Die sogenannte Minimal Music hat in den siebziger Jahren musikgeschichtlich insofern eine wichtige Rolle gespielt, als sie der verständliche Protest gegen die Überrationalität war, die sich aus dem seriellen Denken heraus entwickelt hatte. Was sagt sie uns mit ihren Patterns heute? Dies zu überprüfen, ist das Staatstheater Oldenburg mit einer hoch ambitionierten Aufführung von Philipp Glass' „Satyagraha“ angetreten und das ist hoch zu loben.
Die Oper über Mahatma Gandhi ist die mittlere (1980) von drei Opern von Glass, die von Männern erzählen, die die Welt veränderten oder verändern wollten: „Einstein on the beach“ (1976) und „Echnaton“ (1984). Ob es sich allerdings um eine Wiederentdeckung für das Repertoire handeln könnte, darf eher bezweifelt werden. Das liegt an vielerlei.
Obschon der Untertitel „M.K. Gandhi in Südafrika“ ist, gibt es einen Text im Sinne einer inhaltlichen Abfolge nicht; der in Sanskrit gesungene Text basiert auf Bruchstücken aus dem altindischen Epos Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Schriften der Hindu-Religion. Es sind zeitlos gültige ethische Sprüche über Gewaltlosigkeit, manche allerdings auch mit einer Ideologie behaftet, die nervt: „Erachte als gleich Vergnügen und Schmerz, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage“. Na ja. Und dann so schlaue Sachen wie: „Tun ist besser als Nichttun“ Dann ist da diese Musik, die nach dem immergleichen Muster an- und abschwillt. Das mag dem einen oder anderen gefallen, mit dem Text – weder dem inhaltlichen der Inszenierung noch den ausgewählten Sprüchen – hat diese Methode nichts zu tun.
Da die Texte zusammenhanglos und damit unverständlich daherkommen – es bleiben Sprüche und eher simple Binsenweisheiten – und die Musik unspezifisch ist, fragte man sich: was will Glass uns eigentlich erzählen? Und da setzt die ambitionierte Oldenburger Aufführung an, die ein beeindruckendes Konzept aufweist. Die Regisseurin Andrea Schwalbach hat konkrete politische Ereignisse mit großer ästhetischer Schönheit in Szene gesetzt: als man Gandhi in Südafrika fast lynchen wollte, wird er durch die Frau des Polizeipräsidenten gerettet. Oder da sind die inhaftierten Inder mit ihren roten Turbanen, die von Gandhis Freunden befreit werden. Oder der Mord an Gandhi in dem Bambusstangenwald, die Hilfe der Freunde ist der christlichen Kreuzabnahme nachempfunden, ein großes Bild. Auch sind die Personen um Gandhi herum präzise und differenziert gezeichnet, was wiederum in der Musik leider nicht zu hören ist. Aber immer wieder schlägt die Musik der Inszenierung in den Rücken, denn die kann das Stück nicht retten.
Die musikalische Wiedergabe unter der Leitung von Carlos Vásquez war so spannend wie diese Musik überhaupt sein kann. Sind die in Harmonik, Rhythmik und Melodie einfachen, immer tonalen Muster für Holzbläser, Streicher und Orgel – so das Arpeggio zu Beginn und anschließend ganz einfach Tonleitern – einmal erstellt, schwellen sie gewaltig an und wieder ab, haben eine soghafte Wirkung, oft kontrastiert von der großen stimmgewaltigen Chorpartie.
Paul Brady als Gandhis Freund, Melanie Lang als seine Frau, Anna Avakian als Sekretärin, Hagar Shavit als Polizeipräsidentenfrau, weiter Tomasz Wija, Valda Wilson, Ill-Hoon Choung, und Alexander Murashow sangen ihre anspruchsvollen Partien überzeugend. Timothy Oliver als Gandhi befriedigte nicht ganz, zu vibratovoll die Stimme und zu wenig geheimnivolles Charisma, was spätestens bei seiner über fünfzehnmal wiederholten aufwärtsphrygischen Tonleiter am Ende erforderlich gewesen wäre. Als Experiment darf das gerne durchgehen. Ein fragwürdiges allerdings, und am Ende die Frage: So viel Mühe für was eigentlich?