„Christentum bedeutet Entscheidung“ sagte der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer schon 1925, mit nur 19 Jahren. Als Hitler 1933 an die Macht kam, war Bonhoeffer einer der wenigen, der erkannte, was vor sich ging, der den Mut hatte, öffentlich Warnungen auszusprechen („Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ 1935). Seinen Mut bezahlte Bonhoeffer zunächst mit Rede-, dann mit Schreibverbot, dann mit einer zweijährigen Haft, und zuletzt mit dem Tod nur wenige Wochen vor Kriegsende 1945. Motive und Gedanken aus Bonhoeffers Leben, seine aufrechte Haltung in der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte sind thematisch in die Oper „Vom Ende der Unschuld“ (Musik: Stephan Peiffer, Libretto: Theresita Colloredo/David Gravenhorst) mit eingeflossen. Im Rahmen des 34. Evangelischen Kirchentages wurde die Oper in der Hamburger Kampnagel-Fabrik uraufgeführt.
Klug haben die Librettisten konkrete Anspielungen an die Geschichte und Bonhoeffers Leben vermieden. Die fiktive Handlung im Nirgendwo und Nirgendwann – bei der die Hauptfigur der Oper, Heman, Dietrich Bonhoeffer nachgestaltet ist – ist als Parabel konzipiert und erinnert an ein biblisches Gleichnis. Ein Gutshof gerät aufgrund von Dürre in (Wasser-) Not. Der plötzlich auftauchende Cousin der Familie, Drako, verspricht Lösung durch einen Staudamm-Bau und etabliert nach Heirat mit der naiven Germa (Julia Henning) eine Terrorherrschaft mit „drakonischen“ – nomen est omen – Strafen für Andersdenkende. Nur Germas Bruder Heman (Ferdinand von Bothmer) und die Köchin Mete (Na’ama Goldman) erkennen die Gefahren. Heman entschließt sich trotz seines Glaubens Schuld auf sich zu nehmen und Drako (Krzysztof Szumanski) zu töten. Doch sein Attentat misslingt. Die aufgebrachten Nachbarn sprengen schließlich den Staudamm, alle ertrinken in den Fluten. Nur die verführte Germa – nomen est omen: Germania/Deutschland – überlebt und steht vor dem Nichts.
Komponist Stephan Peiffer hat eine packende, bühnenwirksame Musik geschrieben, in der er geschickt verschiedene Musikstile – tonal und nicht tonal – verbindet und das dramatische Geschehene zwingend erzählt. Hemans Partie hat passagenweise deutliche Anklänge an Heinrich Schütz, den Bonhoeffer schätzte. In Drakos Partie erklingt immer wieder der Tritonus als „Teufelsintervall“, das sich zunehmend auch in die Musik für die verführte Germa einschleicht. Das exzellente Solisten-Ensemble, die Chöre der Hamburger Hauptkirche St. Nikolai sowie die Hamburger Camerata wurden souverän, mit Sensibilität und dramatischem Zugriff von Matthias Hoffmann-Borggrefe geleitet.
In ihrer mit wenigen Requisiten – unter anderem Decken, Wünschelrute, Tische, riesige Mistgabeln – auskommenden Inszenierung nutzt Kirsten Harms, ehemalige Intendantin in Kiel und Berlin, geschickt den Raum als offene Bühne (Ausstattung Bernd Damovsky). Die Sänger agieren im und um das in der Mitte platzierte Orchester. Auf die riesige hintere Bühnenwand werden wenige suggestive Bilder projiziert, Baumschatten, Steinwüsten, aber auch Bilder aus Konzentrationslagern. Die Spannung baute sich langsam auf, wurde aber im Verlauf zunehmend dichter. Am Ende gab es für diese erste, vom Evangelischen Kirchentag in Auftrag gegebene Oper einhelligen Jubel. Es wäre jedenfalls wünschenswert, „Vom Ende der Unschuld“ einmal in einem klassischen Opernhaus zu sehen.