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Von der Schwierigkeit zu gefallen, ohne gefällig zu sein

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Zum Abschluss der ersten Ruhrtriennale-Saison unter der Leitung von Johan Simons
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Natürlich gab es sie auch, die wirklich bezaubernden Momente in dieser ersten, von Johan Simons besorgten RT-Ausgabe. Süße Pflicht, gerade sie sich näher anzuschauen, zu fragen, was da wie warum so glücklich zueinander ging und vor allem wo. Womit wir, nicht zum ersten Mal an dieser Stelle, an ein vergleichsweise offenes Geheim­nis der Ruhrtriennale rühren.

Keine Frage – das rundum stimmige Konzert­ereignis, es findet statt im Rahmen dieses „Festivals der Künste“. Allerdings fällt auf, dass die festival­typischen, die stilbilden­den Räume, die von Gerard Mortier so getauften „Industrie­kathedralen“ zu Duisburg, Bochum und neuerdings Dinslaken, nur sehr bedingt tauglich sind, wenn es darum geht, ein Konzerterlebnis ohne Fehl und Tadel zu ermöglichen. Was bleibt, stiften diese XXL-Schachteln nämlich gerade nicht. Weshalb nicht, gehört inzwischen zu den wichtigeren Fragen, die ein höchste Maßstäbe setzendes Festival aufwirft. Eines, das mit munter sprudelnden Steuer- und Fördergeldern bis ans Ende der Tage versorgt scheint, also politisch gewollt ist.

Nähe und Ferne

Doch, bevor es kritisch wird, hier zunächst die gute Nachricht. Eine, die in diesem Fall nach Gladbeck führt, wo mit der Maschinenhalle Zweckel der Kammer­musik­saal der Ruhrtriennale steht und dann tatsächlich auch stand für einen der musikali­schen Höhepunkte dieser ersten Simons-Runde. Was selbstredend dem Konto der Ausführen­den gut zu schreiben war, nur eben nicht ausschließlich – auch die Hülle half mit. Anders als die von Simons neu aufgetane, vergleichs­weise spät errichtete Misch­anlage Lohberg zu Dinslaken, hat man in Gladbeck den Grundstein gelegt als Bauen noch etwas Besonderes war, Architekten auch im Funktionsbau höheren Zielen nach­eiferten, um in diesem Fall Maß zu nehmen am fürstlichen Schloss. 1909 wollte man es eben noch, das Repräsentative, die Qualität. Spätes Glück: Der Konzert­besucher spürt es in Gladbeck bis heute.

Zwar sind die Dimensionen der Halle groß, aber eben nicht übergroß und das Zweckel-Innenleben zudem gesegnet mit einer Beletage, deren Einfluss auf Akustik und Konzerterlebnis kaum zu unterschätzen ist. Seitens des Veranstalters kam hinzu, dass man für den Auftritt von ChorWerk Ruhr und Bochumer Sinfonikern die einigermaßen geniale Entscheidung getroffen hatte, Bühne und Zuschauerränge quer zur Längs­seite aufzubauen, wodurch sich Publikum und Ausführende gleicher­maßen in den Klang hineinge­nom­men fühlten: so viel Intimität und Nähe wie möglich; andererseits, dank der offenen Flanken, so viel Hallraum und Ferne wie möglich. Beste Bedingungen für einen Abend voller Klangrede.

Jugendfrische

Und das war es denn auch, was die beiden nicht nur sehr guten, sondern überdies sehr gut disponierten Formationen zu Wege gebracht haben. Nicht zuletzt dank eines inspirierten Florian Helgath am Pult, der seinem ChorWerk Ruhr einen himmlischen Bach 229 „Komm, Jesu, komm“ entlockte, die ins Mozart-Requiem implementierten, ins Sprechen und Atmen geweiteten „Klangräume“ von Georg Friedrich Haas mit Gegenwarts­bewusstsein hinzustellen wusste, um vielleicht nur bei den hoch­expressi­ven Mozart-Chören etwas unsicher darüber zu sein, wie der schlanke ChorWerk-Ruhr-Klang Zugang zur Schwere, zur Masse finden kann. Und wenn am Ende eines Riesenprogramms die Kräfte bei Ligetis „Lux aeterna“ etwas nachließen, lag dies nur in der Natur der Sache. Was in jedem Fall blieb, war der hinreißend-jugendfrische Eindruck, den diese Formation hinterließ.

Schließlich, was den Blick auf die Mitspieler angeht: hohes, höchstes Niveau auch beim Partner. Mit Ligetis die vibrierenden 60er-Jahre aufnehmen­den „Ramifications“ für 12 Solo-Streicher bewiesen die Bochumer Sinfoniker, dass Neue Musik erstens nicht nach Neuer Musik klingen und zweitens keine Domäne sogenannter Spezial­ensembles sein muss. Fazit: Man ging beschwingt, bereichert und im Bewusstsein, dass Ruhrtriennale, große Musik und großes Konzerterlebnis zusammengehen können.

