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v.l.n.r. Mariusz Kłubczuk (Klavier) und Mikołai Trąbka (Bariton) sowie mit dem Rücken zum Betrachter Kelsey Lauritano (Mezzosopran) und Vladislav Sulimsky (Bariton). Foto: © Monika Rittershaus
v.l.n.r. Mariusz Kłubczuk (Klavier) und Mikołai Trąbka (Bariton) sowie mit dem Rücken zum Betrachter Kelsey Lauritano (Mezzosopran) und Vladislav Sulimsky (Bariton). Foto: © Monika Rittershaus
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Von Liebe, Leidenschaft und Verlust – Christof Loy inszeniert Tschaikowsky-Lieder in Frankfurt

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Über alles künstlerische Ringen hinaus: lauter Probleme, die Dramatik beinhalten. Doch „Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn“ des unerreichten Musik-Filmers Ken Russell stammt von 1970. Und nur Boris Eifman hat 1993 und 2019 zwei Ballette um den Komponisten geschaffen. Inmitten aller kulturellen Absagen und Ausfälle nun eine Annäherung der ganz anderen Art, beobachtet von Wolf-Dieter Peter.

Es gäbe vielerlei dramatische Aspekte: die nie frei gelebte Homosexualität Tschaikowskys; der frühe Tod der geliebten Schwester; das seltsam vielschichtige Verhältnis zum homosexuellen Bruder Modest; die befremdliche Distanzbeziehung zur Mäzenin Nadeschda von Meck; das Verhältnis zu Iosif Kotek; das obskure Todesurteil eines „Ehrengerichts“; der frühe Tod durch ein Glas Cholera-Wasser. Doch Christof Loy hat einen inneren Kern gefunden, von dem die vertonte und jetzt als Titel gewählte Goethe-Zeile „Nur wer die Sehnsucht kennt“ kündet – und den Tschaikowsky selbst in einem Brief formuliert hat: „Ich kenne die Macht der Liebe schon, aber das Glück darin nicht.“ Das inspirierte Loy, 24 Lieder und drei kleine Instrumentaleinlagen zu einem intimen musikalischen Kammer-Drama zusammen zu binden.

In einem edel blau tapezierten Salon sitzt Mariusz Klubczuk am Flügel und intoniert zur Einstimmung einige Takte aus Tschaikowskys „Dumka“. An einem Tischchen sitzt zunächst versunken der männlich reife Vladislav Sulimsky und singt sich selber mit bassbaritonaler Wucht „Schlaf ein, mein Herz… was vorbei ist, ist vorbei“ versöhnlich Ruhe zu. Dann betritt durch eine der zwei hohen Seitentüren und später wechselnd durch die drei Tapetentüren der jugendlich agile Bariton Vladislav Sulimsky und singt von seligem Überschwang und erster Pein - wozu der reife Mann wissend lächelt. Dazu hat schon der hochgewachsene Tenor Andrea Carè als „Mann im besten Alter“ den Raum betreten und durchschritten, ehe er vom „schnellen Vergessen“ singt. Doch wie die drei einander betrachten, sich abwenden und dann wieder zuhören, sich mit verschränkten Armen verschließen oder resigniert auf einem der vielen edlen Polsterstühle zusammensinken – da tut sich bereits eine Bandbreite von menschlicher Diversität und Ähnlichkeit auf, die in Bann schlägt. Das vertieft die dunkelhaarige Mezzosopran-Schönheit Kelsey Lauritano im Hosenanzug, denn nicht nur das weibliche Element kommt hinzu, auch eine andere Art von Trauer. Zum kleinen Klaviertriller eilt Sopranistin Olesya Golovneva lächelnd herein; sie trägt wie eine der Ballett-Traumfrauen Tschaikowskys einen weißen Tüll-Glockenrock und singt mit ihrer dunklen Partnerin von schmerzlich erbetener Ruhe; dann wechselt sie von ihren Stiefletten in Spitzentanzschuhe; als der junge Bariton voller Emphase von der Nachtigall und ihrem Zauberwort „Liebe“ schwärmt, erhebt sie sich auf Spitzen und beschwört mit wenigen Tanzfiguren die träumerische Aura all jener Schwanenwesen. Doch nicht nur äußerlich erfüllt von da an Zauber dem Raum: Olesya Golovneva Augen, ihr Blick und ihr ganzer Ausdruck verstrahlen eine Beseeltheit, die vollends anrührt – und es gehört zum Besonderen der noch folgenden guten Stunde, dass sich zwischen allen fünf Menschen ein feingesponnenes Beziehungsgeflecht mal andeutet, mal auftut, mal zerfällt. Auch hochdramatische Züge fehlen in Tschaikowskys Romanzen nicht: die volltönende Erinnerung an „Trunkene Nächte“ – oder der Kosak, der seiner Hanna eine Korallenkette aus dem Krieg bringen soll und als er endlich heimkehrt, ist sie schon verstorben – oder Puschkins Zigeunerin Zemfira, die stolz den bulligen Kerl auffordert, sie aufzuschlitzen, wenn er sich denn traut…

Doch die knapp zwei Stunden breiten in Körperhaltungen, Blicken, kleinen mal resignativen, auch mal herausfordernden Handhaltungen und Gesten, im leidvollen Sitzen oder stolzen Anlehnen, im schweigenden Wegblicken, im schmerzlich ringenden, aber auch dumpfen Brüten einen zunächst kostbar feinen Kosmos an Zwischenmenschlichkeiten aus. Das wird dann aber so dicht, fesselnd und bedrängend, dass es wie eine entspannende Wohltat wirkt, als der eingerahmte Teil der Rückwand hochfährt, eine gemalte ländliche Ideallandschaft sichtbar wird, das Adagio cantabile aus „Souvenir de Florence“ von Mitgliedern des Frankfurter Museumsorchesters erklingt – und wie eine Mahnung an derzeit nicht erlaubte Auftritte sechs Notenpulte und Streichinstrumente verlassen da stehen… „Stumme Gespräche sind beredsamer als manches Wort“ singt Olesya Golovneva fast am Ende aus dem Off, während der reife Mann Trost im Wodka-Glas sucht. In Herbert Murauers sonst leerem Salon, in Olaf Winters mal mildem, mal kaltem Licht war aller innenweltlicher Reichtum anwesend. Was Loy mit seinen fünf Solisten der Extraklasse in mehreren Probenwochen entwickelt hat: tief berührend, wie ein hell blitzender Solitär sich über den dumpf-grellen Müll unserer Tage erhebend. Was Kunst doch kann! Und was uns derzeit vorenthalten wird – wie gut, dass es wenigstens digitalen Trost gibt!

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