„70 Jahre – und kein bisschen müde“ wirken die Bregenzer Festspiele. Vor Beginn der Aufführungen eröffnet im „Vorarlberg Museum“ eine kleine Ausstellung zur Festspielgeschichte: was 1946 auf zwei Kieskähnen begann, fasziniert 2016 mit modernster Bühnentechnik, einem exquisiten Programm und einer „vorwärts träumenden“ Intendantin.
Da gibt es einen Festspielort, an dem der Abend gleichsam mit Ponchiellis „Cielo e Mar“ beginnt. Über Himmel und „Schwäbisches Meer“ hinaus könnte wenig später besungen werden: „O du mein holder Abendstern“ - und gegen Ende der Aufführung stimmt meistens auch „E lucevan le stelle“… So lässt sich ein sommerlicher Opernabend auf der Bregenzer Seebühne charakterisieren. Längst sind die sechs Festspiel-Wochen mit ihrem breit gestreuten Angebot kein „wässriges Verona für Arme“ mehr. Bregenz hat sich neben Bayreuth, München und Salzburg als vierter Festspielort etabliert – dank der mit Intendant Alfred Wopmann ab 1985 entwickelten „Bregenzer Dramaturgie“: auf der Seebühne im Zwei-Jahresrhythmus für meist über 300.000 Zuschauer die populäre Oper in enorm bildmächtiger, teils spektakulärer Inszenierung – und drinnen im Festspielhaus jedes Jahr eine „Opern-Orchidee“, ein Werk, das selbst Kenner kaum je auf der Bühne erleben, etwas zwischen Arrigo Boito, Alfredo Catalani oder Ernest Chausson, zwischen Carlisle Floyd oder Mieczyslaw Weinberg oder Riccardo Zandonai. Diese exquisite Programmatik feiert in diesem Sommer ihr 70jähriges Bestehen.
Begonnen hatte das alles 1946 beengter und schlichter, getragen von dem zutiefst humanen Wunsch: nach sechs Kriegsjahren in der Welt der Musik Ablenkung aus Trümmern und Hunger, aber auch Trost und Hoffnung zu finden. Es war ganz real auch eine Flucht: nach Westen – und durch das unbürokratische Entgegenkommen der französischen Besatzungsmacht, die Grenzen zur Schweiz zu öffnen - eine Flucht zu den Kalorien in Form von Butter, Milch, ja sogar Schokolade und Sahne.
Es gab 1946 keine Spielstätte in der zerbombten Kleinstadt am Bodensee. Da reifte unter den beteiligten Bürgern und mittelständischen Unternehmern die zur Kunst passende „außergewöhnliche“ Idee, auf zwei Kies-Lastkähnen zu spielen: vorne auf dem einen das Vorarlberger Rundfunkorchester, dahinter auf dem anderen Mozarts „Bastien und Bastienne“ sowie die „Kleine Nachtmusik“ als Ballett. Eine kleine, aber feine Ausstellung im Bregenzer „Vorarlberg Museum“ zeigt nun auf Schautafeln viele Dokumente des Jahres 1946 in gut lesbaren Reproduktionen – Kurator Manfred Welte: „Das war in Vorarlberg eine Besonderheit, weil es zum einen ein Kulturleben so nicht gab. Zum anderen Nachkriegszeit, wirtschaftliche Not, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot etc. - und plötzlich kommen Gäste – und die erste Festwoche war ein Erfolg – und plötzlich hat das Ganze eine Eigendynamik entwickelt.“
Es folgten Jahre eher rückwärtsgewandter Operetten-Unterhaltung, die in die Krise führten. Es folgte mit einem neuen Team die mutige Entscheidung, nicht zu sparen, vielmehr in anspruchsvollere Opernkunst zu investieren – prompt folgte eine künstlerische Blüte, die Bregenz schließlich neben exquisiten Festspielorten wie Glyndebourne, Drottningholm oder Savonlinna einreihte. In der Ausstellung zeigen nun über 20 Bühnenbildmodelle die sowohl stilistisch wie bautechnisch faszinierende Vielfalt der Intendanzen Alfred Wopmanns und David Pountneys. Parallel wurde zusammen mit dem Frauenhofer-Institut „Bregenz Open Acoustics – BOA“ mit 500 einzeln steuerbaren Lautsprechern zum „Rolls-Royce“ unter den Opern-Air-Klangsystemen entwickelt – so beeindruckend, dass selbst der nur an singulären Schauplätzen interessierte James Bond im „Tosca“-Bühnenbild „Ein Quantum Trost“ suchte… und den Originalsound der Festspiele in den Film übernahm.
Intendantin Elisabeth Sobotka schaut daher fröhlich engagiert nach vorne: „Ich möchte die unglaubliche Vielfalt der Festspiele erhalten und stärken. Träumen tu ich ein bisschen von einem Bregenzer Ensemble, dass die Sänger und Künstler, die hierher kommen, immer wieder kommen und man eine Entwicklung der Menschen als auch der Festspiele miterlebt.“
Das gelingt in Ansätzen mit den jungen Sängern des Bregenzer Opernstudios, die nach einer reizvollen „Cosi fan tutte“-Produktion in diesem Jahr mit Brigitte Fassbaender „Don Giovanni“ erarbeiten. Der sensationell erfolgreichen „Turandot“-Produktion auf der Seebühne stehen gegenüber: im Festspielhaus die von der Intendantin entdeckte Rarität, Franco Faccios „Hamlet“-Oper, die nach der am Mailänder Tenor scheiternden Uraufführung 1871 nur 2014 in den USA einmal „ausprobiert“ wurde; dazu kommen eine Fülle von Konzerten, die womöglich politisch brandaktuelle Bühnenproduktion von Otto Zykans seit 1977 skandalumwitterter „Staatsoperette“ und Miroslav Srnkas „Make no noise“ – folglich sagt Intendantin Sobotka zur Zukunft der Bregenzer Festspiele: „Da bin ich ganz offen. Da lass ich mich von den Werken und den Orten verführen. Durch die Seebühne, das Festspielhaus und die Werkstattbühne haben wir schon die „Fassungen“: Was passt dort hin?... um zukunftsorientiertes Musiktheater zu entwickeln!“ … eben nach 70 Jahren kein bisschen müde…