohl sah es bis zur Pause des Premierenabends so aus, als sei dieses Stück tatsächlich überlebt, als bedürften die nostalgischen Evergreens „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ und „Es grünt so grün“ nicht mehr der Bühnenform. Nach der Pause aber gewinnt diese Produktion plötzlich rasant jene Spezifik, die das Haus an der Behrenstraße auszeichnet, etwa in der synchronen Umsetzung von Erinnerung und Live-Handlung bei Higgins’ Reflexion über die – als Aktion mit Tanz häufig gestrichene – zweite Erprobung des in Aussprache und Manieren gesellschaftsfähig getrimmten „Gossen“-Mädchens. Beim Diplomatenball vermutet Higgins’ Ex-Schüler und Gegenspieler, der ungarische Professor Zoltan Karpathy (den der ungarische Darsteller Zoltan Fekete mit bravourösen Sprüngen verkörpert) in Eliza, deren Phonetik besser ist als in England üblich, eine ungarische Adelige.

Gesungen wird an diesem Haus endlich wieder einmal in der Landessprache, wie es bis zum Amtsantritt von Barrie Kosky ein Alleinstellungsmerkmal dieser Bühne war. Die alte deutsche Übersetzung von Robert Gilbert, die den britischen Slang auf den Berliner Jargon übertragen hat, bewährt sich noch immer, und ihr Wortwitz sorgt für eine Reihe von Lachern.

Die Besetzung setzt auf zwei Quereinsteiger, die als Gäste an diesem Haus zu Publikumslieblingen geworden sind: Katharine Mehrling und Max Hopp. Das hat allerdings auch zur Folge, dass Mikroports zum Einsatz kommen, was bei der geschickten Instrumentation Frederick Loewes an anderen Bühnen nicht erforderlich ist. Um klangliche Diskrepanz zwischen instrumentaler und vokaler Interpretation zu vermeiden, werden nicht nur Sing- und Sprechstimmen, sondern auch das Orchester elektroakustisch verstärkt.

Die Mehrling ist eine wunderbar jaulende Berliner Göre, die auch als Luxus-Lady ihre Frau steht. Ihr frustriert aggressives Lied gegen den ihr gegenüber zunächst kalt bleibenden Professor (hier trotz einem Küsschen auf die Wange!) gipfelt in Visionen, wie Higgins auf Elizas Bitte von der Queen gehängt und erschossen wird; dass der Großteil dieses Liedes in der Neuproduktion gestrichen ist, folgt möglicherweise Gender- oder Aktualisierungsüberlegungen (Dramaturgie: Johanna Wall).

Bewährte Ensemble-Mitglieder – wie Christoph Späth als Oberst Pickering, Christiane Oertel als Haushälterin Mrs. Pearce, Jens Larsen als Alfred B. Doolittle und Susanne Häusler als kluge Professoren-Mutter – bilden zusammen mit zahlreichen Chorsolisten des von David Cavelius musikalisch einstudierten und von Arturo Gama choreographierten Chores – ein vortreffliches Ensemble. Opernstudio-Mitglied Johannes Dunz singt einen gar nicht larmoyanten, kernigen Freddy Eynsford-Hill, mit Slapstick-Einlagen und vokalem Bravourschluss.

Kristiina Poska leitet das Orchester der Komischen Oper schwungvoll und kostet in den Medleys den vollmundigen Klang der Ohrwürmer aus. Den größten Publikumszuspruch erntet aber der exzentrisch spielende, durchaus auch gesanglich bravouröse Schauspieler Max Hopp als sonderlich skurriler Junggeselle: den Kopfmenschen Professor Henry Higgins signifiziert er mit langem Hals und weit vorgelagertem Haupt als eine Karikatur aus Fleisch und Blut. Bei seinem Lied „Kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?“ verwickelt er sich immer mehr in den Schlingen eines endlosen Telefonkabels und kann aus solcher unfreiwilligen Bondage nur mit weiblicher Hilfe gerettet werden.

Die einzigen Zwischenrufe aus dem Publikum gehören zur Inszenierung (Ruhestörungs-Proteste beim nächtlich grölenden Doolittle). Bereits nach den berühmten Nummern und am Ende dankt einhelliger Jubel des Premierenpublikums der mit glimmersprühenden Sektflaschen bereits unverkennbar als Silvesterangebot der Komischen Oper Berlin einzuordnenden Produktion.

  • Weitere Aufführungen: 5., 9. 15., 27., 31. Dezember 2015, 15. Januar, 8., 20. Februar, 19. März, 15., 18., 28. Juni, 1., 8. Juli 2015.

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