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Was gefällt, wird auch gekauft

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Die dritte Kölner Musiknacht in der Dialektik von Musik im öffentlichen Raum
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Alle ausgegeben! heißt es am Kassentisch – mehr als einmal in dieser dritten Kölner Musiknacht. Wer zu spät kommt, wird mit Entzug der Programmzettel bestraft. Andererseits: Was kann einem Veranstalter wie dem „Initiativkreis Freie Musik“ besseres passieren als dass man ihm dieselben aus den Händen reißt? Natürlich hat der Ansturm auch mit einem besonderen Serviceangebot zu tun. Gespielt wird nämlich unentgeltlich, so dass tatsächlich ein einziges Ticket zu unerhörten fünfzehn Euro als Eintrittsbillet für sämtliche 100 Konzerte an 25 Spielstätten reicht – zumindest theoretisch.

Praktisch stellt sich die Aufgabe für den motivierten Hörer ein wenig anders dar. Zwar ist, von einer Ausnahme abgesehen, die Musik (eine Kölner Eigenart) auch in diesem Fall komplett linksrheinisch lokalisiert mit einem quasinatürlichen Ereigniszentrum um den Dom, nur dass bei Konzerten im 45-Minuten-Takt eine Viertelstunde für den Ortswechsel unter Umständen knapp bemessen sein kann. Ein „Wandelkonzert“ wie von den Veranstaltern der dritten Kölner Musiknacht prätendiert, ist es allenfalls für diejenigen, die es vorziehen, an einer Spielstätte zu verweilen. Für alle anderen heißt es, alsbald das Ränzlein schnüren, um den Beginn andernorts nicht zu versäumen. Wem (wie dem Rezensenten geschehen) sein strammer Schritt in diesem nächtlichen Musikparcours durchs „ale hilje Kölle“ irgendwann abhanden kommt, sieht sich (siehe oben) im Hintertreffen.

Tönendes Füllhorn

Andererseits – noch jedes Individualprogramm, das sich aus diesem tönenden Füllhorn zusammenstellen ließ, demonstrierte eindrücklich die hochgetaktete Frequenz der freien Kölner Musikszene, ohne die, soviel steht fest, die Lichter in der Domstadt ausgehen würden. Eine Einsicht, der sich auch das professionelle Stadtmarketing geöffnet hat, so dass sich die Kampagnenmacher ums hohe Gut der „Gästeankünfte“ ihrerseits zum dritten Mal beteiligten. Die „Destination Köln“, so KölnTourismus-Geschäftsführer Josef Sommer, profitiere „von dem außergewöhnlichen Event, das mit hoher Professionalität und ganz viel Herzblut vorbereitet wird“. Eine Aussage, die in allen Teilen ausgesprochen zutreffend ist. Nur eine Bemerkung des obersten Kölner Tourismusmanagers bedarf doch der vorsichtigen Nachfrage, des Nachhakens.

Wenn den Solisten der jetzt dritten Kölner Musiknacht, den Pianisten, Cembalisten, Organisten, all den Improvisationskünstlern, Liveelektronikern und Performanceartisten, den Gesangs- und Instrumentalensembles alter wie neuer Musik, den Jazzern und Weltmusikern der Domstadt – wenn ihnen von einem Kulturingenieur in Festanstellung „Herzblut“ attestiert wird, sollte sie dies nachdenklich stimmen. Vom Standpunkt der sorgenfreien Existenz mag das unentgeltliche Engagement, respektive „Herzblut“, etwas Rührendes an sich haben. Unterdrückt wird dabei geflissentlich, dass frei berufliche Musiker tatsächlich aus einer solitären Quelle leben: Aus ihren Engagements, die sie abschließen – oder nicht.

