Rückblende: Wir schreiben Freitag, den 19. Dezember 1924. Auf dem Programm der Sächsischen Staatskapelle steht im Dresdner Opernhaus neben Mozart und Schumann auch ein Werk von Adolf Busch: das Klavierkonzert in C-Dur, eine Uraufführung, dirigiert von Buschs älterem Bruder Fritz, mit dem Solisten Rudolf Serkin, aber in Abwesenheit des Komponisten. Der tourt durch Italien, lässt sich freilich brieflich berichten, wie sehr sich der große Bruder mit dem Werk „geplagt“ hat, und ist am Ende „furchtbar stolz, dass die Sache gut gegangen ist, vor allem aber, dass Du (gemeint ist Fritz Busch, Anm. d. Red.) das Stück gut findest“.
Die Geschichte des im Sommer 1924 vollendeten Stücks beginnt im Jahr 1922. Der Geiger Adolf Busch ist längst eine Größe im europäischen Kulturkosmos. Solistisch, im Busch-Quartett, im Duett mit Rudolf Serkin, als Komponist und Pädagoge. Seine Professur an der Berliner Musikhochschule hat er aufgegeben; nun lebt er mit Ehefrau Frieda und Tochter Irene in Darmstadt. Eine Nachricht seines Bruders Fritz, im selben Jahr zum Sächsischen Generalmusikdirektor nach Dresden berufen, erschüttert ihn tief: Leni, die Jüngste der sieben Geschwister Busch, hat sich im Alter von 18 Jahren das Leben genommen. In seinem Klavierkonzert, zumal im zweiten, ruhigen Satz, gibt er der Trauer um das „liebe Menschenkind“ Raum.
„Gar nicht übel gemacht“
Die zeitgenössische Konzertkritik schwankt in ihrer Beurteilung der damals mit Spannung erwarteten Neuheit: von „gar nicht übel gemacht“ und „in allen Teilen glänzend“ bis zu „Verrauscht – zerronnen!“. Gerühmt wird durchweg der Pianist. Rudolf Serkin, dem der Freund das Werk gewidmet hat, hält das Klavierkonzert fünf Jahre lang im Repertoire. Im März 1925 ist es in Berlin zu hören und wird in der Interpretation des damals neugegründeten Berliner Symphonie-Orchesters sehr positiv aufgenommen. Dann wird es still um dieses Stück.
Fast hundert Jahre nach der Uraufführung ist es nun wieder aufgespürt und Ende Januar von der Vogtland Philharmonie Greiz Reichenbach unter Leitung von David Marlow neu aufgeführt worden. Klaviersolistin war Florence Millet, Professorin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, deren auch persönlichem Engagement diese Wiederentdeckung zu verdanken ist.
Eigene, vielfarbige Tonsprache
Bekannt war zuletzt allein der von Rudolf Serkin erstellte Klavierauszug. Die Originalpartitur fand sich im Nachlass Adolf Buschs, verwaltet von der Paul-Sacher-Stiftung in Basel. Eine Kopie stellte das Brüder-Busch-Archiv im Max-Reger-Institut in Karlsruhe zur Verfügung; auf dieser Basis erzeugte ein Kompositionsstudent der Kölner Musikhochschule eine spielbare Fassung. Diese überzeugte letztlich auch David Marlow. „Je länger ich mich mit dem Klavierkonzert beschäftige, umso mehr finde ich darin“, sagt er. Der frühere Chefdirigent der Vogtland Philharmonie war anfangs skeptisch; zu dick instrumentiert schien ihm das Stück, zu komplex, mit zu vielen Verdopplungen. Doch dann sei es ihm ans Herz gewachsen, sagt der 2020 zum Professor für Dirigieren an die Hochschule für Musik in Detmold berufene Marlow: „Es funktioniert für mich.“ Selbst wenn man den Einfluss von Johannes Brahms, Richard Wagner oder Richard Strauss nicht verhehlen könne, äußere sich Busch doch in einer sehr eigenen, vielfarbigen Tonsprache. Dieses Stück sei spannend, es lese sich „wie ein tolles Buch“.
Zweimal vereitelte die Pandemie die Neu-Premiere. So konnte das Stück reifen. Dirigent und Solistin hatten Zeit, Buschs Werk im Kontext der Musik des von ihm so bewunderten Freundes Max Reger zu spiegeln, Motive, Zitate und das Kontrapunktische herauszuarbeiten, dem Weltschmerz nachzuspüren und den Momenten freudigen Entzückens. War das Musizieren für Adolf Busch immer auch Ausdruck von Wahrhaftigkeit und Haltung, sehen sich die Protagonisten von Heute in einer besonderen Verantwortung. Sie ließen bei den vier Konzerten im Vogtland mit großer Lust am Spiel erkennen, dass hinter dem Werk eine Persönlichkeit steht, die nicht nur aufrechter Streiter, sondern auch liebevoller Vater, Ehemann und Bruder war, ein Musiker mit Sinn für Humor und Freude am Sein, ein Mensch.
Ausdrücklich unterstützt wurde das Unterfangen einer Wieder-Uraufführung des Klavierkonzerts von der Familie Busch. „Florence, du musst das spielen“, sagte Peter Serkin (1947–2020), der Sohn von Rudolf Serkin und Irene Busch, nachdem er das Stück gemeinsam mit der Pianistin Millet auf zwei Flügeln musiziert hatte. Und Adolf Buschs Sohn Thomas zeigt sich außerordentlich glücklich über das wiedererwachte Interesse am kompositorischen Werk seines Vaters. Dieses zeigt sich auch in einer gerade entstehenden CD-Produktion – mit dem Klavierkonzert C-Dur op. 31 und mit Klavier-Solostücken von Adolf Busch.
Die Wiederentdeckung seines Klavierkonzerts gehört in den größeren Zusammenhang des Projekts EchoSpore an der HfMT Köln. Es widmet sich dem Suchen und Finden von Werken jener Kunstschaffenden, deren Weg von totalitären Machtstrukturen behindert oder gar beendet worden ist. Zu ihnen zählt eben auch Adolf Busch, der sich – wie sein Bruder Fritz – strikt weigerte, in irgendeiner Form mit den Nationalsozialisten zu kooperieren. Der Geiger Busch, schon seit 1927 in der Schweiz lebend, sagte bereits im April 1933 alle Konzerte in Deutschland ab, im selben Jahr wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. 1939 ging Busch nach Amerika. Künstlerisch blieb er rührig (etwa mit der Gründung der School of Music in Marlboro) und, zumal an der Seite von Rudolf Serkin, durchaus präsent. Und doch fand er in den Vereinigten Staaten nicht das Publikum wie einst in Europa. 1949 kehrte Adolf Busch zu Konzerten auch nach Deutschland zurück; er starb am 9. Juni 1952 in Guilford im US-Bundesstaat Vermont.