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Wandel durch Handel

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Dänische Komponistenbiennale bietet ein Podium
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Im Herzen von Kopenhagen liegt das Danish Music Information Centre (MIC). 1980 gegründet, ist es Gedächtnis und Kraftwerk des dänischen Musiklebens in einem. In dem idyllischen Altbau lagert ein umfangreiches Pressearchiv, es gibt dort Datenbanken mit Tausenden von Musikadressen, mit einem ständig aktualisierten Verzeichnis dänischer Partituren, eine Sammlung mit unzähligen CDs, die Werke einheimischer Komponisten enthalten, und eine gewaltige Notensammlung.

Im Herzen von Kopenhagen liegt das Danish Music Information Centre (MIC). 1980 gegründet, ist es Gedächtnis und Kraftwerk des dänischen Musiklebens in einem. In dem idyllischen Altbau lagert ein umfangreiches Pressearchiv, es gibt dort Datenbanken mit Tausenden von Musikadressen, mit einem ständig aktualisierten Verzeichnis dänischer Partituren, eine Sammlung mit unzähligen CDs, die Werke einheimischer Komponisten enthalten, und eine gewaltige Notensammlung.>Ein Musikinformationszentrum gründet man, wenn man der Meinung ist, jemand müsse über eine bestimmte Musik besser informiert werden. In der Tat sorgt sich das musikalische Dänemark um seine Wahrnehmung im Ausland, und das möglicherweise zu Recht: Kaum einer wird dort mehrere dänische Komponisten beim Namen nennen können. Sie sind vor allem den Kennern und Liebhabern geläufig.

Nach innen freilich ist das Musikleben des Königreichs umso besser organisiert, und auch der Austausch mit den skandinavischen Ländern ist vielfältig und intensiv. 1976 verabschiedete das Land das erste Musikgesetz der Welt. In ihm wurde die Gründung eines Staatsmusikrates festgelegt, der sich seitdem um die musikalischen Belange der Schulen, Komponisten und Ensembles kümmert. Der Rat ist gewissermaßen das Oberhaupt eines weit verzweigten Netzes von Gremien und Institutionen, die sich um die Musikpflege verdient machen. Die „ernste“ und Jazzmusik stehen dabei im Mittelpunkt. Die etwa 14,7 Millionen Euro, die dem Musikrat jährlich zur Verfügung stehen, kommen teils untergeordneten Fachorganisationen wie etwa den Komitees für Rock, Jazz, Folk, Weltmusik oder direkt einzelnen Aktivitäten zugute. Der Austausch mit den anderen nordischen Ländern wird mittels mehrerer bilateraler Finanztöpfe oder über das Nordische Musikkomitee gepflegt, das den gesamten skandinavischen Raum im Auge behält.

Bei der Auslandsarbeit, die das MIC in den letzten Jahren sehr intensiviert hat, konzentriert man sich jedes Jahr auf bestimmte Länderschwerpunkte: 1997 präsentierte man dänische Musik in Australien, ein Jahr darauf in den baltischen Ländern. Ebenfalls 1998 gab es ein nordisches Festival in Düsseldorf, wo man mit dem Ensemble MusikFabrik zusammenarbeitete. 1999 folgte ein einmonatiges dänisches Musikfest in New York, 2001 eines in Hamburg und ein anderes in Birmingham. Das laufende Jahr und die kommenden möchte man dazu nutzen, in Frankreich bekannter zu werden. Im Herbst schließlich beteiligt man sich an „Magma“, dem nordischen Musikfestival, das diesmal zum ersten Mal nicht in Skandinavien, sondern in Berlin stattfindet.

Die Begegnung mit anderen musikalischen Kulturen wird vom MIC nun auch verstärkt durch Import gefördert. Man konnte die Leitung der seit 1992 in Kopenhagen abgehaltenen Komponistenbiennale – einem Festival des dänischen Komponistenverbandes – davon überzeugen, in diesem Jahr erstmals auch ausländische Komponisten und Ensembles in das Programm zu integrieren. Aus Düsseldorf kam die MusikFabrik, aus Frankreich das Meta Duo, aus England die Birmingham Contemporary Music Group. Die MusikFabrik traf sich sogar zu einer gemeinsamen Probenphase mit dem Storstrøms Kammerensemble – es war das erste Mal, dass eine solche internationale Kooperation zweier Ensembles in Dänemark zustande kam.

