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Umringt von Pilgern: Kari Rønnekleiv spielt die Hardangerfiedel. Foto: Klanggspuren
Umringt von Pilgern: Kari Rønnekleiv spielt die Hardangerfiedel. Foto: Klanggspuren
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Vom Nordlicht beschienen

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Das Tiroler Festival „Klangspuren“ unter neuer Führung
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Der Neustart erfolgte eigentlich schon im vergangenen Jahr: Nach über zehn erfolgreichen Jahren übergab der Südtiroler Peter Paul Kainrath die Leitung des Tiroler Festivals „Klangspuren“ an den aus Hamburg stammenden Matthias Osterwold, der seinerseits bis zum vergangenen Frühjahr dreizehn Jahre lang die Berliner MaerzMusik kuratiert hatte. Doch der Wechsel war erst in diesem Jahr wirklich spürbar geworden. Zumal auch die Geschäftsführung mit Angelika Schopper neu besetzt wurde, die der als Leiterin des Innsbrucker Kulturamts aus Schwaz abgewanderten Maria-Luise Mayr nachfolgte. War das Festival unter der Leitung von Kainrath hauptsächlich auf das Städtchen Schwaz und dessen nähere Umgebung konzentriert, so mäanderte es diesmal über Innsbruck bis nach Südtirol.

Dort beschallte Wolfgang Mitterer die Burg Franzensfeste mit den Klängen von über vierhundert Chorsängerinnen und Chorsängern. Eigentlich nur eine Generalprobe für ein wesentlich größeres Projekt, das im kommenden Jahr – vom Norden aus Kufstein und vom Süden aus dem Trentino kommend – südlich des Brenners zwei gigantische Menschenketten von 6.000 Choristinnen und Choristen zusammenschließen soll: Die „Entropy Symphony“ geht auf eine Idee des Konzeptkünstlers Zefrey Throwell zurück und wurde nun bei den Klangspuren von dem österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer musikalisch umgesetzt, der eine sich fortpflanzende Gesangslinie auch mit elektronischen Klängen im Innenhof der Franzensfeste bereicherte.

Auf dem Weg nach Südtirol machte das Festival auch mehrere Male Station in Innsbruck, wo Matthias Osterwold die bereits bei der MaerzMusik etablierten „Late Nite Lounges“ programmierte. Konzerte aus dem Bereich der elektronischen und der improvisierten Musik, die dieses Mal ganz im Zeichen des diesjährigen Generalthemas standen: Unter dem Motto „Nordlicht“ waren zahlreiche Musikerinnen und Musiker aus den skandinavischen Ländern präsent, wie die Klangkünstlerin Gunver Ryberg oder der Schlagzeuger Morten J. Olsen, der gemeinsam mit Rubén Patiño den Innsbrucker p.m.k.-Club mit einer ebenso lautstarken wie witzigen Performance erhitzte.

Mit dem Dänen Hans Abrahamsen stand gleichfalls ein skandinavischer Künstler als Composer in residence im Fokus der gut ein Dutzend Konzerte mit zeitgenössischen Kompositionen. Es ist eine äußerst melodische Musik, die der 1952 in Kopenhagen geborene Abrahamsen komponiert. Blickt man auf die Partitur seiner „Three Nocturnes“ (2005) für Streichquartett und Akkordeon, die bei den Klangspuren  in der kompetenten Wiedergabe durch das britische Arditti Quartett und den norwegischen Akkordeonisten Frode Haltli erklangen, so wird man eine Vielzahl verschiedener Rhythmen bemerken, die einander fließend abwechseln. Der anfängliche 9/8-Takt des zweiten „Nocturne“, ein huschendes Allegro appassionato, gleitet unversehens in einen geraden 8/8-Takt, gefolgt von komplexeren Metren wie 7/8 oder 9/16. Der erste Satz, ein Andante amabile, ist wiederum vom beständigen Wechsel zwischen 5/4- und 2/2-Takten bestimmt.

Trotz dieser differenzierten rhythmischen Strukturen seiner Partituren, die sich auch in Abrahamsens Streichquartett Nr. 4 (2012) oder im Orchesterstück „Stratifications“ (1973–75) zeigten, erfüllt die Klangwelt des Dänen jenes Klischee der melancholischen Verträumtheit, das meist mit der Musik Skandinaviens in Verbindung gebracht wird. Der vom Tiroler Symphonieorchester Innsbruck uraufgeführte „Choral für Luigi Nono“ schrammt  – trotz jäher Zäsuren der Stille – bereits hart an der Grenze zum Kitsch.