Vernetzung und Wahrnehmung

So versteht man es gut, dass der „Initiativkreis Freie Musik“ neben einer „stärkeren Vernetzung der Akteure“ auf eine „bessere Wahrnehmung ihrer Leistungen“ dringt. Denn dass sich die Interpreten beim musiknächtlichen Auftritt mit einer Aufwandsentschädigung zufrieden geben, kann seinerseits allenfalls als Good-Will-Aktion denn als wirkliche Marketingstrategie verstanden werden. Immerhin haben sich, auskünftlich des Programmhefts, „seit 1999 inzwischen fast 300 freiberuflich arbeitende Musiker, Ensembles und Veranstalter zusammengeschlossen, um auf die chronische Unterfinanzierung der Kölner freien Musikszene aufmerksam zu machen und für die Umsetzung des dringend benötigten Musikförderkonzepts einzutreten“.

Letzteres, so IFM-Sprecherin Maria Spering, hätte für die Musiker nachzuholen, was für die Bildenden Künstler und Theaterleute bereits vorliegt. Es gehe um beides: Das Bewusstsein der Freien dafür zu stärken, welche unverzichtbare Rolle sie für den Werbeartikel „Musikstadt Köln“ spielen und dass dies gegebenenorts, in Politik und Öffentlichkeit, wahrgenommen, gewürdigt wird.

Nicht nur mit Worten. Natürlich freue man sich über die Beteiligung so potenter Partner wie der Kölner Philharmonie und des Westdeutschen Rundfunks. Umgekehrt, vermutet Maria Spering, halte man professionellerseits wohl auch nach neuen Publikumsschichten Ausschau. Dass die Schaufelräder der Großen vom Schwung der Kölner Musiknacht ein wenig mitgetrieben werden, mag in Ordnung gehen, wäre da nicht die andere Seite, die Sorge der Freien, dass ihnen in einem prinzipiell unkalkulierbaren Marktgeschehen das Wasser abgegraben wird.

Wie man es dreht und wendet: Die Kölner Musiknacht der freien Szene, so bewundernswert und erfolgreich sie auch in ihrer dritten Ausgabe ist, bleibt mit der grundsätzlichen Zwickmühle, der Dialektik von Musik im öffentlichen Raum konfrontiert. Bekanntermaßen hat man es dort mit Konsumenten zu tun, die sich, wie beim Shoppen, auch in ihrem Musikgeschmack, in ihrer Musikwahrnehmung vom Gusto leiten lassen: Was gefällt, wird gekauft. Was nicht, wird Ladenhüter.

Das Innovative in der Kunst, das naturgemäß noch ohne Muster und Vergleich ist, hat es schwer in diesem Milieu. Nicht gering insofern die Gefahr, dass die Erwartungshaltung von Konsumenten in Vorbereitung wie Durchführung der Produktionen einfließt, dass Stil, Ausdruck und Haltung dadurch bestimmt werden. Anzeichen dafür waren auch bei der Kölner Musiknacht zu erkennen. Bedrückend zu sehen, wie die in den Spielstätten-Reigen einbezogene Antoniterkirche, eine (wie man dachte) letzte Bastion in einer wuchernden Shoppingwelt, von Konsumpalästen und Kommerzbuden buchstäblich stranguliert worden ist. Der äußeren, so bereitwillig hingenommenen Verschandelung (nicht nur) dieses architektonischen Kleinods, korrespondiert eine drohende Anpassung der Akteure: Musik als konsumatorisches Ereignis – von der beteiligten KölnTourismus GmbH in Gestalt ihres Geschäftsführers dankenswerterweise auf den Punkt gebracht: „Sie können musikalisch erfahren: Köln ist ein Gefühl.“

Dem zur Verabschiedung anstehenden „Musikförderkonzept“ des IFM wäre zu wünschen, dass es dagegen – im Bewusstsein einer gar nicht mehr so abstrakten Anpassungsgefahr an den Zwang der Verhältnisse – (wieder) die Freiheit der Kunst ins Spiel bringt. Allzuviel „Herzblut“ sollte nicht mehr fließen müssen.

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