Viel ist gerätselt und gedeutet worden, wer dieser aus einem Schwan – der seinerseits der von Ortrud verzauberte Bruder Elsas ist – steigende Lohengrin ist, der im Brabant des elften Jahrhunderts die des Mordes beschuldigte Elsa rettet und heiratet unter der Bedingung, dass sie nie fragen dürfe, wer er sei. Denn der hat von seinem Vater Parsifal, wie er am Ende in der berühmten Gralserzählung mitteilt, den Auftrag, nur unerkannt in der Welt als Retter aufzutreten. Elsa kann jedoch den Druck ihrer schmuddeligen und korrupten Firmengesellschaft nicht aushalten, fragt – und Lohengrin entschwindet wieder. Die politischen und die psychologischen Implikationen sind ebenso dicht wie abstrakt, so dass eine Lohengrin-Regie extrem schwer ist. Es gibt ausreichend Hinweise darauf, dass Wagner selbst sich in der Lohengrin-Gestalt ein Denkmal gesetzt hat: der Künstler will bedingungslos verstanden werden. Und: Wagner war Revolutionär – er nahm 1848 an den Maiaufständen in Dresden teil und wurde dann steckbrieflich gesucht. 1845-48 ist die Oper entstanden.
Vom Scheitern des Helden – Richard Wagners „Lohengrin“ in Theater Bremen
Es war zu erwarten, dass Frank Hilbrich in Bremen eine zeitgenössische kaputte und korrupte Welt zeigt, ja die Kernaussage des „Erlösers“ Lohengrin auf den Kopf stellt. Es ist ja nicht das einzige Mal, dass Wagners Helden scheitern. In einer Art Sitzungssaal einer Firma mit Empore und vielen Porträts der belgischen Dynastie (Bühne von Harald Thor) findet die Befragung von Elsa von Brabant statt, der das Verschwinden des Firmenerben zur Last gelegt wird: toll, das aufgeregte Agieren des Chores. Mitreißend der Kampf zwischen dem brabantischen Grafen Telramund und Lohengrin, kein körperlicher Kampf, sondern die smarte Lohengrin wütet erst einmal in dem Büro.
Lohengrin ist zauberhafter, auch komischer Außenseiter, keinerlei Chance für Elsa, ihm nicht zu verfallen, sie hat ihn ja im Traum herbeigesehnt. Aber der Druck der Brabanter wächst, sich nicht mit einem namenlosen Partner als politische Führung einverstanden zu erklären. Und das Fass, das Hilbrich hier aufmacht, hat es an Modernität und damit Aktualität in sich. Ortrud, Telramunds Frau, so eine Art Chefsekretärin dieser sterbenden Firma, oft so eine Art Lady Macbeth, die einfach an die Macht will, ist hier eine parteipolitische Rebellin, die sich aufmacht, der (Männer)gesellschaft die Leviten zu lesen: Ihr lasst euch einen Führer bieten, von dem Ihr nicht wisst, wer er ist, tobt sie, eine Realpolitikerin, zu Recht. Und eine Warnerin vor der Kernthese der Inszenierung, nicht namenlose Individuen aus Frust zu wählen: aktueller geht es nicht.
Es geht da richtig zur Sache, Ortrud und Elsa prügeln sich. Und Hilbrich wartet auf mit äußersten Feinheiten in Details, ob das die Individualität der fantastisch singenden Chormitglieder war (Karl Bernewitz), ob das die wunderbar realistische Liebesauseinandersetzung von Lohengrin und Elsa war – man wundert sich ja fast, dass Lohengrin wirklich wieder geht – ob das der symbolträchtige Einsatz überall herumliegender Spiegel war, die vom Spiegelbaldachin herunterstürzen. Letztendlich war es die glasklare Herausarbeitung des Aufeinandertreffens zweier „Kulturen“, die nie zusammenkommen werden.
Viel ging in dieser an sorgfältigen Details reichen Aufführung auch von den Impulsen der Musik durch die Bremer Philharmoniker aus: das Vorspiel beeindruckte mit spannungsvollen Klangflächenwirkungen und Crescendoaufbauten. Musikdirektor Stefan Klingele erarbeitete eine Mischung aus kammermusikalischer Durchhörbarkeit der leitmotivischen Themen bei gleichzeitiger dramatischer Wucht, die allerdings manchmal eine erschlagende Überhand gewann.
Sarah-Jane Brandon als Elsa war keine duldende Projektionsgestalt, sondern eine real kämpfende Elsa. Ihre überdimensionale gesangliche Leistung ist zu bewundern. Nadine Lehner als sozusagen demokratische Visionärin steigerte sich sängerisch und schauspielerisch Takt für Takt. Tadellose Leistungen auch von Hidenori Inoue als König Heinrich, Elias Gyungseok Han als Telramund, Michal Partyka als charismatischer Heerrufer. Das Wunder des Abends aber war Christopher Sokolowski als Lohengrin, dessen sängerische Vergangenheit der lyrische Tenor ihn nun in das Fach des Heldentenors führte. Er debütierte in der Rolle und in Bremen. Und unbeschreiblich interessant und vor allem passend zur Inszenierung ist seine Stimme: warm und baritonal, dabei mit leuchtenden Höhen verführte er nicht nur Elsa, sondern auch das Publikum. Dazu kam mit viel Witz verzauberndes Spiel seines Außenseitertums. Stehende Ovationen für einen über vierstündigen Opernabend ohne jeglichen Spannungsverlust.
- Weitere Aufführungstermine: 29.9., 3.10, 13.10 und 31.10., 24.11., 1.12., 22.12. und zum letzten Mal am 19.1.2025. Alle Aufführungen beginnen um 16 Uhr.
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