Wortreich kam sie daher, diese zweite Ausgabe der Bonner „Beethoven-Woche“. Nur, dass man doch mehr oder minder bis zum Schluss warten musste, um wirklich hellhörig zu werden. Hinterher bekannte Tabea Zimmermann, es sei ihr dieses eine Wort (eigentlich nur ein Wörtchen) „ganz spontan“ über die Lippen gekommen. Doch gerade dies zündete. Die Sympathien ihres Publikums jedenfalls waren ihr sicher, als die Festivalchefin mit dem ihr eigenen Charme darum warb, ihre und die Bemühungen des Hauses mitzutragen bei der „Suche nach dem Neuen“.
Da war es raus. Im Moment war klar, dass damit der Maßstab benannt ist, an dem sich künftig wird klären lassen, inwiefern mit dem Kammermusik-Pendant zum etablierten Beethovenfest im Herbst tatsächlich ein „unverwechselbares Musikfestival im 21. Jahrhundert“ aus der Taufe gehoben ist. Dass die proklamierte „Suche nach dem Neuen“ dem Bonner Meister aus der Seele gesprochen ist, ist unstrittig, da gibt es kein Vertun. Die Frage ist nur, was darunter verstanden, wie es mit klingendem Leben gefüllt werden soll? Die Ankündigung im Editorial – „Jede Beethoven-Woche wird aus einem Werk Beethovens entwickelt und öffnet sich der Musik der Gegenwart“ – lässt einstweilen Raum für Vieles. Hielt man sich an die Ernte der gerade zu Ende gegangenen Kammermusikwoche rund um den Bonner Großmeis-ter, hatte man sich in Gestalt des 5. Streichquartetts mit Sopran von Jörg Widmann dem „wichtigsten Gegenwartskomponisten“ geöffnet. So der Musikwissenschaftler Ulrich Konrad in seiner frei vorgetragenen, mit gesungenen Themenköpfen verzierten Einführung. Nun sind derlei Platzanweisungen natürlich immer Geschmackssache. Andererseits spiegelt sich darin in diesem Fall doch der tiefe Wunsch, die alte Meistererzählung, die naturgemäß in einem Beet-hoven-Haus zahlreiche Anhänger hat, möge sich fortsetzen lassen.
Die vom finnischen Meta4 Quartett und Mojca Erdmann ins Rund des Kammermusiksaals hingezauberte Ausführung – rau, klangschön, virtuos – nährte jedenfalls weniger die Hoffnung auf diese Fortsetzung als dass Widmanns auskomponierte Fugen-Illusion noch einmal das Ende jedes kompositorischen Superstrings bekräftigte. So musste man wohl auch dessen Textanleihen beim Prediger Salomo verstehen. „Fern ist der Grund der Dinge und tief, gar tief; wer will ihn finden?“ Unbeschadet der etwas schwülstigen Wortwahl – über die Relativität der eigenen Position und die Fata Morgana eines irgendwie doch noch zu gewinnenden Materials für alle, darüber, das konnte man hören, ist sich Widmann im Klaren.
Indem sich Tabea Zimmermann und ihr Wunschpartner, der spanische Ko-Kurator Luis Gago für dessen 5. Streichquartett entschieden hatten, konnten sie diesem freilich auch das Motto für ihre Beethoven-Woche entnehmen: Versuch über die Fuge. Was ein Thema so ganz nach dem Gusto der gelehrten Musikologie ist. Der Faszination jedenfalls, uns die Logik all der fugenverarbeitenden Werke nachzuerzählen mit Kanons und Spiegel-Kanons und Umkehrung der Umkehrung und was der Dinge mehr sind – dieser Faszination war man in Bonn bald erlegen. Im Prinzip wäre dieser hochbegrüßenswerten Kammermusikinitiative doch eine Spur mehr ungeschützten Subjektivismus zu wünschen, mehr von der selbst erfahrenen, weniger von der herbeizitierten Weisheit. Verlesene Programmheftbeiträge kommen im Fugenthema „Suche nach dem Neuen“ verunglückten Engführungen gleich.
Andererseits, wie schillernd dieses schöne Themen-Wort ist, war dem umwerfenden Auftritt von Olli Mustonen zu entnehmen. Beglückend nicht nur, wie dieser finnische Teufelskerl (Pianist, Dirigent und Komponist!) uns Beethovens Hammerklaviersonate als modernes Klangexperiment zu Füßen legte, sondern dass er uns an ein vergessenes, an ein links liegengelassenes Hauptwerk eines anderen Meisterkomponisten erinnerte. Wer sich umhört unter den Pianisten unserer aufgeklärten Internet-Tage, bekommt nämlich todsicher zu hören: Hindemith? „Ludus tonalis“? Zu trocken! Ab in den Manuskriptschrank! – Mustonen kümmerte es wenig. Er spielte diese zwischen Konstruktion und Freiheit schwankende Musik eines exilierten Musikers mit dem Sehnsuchts-Bewusstsein dessen, der weiß, dass das Neue nicht behauptet, sondern nur gesucht werden kann.