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Daumen hoch für Musik von Mozart, Bach, Beethoven … und mehr!

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Von Zukunft und blitzender Kreativität

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Das Mozartlabor des Mozartfests Würzburg stellte wieder die wichtigen Fragen
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Würzburg. An einer Bushaltestelle stehen orientierungslose junge Erwachsene. Bevor sie untereinander ins Gespräch kommen, kramen sie ihre Handys heraus. „Wollt ihr auch zum ‚Mozartlabor‘?“, fragt schließlich einer der Suchenden. Die Bushaltestelle steht unweit des Tagungshauses Himmelspforten, dort findet zum zehnten Mal der „Think- and Do-Tank“ des Würzburger Mozartfests statt. Die Handynavigation schafft bei der ersten Orientierungslosigkeit der jungen Stipendiat*innen schnell Abhilfe. Die Unsicherheit um ihre Rollen in und die Zukunft der Kulturbranche selbst wird noch Aufgabe der folgenden Tage werden.

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Vom 17. bis 20. Juni pulsiert das Leben im Exerzitienhaus Himmelspforten aus intensiven Proben, Präsentationen, Diskussionen und Begegnungen. Im Mozartlabor wird Musik gemacht und werden Zukunftsperspektiven gesucht, hinterfragt, verworfen und verteidigt. Gleich zu Beginn macht Intendantin Evelyn Meining klar, dass es sich beim Mozartlabor um einen „Think- and Do-Tank“, frei nach dem Mozartfest-Motto „speculire – studiere – überlege“ handle: „Das Mozartlabor ist ein sicherer Ort zum Fragen, Probieren und auch Scheitern – um daran zu wachsen und Antworten zu finden.“ Die Stipendiaten bestehend aus jungen Musiker*innen, Musikwissenschaftler*innen, Jour­nalist*innen und aus dem Regie- beziehungsweise Veranstaltungsbereich kommen dabei mit ganz unterschiedlichen Dozent*innen, Vertreter*innen der Szene und Fragestellungen zusammen.

Der Fokus liegt dabei über allem auf der Zukunft der Branche. Was sind die Perspektiven von Vermittlung, Pädagogik, Nachwuchskünstler*innen, dem Zusammenhang zu den Medien und den Konzerten an sich? Auch wenn die Veranstaltungen des Mozartfest laut Meining im Schnitt zu 90 Prozent ausgelas­tet sind, kommen die Podiumsdiskussionen dabei immer wieder gezielt oder indirekt auf die Frage zurück, wie man branchenweit dem Trend eines tendenziell mehr zurückhaltenden und alternden Publikums begegnen kann. Während dieser Debatten tun sich das Podium und die Zuhörer*innen teils schwer, zu einem Schulterschluss zwischen Traditionsverpflichtung und Innovationsnotwendigkeit zu finden. Ivan Turkalj, Cellist im New Piano Trio und bei „The Erlkings“, betont dabei entsprechend, dass es keine „entweder-oder“-Debatte geben dürfe: „Dass ich mit meinen Ensembles klassische Formen mit Klangfarben anderer Stile fülle und wir viel mit dem Publikum interagieren, heißt nicht, dass ich nicht auch gern in ein vollständig unmoderiertes Sokolov-Konzert im Wiener Musik­verein gehe: Das ist ohne Frage eine grandiose musikalische Erfahrung.“ Eine fruchtbare Koexistenz traditioneller Konzerte und neuer Formate müsse gesucht werden.

Parallel zu diesen Gedanken forschen Stipendiat*innen zusammen mit Hanni Liang, Pianistin und Dozentin für Konzertdesign an der Musikhochschule München, an solch einem neuen Format. Ihr Konzept für ein Performancekunst- und Kammermusikkonzert wird beim Mozartfest 2024 aufgeführt und soll sich künstlerisch mit den Prozessen von Schuld und Vergebung auseinandersetzen.

Etwas überraschend kam der Begriff „Schuld“ auch bei Nils Franke auf. Der Pianist, Pädagoge und Autor lässt die Stipendiat*innen seinem Gruppentitel entsprechend fragen „Who am I?“, und Forschungen zur beruflichen Realität von Nachwuchskünstler*innen der Klassikbranche reflektieren.

Intensiv berichten sie unter anderem von verunsichernden Enttäuschungen, die ihre Entscheidungen gegen eine Instrumentalistenkarriere hervorgerufen hätten. Emotional wird es auch bei gegenteiligen Entwürfen: „Wegen mir gibt es eine Ärztin weniger – und eine Flötistin mehr“, sagt eine Stipendiatin und erzählt von der mit Schuld beladenen Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Am Ende ihres Gesprächs gehen alle einig vom Podium, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben, aber weiterhin offen sein zu müssen, um die kommenden vielfältigen beruflichen Anforderungen an Musiker*innen und Kulturschaffende zu meistern. „Who am I?“ können sie nicht abschließend beantworten, aber sie seien um die richtigen Fragen und andere Antworten reicher, so die Teilnehmer*innen.

Ähnlich sinnkriselnd, aber motivierend geht es in der „Sektion Kulturjournalismus“ unter Main-Post Kulturredakteur Mathias Wiedemann zu. Sie hätte durchaus auch „Who are we“ heißen können, schließlich treffen die Diskussionen zur gesellschaftlichen Relevanz vom teuren Klassikbetrieb bei teils niedrigen Auslastungen auch den daran hängenden Kulturjournalismus hart. Von einer düsteren Perspektive ist in der Gruppe aber nichts zu spüren. Die jungen Leute bedauern keine sinkenden Printzahlen und diskutieren noch den gesamten Weg zum Abschlusskonzert über die Mängel, Möglichkeiten und Notwendigkeit eines neuartigen, medienübergreifenden Journalismus.

Das Abschlusskonzert ruft schließlich in Erinnerung, was alle verbindet: die musikalische Leidenschaft. Nach der Konzerteinführung von den Musikwissenschafts-Stipendiat*innen der Uni Würzburg (Betreuung Hansjörg Ewert) und unter den Augen der Dokumentarfilm drehenden Gesandtschaft von Musikjournalismusstudierenden aus Karlsruhe (Karsten Kurowski) treten die Kammermusik-Stipendiat*innen mit ihren Dozent*innen auf.

Mit einem vielseitigen Zusammenspiel internationaler Größen wie Pianistin und „Artiste Étoile“ des Mozartfests Ragna Schirmer, Violinis­tin Tianwa Yang und Cellist Ivan Turkalj und Jugend musiziert Bundes­preis­träger*innen geht das Mozartlabor zuende. Nach einem klanggewaltigen Klavierquintett KV 452 und einer ebenso erfrischenden wie komplexen Fuge von Florian Willeitner fängt es bei Mendelssohns Streichoktett regelrecht zu blitzen an.

Am Abreisemorgen ist die Welt vom Gewitter erfrischt, und auch wenn die Stipendiat*innen womöglich mehr Fragen als zu Beginn haben, wirkt nicht nur ihr Gang zur Bushaltestelle zurück deutlich zielgerichteter als zu Anfang.

Mathis Ubben, Stipendiat des Mozartlabors 2023

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