Die Austausch hat dem Festival gutgetan; zugleich erwies sich im Gegenüber von deutschen, französischen, englischen und dänischen Kompositionen die Qualität der dänischen Produktion. Zwei Altmeister des Tonsetzerfachs wurden auf der Biennale mit einem Chorkonzert des grandiosen Ensembles Ars Nova geehrt: Per Nørgård und Pelle Gudmundsen-Holmgreen. Beide werden dieses Jahr siebzig und können auf ein umfangreiches Schaffen zurückblicken. Beide zog es um 1960 für kurze Zeit nach Darmstadt, aber keinen hielt es dort: Die deutsche serielle Orthodoxie stieß sie ab. Nørgård entwickelte in der Folge eine ganz eigene Reihentechnik: die „Unendlichkeitsreihe“, bei der jeder Ton aus der Beziehung der beiden vorangegangenen hervorgeht; man könnte sagen, dass dieses Verfahren eine Symbiose aus „deutscher“ Reihentechnik und einem „nordischen“ Hang zum Natürlich-Evolutionären darstellt. Nørgård entwickelte seine Reihentechnik zu immer komplexeren, sich überlagernden Strukturen fort und schuf auch für seine Rhythmen ein System, das sich am Prinzip des goldenen Schnitts orientiert. Bei aller Unterschiedlichkeit seiner Werke scheint ihnen eine gewisse mystische Qualität eigen zu sein, die daraus resultieren mag, dass der Hörer tatsächlich die Existenz eines geordneten Kosmos empfindet. Mit „Mystisk Morgen“ (2000) für zwölf Solostimmen und Bassklarinette sowie der Uraufführung von „Ut Rosa“ für sechsstimmigen Chor stellte Nørgård erneut seinen Rang unter Beweis. Gudmundsen-Holmgreens Musik wirkt demgegenüber anarchischer, auch humoristischer. „Konstateringer“ von 1969 in geradezu simplizistischem Dur könnte man als kokette Kampfansage an die radikale Avantgarde der Zeit verstehen. Die vier Madrigale aus dem letzten und vorletzten Jahr handeln hingegen – unter anderem – von der Unterhaltung unter Elefanten.

Die Kooperation zwischen dem Storstrøms Kammerensemble und der Düsseldorfer MusikFabrik war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Das Konzert zeigte, was es in Dänemark auch gibt, nämlich eine Art Sibelius-Epigonentum (Gunner Møller Pedersen, „Lalandia“) und eine Spielart von Konfektionsavantgarde (Mogens Christensen, „Weltwesen“). Svend Hvidtfelt Nielsens „Flowerfall“ hatte da mehr Poesie. Nach der Pause wurde ein deutscher Komponist dem dänischen Publikum vorgestellt, der diesem bis dahin wenig bekannt war: Nicolaus A. Hubers groteskes „Rose Sélavy“ gefiel dem einheimischen Fach-publikum offenkundig einhellig.

Die Birmingham Contemporary Music Group rahmte Werke von Niels Marthinsen, Bent Sørensen und Poul Ruders ein durch eine formal konservativ angelegte Sonate für Cello und acht Instrumente von Huw Watkins und die schmerzlich-leidenschaftliche Kammersymphonie von Thomas Adès. Die Truppe aus Birmingham bietet auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik Spitzenqualität und ließ auch den drei dänischen Werken eine Sorgfalt angedeihen, die diesen zu außerordentlicher Statur verhalf. Marthinsens „En Miniature“ (1995) hat formal Anklänge an eine viersätzige Sonate und erinnert mit seinen verschmutzten Kantilenen und sozusagen naturalistischen Einsprengseln ganz von ferne an Mahler. Bent Sørensens „Sinful Songs“ (1999) ist eine betörende Klangperformance von gleichmäßig im Raum verteilten Instrumenten nebst Musikern. Poul Ruders „ABYSM“ aus dem letzten Jahr ist voller Cluster und plötzlicher klanglicher Eruptionen: drohend, unheimlich, großartig.

Zur großen musikalischen Export-Offensive hat sich nun also eine noch zaghafte Import-Initiative gesellt. Sie kann nicht von Schaden sein; denn auch wenn etwa das Numus-Festival in Århus, unter anderen, sich immer schon erfolgreich um einen internationalen Ansatz bemüht hat, bleibt doch die traditionelle Orientierung Dänemarks in Richtung Skandinavien vorerst bestimmend.

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