Auch einige Werke anderer skandinavischer Komponisten wie Bent Sørensens „Angels Music“ oder Christian Winther Christensens in Schwaz uraufgeführte „Chromatische Weltmusik“, eine wenngleich verspielte Phantasie über das Lied „Täuschung“ aus Schuberts „Winterreise“, schienen diesen skandinavischen Hang zur Neoromantik zu bestätigen. Eine Art nordische Weltflucht angesichts der kritischen Weltsituation zu diagnostizieren, wäre dennoch verfehlt. Denn experimentellere Komponisten der jüngeren Generation, wie den Isländer Davið Brynjar Franzson, suchte man vergebens im Klangspuren -Programm.

Mit dem Osttiroler Wolfgang Mitterer stand als Gegenpol zu Hans Abrahamsen immerhin auch ein zeitgemäß denkender Komponist im Fokus des Festivals, in dessen hektisch wuchernder Musik sich die Turbulenzen der Gegenwart spiegeln. Abseits des großen Südtiroler Events, der „Entropy Symphony“, trat Mitterer auch als Solist seines imposanten Orgelstücks „stop playing“ (2011) im Innsbrucker Dom zu St. Jakob in Erscheinung. Räumlich bewegte elektronische Klänge setzte Mitterer in seinem Auftragswerk „next 01“ für vier Schlagwerker. Samples, die aus den Sounds des Tiroler Perkussionsensembles „The Next Step“ herausentwickelt wurden, bereichern die Instrumentalklänge mit einer gespenstisch metallenen Schicht. Vor allem dann, wenn die vier Schlagzeuger auf vier Xylophonen spielen, bilden diese elektronischen Sounds einen reizvollen Kontrast. Eine flexibel zu handhabende elektronische Tonspur verlieh der überarbeiteten Version seines Donaueschinger Ensemblestücks „little smile“ (2011) im Schlusskonzert der alljährlichen Ensemble-Modern-Akademie auch ein improvisatorisches Moment.

Neben Mitterer ragte aus der starken Phalanx österreichischer Komponistinnen und Komponisten bei diesen Klangspuren vor allem die in Graz lebende Polin Joanna Wozny heraus. Im selben Konzert mit dem Tiroler Perkussionsensemble „The Next Step“ war eine 2007 überarbeitete Komposition von 1999 zu hören, die den poetischen Titel „... zum unberührten Schnee im fahlen Mondlicht ...“ trägt. Ein Stück, das Ausschwingvorgänge ins Zentrum stellt und dementsprechend leise dem zarten Verklingen der – auf Becken, diversen Blechen, Gongs und Vibraphon häufig mit Bögen gestrichenen – Töne Atem verleiht. In Woznys großem Orchesterstück „Archipel“ (2008/14), das vom Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Francesco Angelico aufgeführt wurde, steht wiederum der Kontrast zwischen zarten Akkordblöcken und Momenten völliger Stille im Zentrum.

Eine zweite länderübergreifende Programmkomponente dieser Klang­spuren  bildete die Volksmusik, die sowohl in Skandinavien als auch in Tirol eine wichtige Rolle spielt. Auf einer Wanderung entlang des Inntals, mit der die Klangspuren auch die lokale Bevölkerung erreichen, konnten an sechs Konzertstationen die urigen Gesänge der Samen ebenso bestaunt werden wie norwegische Volksmusik. Auf dem Carillon, das aus 23 chromatisch gestimmten Glocken in zwei Oktaven besteht, hatte die Norwegerin Laura Marie Rueslåtten schon zuvor das Publikum in einem Konzert verzaubert. Während der Wanderung begleitete sie auf atmosphärischen Handglocken die Klänge der Hardangerfiedel, einer norwegischen Volksgeige, die mit zusätzlichen Bordunsaiten ausgestattet ist.

Allerdings wurden die Volksinstrumente auch in den zeitgenössischen Kontext verpflanzt. Akkordeon, Hackbrett und Zither kommen in Kompositionen von Karlheinz Essl, Eduard Demetz oder Bruno Strobl zum Einsatz. Die Hardangerfiedel in zwei Stücken der Australierin Liza Lim. So zeigte sich, dass die Volksinstrumente überaus zeitgemäß genutzt werden können. Vorausgesetzt, man entsagt der Sehnsucht nach der Romantik und verwendet den Klang der Hardangerfedel ohne jeden Anflug an Folklore wie Liza Lim in ihren verschlungenen „Winding Bodies“.

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