Substantielle Verbindungen von Film und Musik, seit einigen Jahren fester Bestandteil zeitgenössischer Komposition und Klangkunst, haben momentan Hochkonjunktur. Hannes Seidl und Daniel Kötter, die seit 2008 eng zusammenarbeiten, nutzen das Medium Film in Projekten, die sich geläufigen Genregrenzen und konventionellen Präsentationen von neuer Musik entziehen und sich folglich auch mit den gängigen Vorstellungen von „Musiktheater“ nur schwerlich in Verbindung bringen lassen.
Bei der Berliner Maerzmusik und ihrer inhaltlichen Neuausrichtung zum Diskurs-Fest über aktuelle Zeitfragen, passten ihre semi-dokumentarischen Erzählweisen natürlich wie die Butter auf‘s Brot, kultivieren sie doch künstlerische Laborsituationen, die auf experimentelle Weise der Frage nach den Bedingungen unserer Lebenswirklichkeit nachgehen und dazu geschickt Bilder, Klänge und Bühnenvorgänge kombinieren.
Erstmals gab es in Berlin die Gelegenheit, zwei Teile ihrer als Triptychon geplanten Reihe „Ökonomien des Handelns“ im Zusammenhang zu erleben: „KREDIT“ mit dem etwas ungelenken Untertitel „Von der Erwartbarkeit zukünftiger Gegenwarten“ (uraufgeführt beim Steirischen Herbst 2013) und „RECHT“ (uraufgeführt im Januar bei den Frankfurter Positionen.) Nichts Geringerem also als den großen Fragen und undurchdringlichen Zusammenhängen, die eine spätkapitalistisch globalisierte Gegenwart so bereithält, sind die ästhetischen Versuchsanordnungen von Seidl/Kötter auf der Spur. Das ist nicht wenig, klingt im theoretischen Überbau auch häufig ganz unbescheiden, ist aber im Resultat nicht selten auf faszinierende Weise ambivalent, verspielt und gelegentlich hinreißend komisch.
KREDIT
Dass es in KREDIT um die kryptischen Strukturen der Finanzwelt und ihre diffusen Auswirkungen auf uns alle geht, verheißt schon der Titel und auch die wunderbare Anfangssequenz lässt keinen Zweifel über das Thema aufkommen: die Skyline von „Mainhattan“ im Morgengrauen, aus idyllischer Entfernung angepeilt, die Vögel zwitschern, eine trügerische Symbiose aus Natur und Zivilisation als wären diese Kathedralen der Geldwirtschaft ein gottgegebener Bestandteil des Kosmos. Aus der Nähe betrachtet erscheint die Welt weniger in Ordnung – und komplizierter. Bei der Recherche gaben sich die beteiligten Banker nach Auskunft der Autoren misstrauisch bis zugeknöpft – im Nachhinein ein Glücksfall für das Projekt! Seidl und Kötter machten aus der Not eine Tugend und isolierten einfach die Bilder vom O-Ton und „fiktionalisierten“ einen dokumentarischen „Stummfilm“ auf der Bühne, der erst durch den „Soundtrack“ seine eigentliche Bedeutung bekam: ein professioneller Geräuschemacher simulierte die akustischen Ereignisse des Films; zwei Sprecher unterlegten die Arbeits- und Alltagssituationen der Banker (oft aus voyeuristischer Halbdistanz gefilmt) mit Textfragmenten, die sich aus Interviews, erfundenen Dialogen, Radioschnipseln und Passagen aus theoretischen Schriften wie Joseph Vogels „Das Gespenst des Kapitals“ zusammensetzten; zwei Musiker steuerten elektroakustische Noisetexturen bei; ein Laienchor, der sich tatsächlich aus Angestellten der Bundesbank zusammensetzte, kommentierte das Geschehen (griechische Tragödie ließ grüßen) mit Bruchstücken sakraler Musik, politischen Kampfrufen und abstrakten Lautartikulationen.
Diese vielschichte Live-Montage funktionierte sehr eindrucksvoll nicht zuletzt deshalb, weil sie die ganz und gar im Abstrakten und Spekulativen verbleibenden Inhalte von Text und Bild nur noch abstrakter und spekulativer machte und das Ganze endgültig in Bereiche des Absurden kippen ließ, was wiederum der „Realität“ sehr nahe kam: das, was das System Finanzwelt im Innersten zusammenhält, ist bekanntlich abstrakte Verheißung und reine Spekulation – eine Welt ohne Inhalt. Dabei enthielt sich KREDIT als lakonisches Spiel mit Realität und Fiktion, Original und Simulation erfreulich jeder Versuchung, den moralischen Zeigefinger zu erheben und forcierte stattdessen die monströse Belanglosigkeit und Unerklärlichkeit seines Gegenstandes. „Es ist etwas passiert außerhalb des Systems!“, lautet das Mantra der Geldverkäufer. Was genau, können auch die Beteiligten nicht mehr erklären ...
RECHT
Im Gegensatz zum dichten Gefüge von KREDIT, fiel die Spannung und Wirkung von RECHT doch merklich ab. Woran lag das? An der Versuchsanordnung selbst? Am konkreten Ergebnis der (dieses mal authentischen) Diskussionen, die über das Niveau eines Proseminars, das bei schönem Wetter auch mal draußen stattfindet, selten hinauskamen? Da hätte man mehr erwartet: mehr Reibung, mehr Verstörung, mehr Streit. Kötter und Seidl schickten eine Gruppe Rechtswissenschaftler sozusagen zum intellektuellen Campen für 24 Stunden auf eine Moselinsel, ganz in der Nähe des Ortes, wo einst das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde. Die Auserwählten sollten nichts weniger als die Grundlagen für ein neues globales Rechtssystem erörtern und die Ergebnisse am Ende des diskursiven Zeltlagers schließlich einem Boten (dem „Messenger“) übergeben. Natürlich ein Unterfangen, das im vorgegebenen Rahmen zum Scheitern verurteilt sein muss und deshalb nicht wirklich ernsthaft angestrebt werden konnte. Vielmehr ging es RECHT darum, ganz ohne Drehbuch und Regieanweisungen, die Bedingungen zu beleuchten, wie Menschen (Rechts-)Systeme überhaupt konstituieren. Die Instrumentalisten des NADAR-Ensembles fungierten dabei als ästhetische Schnittstelle zwischen Kunst und Theorie, vermittelten klanglich und szenisch zwischen Bühne und Leinwand, Realität und Spiel, improvisatorischer Freiheit und kompositorischem Regelwerk – geräuschhaft, komplex vielstimmig oder als bestens gelaunte Partykapelle.
Im großen und ganzen war das Geschehen von RECHT jedoch von einer Harmlosigkeit und Nettigkeit begleitet, die ihre Längen hatte und teilweise in merkwürdigem Widerspruch zu den potentiellen Machtkonstellationen und Gewaltpotentialen stand, die Rechtssysteme nun mal ebenso mit sich bringen wie Finanzsysteme. Da hatte KREDIT weitaus mehr sublime Abgründigkeit zu bieten. In RECHT herrschte – forciert durch wunderbar lakonische Kameraeinstellungen – eher eine Beckett’sche Zeit- und Ortlosigkeit, die dann irgendwie doch der Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns huldigte. Ein Warten auf Godot am Moselstrand ...