Zweiklassengesellschaft

Etwas, was in dieser Konstellation gewiss nicht alle Ruhrtriennale-Tage vorkommt, auch nicht, wenn ein wirkliches Highlight wie der „Prometeo“ auf dem Programm steht. Für das monumentale Spätwerk des Komponisten Luigi Nono (1924–1990), uraufgeführt 1984 in San Lorenzo zu Venedig, hatte man zwei Drittel der Duisburger Kraftzentrale kurz entschlossen abgetrennt. Eine durchaus weise Entschei­dung, reichte das verblie­bene Drittel doch vollends für eine stimmige Aufführung mit den am Pult von Ingo Metzmacher zusammenlaufenden Kräften von Schola Heidelberg, Ensemble Modern Orchestra und SWR-Experimentalstudio. Möglich wurde so am Ende ein lehrreicher Blick auf diesen verrätselten Schwanengesang, bei dem es sich durchaus nicht um „Musik­theater“ im engeren Sinn handelt, wie der Veranstalter mit leichtem Anflug von Etikettenschwindel auf die Eintrittskarten hatte drucken lassen. Alles nämlich, was Theater ausmacht – Bühne, Darsteller, Handlung – hatte der Komponist ja gestrichen. Übrig blieb ihm jene viel zitierte „Tragödie des Hörens“, die in Duisburg deutlich zwei Dinge hervortreten ließ: den installativen Charakter des Werkes sowie den Graben, den es aufreißt, wofür Nono „Hyperions Schicksalslied“ wie als geheime Regieanweisung in seine Partitur hineingeschrieben hatte. „Droben“ in der Gebläsehalle die zahlreich in Balkonen positionierten Musiker – unten auf Kirchenbänken wir, die Nono-Gemeinde mit dem vorherr­schenden Konzertgefühl im Bauch, einer Musik-Predigt beizuwohnen. Von den Kanzeln Klänge. Zarte und leise, laute und überlaute. Solche, die durch den Raum huschen, andere, die jagen. Ihr Ursprung nicht lokalisierbar, ihre atomisierte Sprache nicht rückübersetzbar. Das war sie dann, die „Tragedia dell’ascolto“, die jeder mit sich allein auszumachen hatte, wozu in Duisburg nicht jeder die Kraft fand. 

Teilung der Welt

Maschinenhalle, Gebläsehalle, Jahrhunderthalle – samt und sonders Werkstätten industrieller Arbeit, die wie von Riesenhand hingestellt scheinen, also gut und gern Werkstücke der Herren Fasolt und Fafner sein könnten, womit hier die finale Regie­arbeit des Intendanten Johan Simons zu würdigen ist. Apropos: Im Fall seines Bochumer „Rheingolds“ sah sich auch Simons vor eine ziemlich prometheische Aufgabe gestellt, nur dass ihm mit Wagner die Elektronik gerade nicht in die Partitur-Wiege gelegt war. Er musste sie sich gewissermaßen hinzuerfinden, um sich angesichts der schieren Dimen­sionen gegen eine andere Hörtragödie zu stemmen. Verständlich insofern die Verpflichtung von „MusicAeterna“. Die Weiten, Höhen, Tiefen der Jahrhun­dert­halle brauchen einfach den Dampf, den dieses Kompressor-Orchester unter einem notorisch hippigen Teodor Currentzis von sich aus entwickelt. Im Hintergrund rumort hier eine Ruhrtriennale-Altlast der ersten Stunde. Bereits unter Gerard Mortier hatte man die problematische Akustik dieser Industriekathedrale mit Riesenaufwand und Riesenkosten elektronisch zu ertüchtigen versucht. Als die Sache seinerzeit an die Öffentlichkeit kam, war Mortier keineswegs amused. Vielleicht, weil das Ergebnis zur Euphorie keinen Anlass bot und bietet, wenn alles und jedes verstärkt werden muss – die Sängerriege inklusive. Die Folge: Kontrast­armut, fehlende Tiefenschärfe, eigentümliche Ortlosigkeit.

Dabei war die Idee dieses Ruhrtriennale-„Rheingold“ ausgesprochen sympathisch. An Wagner, wie Simons schrieb, die „Geschichte des Ruhrgebiets“ darzustellen, macht mitten im Ruhrgebiet nun tatsächlich Sinn. Siehe (noch so ein offenes Geheimnis) die Teilung der Welt in Arbeit und Kapital, die Simons sehr schön in eine Malocher-Stollen-Wasserwelt unten übersetzte und in eine Götter-Business-Welt oben. Vor allem für die Arbeitsseite war glücklich gesorgt, nicht zuletzt dank des kräftigen Auftretens von Leigh Melrose als Alberich, der den mit Puppen gedoppelten Rheintöchtern überzeugend zusetzte. Für die andere Seite (und erst beides macht das Kapital-Verhältnis ja komplett) fehlte Simons allerdings das entschei­dende Quentchen Mut. Gegen alle Verabredung eines Theatermachens im Industrieraum ward die Jahrhunderthalle mit einem originären Stadttheater-Bühnenbild verniedlicht. Verwässerung Nummer Zwei: Die verdruckste, mit Peep-Löchern versehene Stadthausfassade blieb im historistisch Vagen, womit Simons der Gier, der Macht und der Ausbeutung, die er zeigen wollte, ihr konkretes Ruhrgebiets-Gesicht gerade vorenthielt. Klar, eine ohne Mätzchen identifizierbare Krupp’sche Villa Hügel hätte nicht allen gefallen – aber den Vorteil gehabt, alles zu sein, nur nicht gefällig.
 

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