Die Titelseite des Programmhefts ist voll mit hierzulande üblichen Paragraphenkürzeln. Nur mühsam lässt sich dazwischen der Name „MOSES“ buchstäblich „entziffern“. Das ist ein gelungener Einstieg in die mit „NOAH“ 2016 begonnene Zusammenarbeit von jugendlichen Migranten mit Münchner Youngstern (vgl. nmz.de/online vom 13.05.2016). Nicht nur, dass Moses in Bibel wie Koran eine Rolle spielt, da sind eine ganze Menge weiterer Parallelen zu entdecken.
Abermals in monatelanger Vorbereitung haben die gezielt an Jugendliche gerichteten Staatsopern-Programme „Campus“ und „Attacca“ die aktuellen Bezüge zwischen „Damals und Heute“ entdeckt und zu einem 90-minütigen Opus zusammengefasst. Pharaonen, Plagen, Auszug, Flucht, Gefahr und Angst, auch ein Ankommen im Ungewissen – die alt-neue Aufzählung ließe sich fortsetzen. Eine Chorleiterin, zwei Theaterpädagogen und ein Dramaturg haben zusammen mit Regisseurin Jessica Glause eine Mischung aus Bibel- und Koran-Zitaten, dazu passender persönlicher Erzählung, neuen Rap-Texten, Hashtag-Hinweisen, unreflektierten ausländerfeindlichen Sprüchen, Solo- und Chorgesang mit Adaption von Giachino Rossinis berühmten Gefangenenchor „Pietà de‘ figli tuoi“ geschaffen. Gleichsam als Atempausen wirkten die sehr hübschen Soloauftritte einer jungen Klarinettistin und Violinistin. Ein paar schnurlose Mikrofone wanderten von Hand zu Hand und der jugendlichen Begeisterung für Live-Kamera und Videoprojektion auf zwei große Leinwände im Hintergrund wurde Rechnung getragen.
Speziell diesbezüglich ist den jungen Spielern, vor allem aber dem ganzen Leitungsteam zu sagen: Jugendlicher Elan und Machen-Wollen sind erfreulich und fördernswert – aber es sollte eben nicht die „action“ im Mittelpunkt stehen. Auch in der zweiten Aufführung waren Artikulation und damit Verständlichkeit mehrfach zu schlecht. Da wäre weniger Aufwand für Äußerlichkeiten und dafür eingehende Arbeit an „klassischem“ Können wünschenswert.
Im „Rennert“-Saal der Staatsoper waren auf einer eigentlich unnötigen Drehbühne zwei Holzgerüst-Häuser gebaut: sowohl Ruinen wie ein wenig „Festung Europa“ – je nach Blickwinkel. Und dieser Perspektivwechsel dominierte dann den Abend: dass der Pass dem aus der ursprünglichen Heimat Vertriebenen oder Flüchtenden begehrtes Wunschobjekt ist, dagegen beim „Münchner Kindl“ unbeachtet irgendwo oder in der Schublade rumliegt; da kennt einer viele Länder – aber nicht als Tourist; da ähnelt der alttestamentarische „Tanz um das Goldene Kalb“ dem hiesigen Party-Wahn doch sehr… gipfelnd im Rap-Text fast zynischen „Deine Trümmer sind ja nicht in meinem Zimmer“.
All das begleitete ein achtköpfiges Instrumentalensemble, dem Dirigent Benedikt Brachtel wie schon in „NOAH“ über ein paar Rossini-Zitate hinaus eine mal Filmsound-, mal klangmalerische Basis arrangiert hatte. Dabei hat er Wünsche und Anregungen der Jugendlichen aus allen Kulturkreisen aufgegriffen – bis hin zum Bambus-Instrument Angklung aus Indonesien, was einen reizvollen musikalischen Fleckenteppich ergab. Ein männliches Trio und Quartett mit afghanischen Gesängen sowie die Chöre beeindruckten. Da war der Hauptgewinn des Projekts zu erleben: dass Musik zu einem emotionalen „Gemeinsam“ führt, dass aus einer Gruppe von Teilnehmern so etwas wie ein Ensemble entsteht – so gesehen „modellhaft“.