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Was Interpretation Neuer Musik heute bedeutet

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Zur 66. Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt in der Akademie der Tonkunst
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Tagungsleiter Jörn Peter Hiekel sprach in seinem einleitenden Vortrag unter anderem über die sogenannte „komponierte Interpretation“, also darüber, was Original und was Zitat in der schöpferischen Ausführung sind. Eine Frage, welche auch die anwesenden Komponisten Hans Zender und Johannes Schöllhorn in Gesprächen wieder aufgriffen. Kalligrafie ist für den auch als Dirigenten prominenten Zender hierfür ein Beispiel. Orthodoxes Lernen geht hier mit Individualität zusammen. Jeder Autor schafft ein Textgeflecht, ein Früheres, auf welches er sich bezieht.

Auch der Komponist ist in diesem Sinne Interpret. Angelika Bender (Flöte) und Wolfgang Lessing (Violoncello) spielten am 14. April Zenders Haiku-Vertonungen „LO-SHU VI“ und griffen fließend den Duktus der Gesten, die die Silben des Haikus bilden, ab. Schöllhorn stellte im Vortrag zu seiner „Musik über Musik“ die Frage nach Originalität. Er bearbeitete in seinem elegisch, ruhigen „Madria“, das Carl Rosman (Klarinette), Eva Zöllner (Akkordeon) und Niklas Seidl (Violoncello) beim Eröffnungskonzert am Mittwoch aufführten, Klauseln des Renaissance-Komponisten Francesco Landini. Auch Musikanalyse bedeutet Interpretation. Als Leiter der Forschungsgruppe „Eine kontextsensitive Theorie post-tonaler Klangorganisation“ (Graz) stellte Christian Utz den neuen Begriff „Morphosyntax“ vor, der Hörstrukturen zu beschreiben erlaubt, die sich in eine morphologische Perspektive und in syntaktische Verbindungen im Zeitverlauf,  in psychoakustische Phänomene und Präsenzästhetik, unterscheiden lassen. Der Cellist und Professor für Musikpädagogik (Dresden) Lessing erläuterte anhand von Helmut Lachenmanns zwei Fassungen seines „Pression“ für Violoncello (1969/2010), wie die Tatsache, ob ein Stück in Zeitnotation, also Vorgaben in Sekunden, oder in konventioneller Taktvorschreibung geschrieben ist, einen Unterschied in der Interpretation, in Betonung und Phrasierung, bedeutet. 

Den Blick auf die Rolle des Musikkritikers als Interpret von Uraufführungen richtete der Musikprofessor und Mitbegründer des Instituts für Musikalische Rezeptions- und Interpretationsgeschichte am Mozarteum, Salzburg, Wolfgang Gratzer.

Den Schwerpunkt legten die Veranstalter in Vorträgen, Gesprächen und Konzerten auf das Schaffen der zwei englischen Composers in Residence Brian Ferneyhough und Rebecca Saunders. Zur Komplexität der Werke Ferneyhoughs sprachen am Freitag unter anderem der Komponist und Musikprofessor Jörg Mainka (Berlin) und der Musikwissenschaftler Klaus Lippe (Wien). Interpretation von Spielerseite rückte dann in den Vordergrund: Ferneyhough schreibt Partituren, in denen einzelne Details sehr genau vornotiert sind, so dass Theoretiker sie mit dem Begriff „komplex“ und „unspielbar“ beschreiben. 

Doch die Begründung für diese Genauigkeit in der notationalen Spezifizierung, die Ferneyhough im Gespräch mit Hiekel gibt, ist durch ihr Gegenteil bestimmt: dass Notation aufwirft, dass es verschiedene Arten der Interpretation gibt.

Einen musikanalytischen Ansatz zu Saunders Werk, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre mit komplexen Strukturen – zuvor mit Farben – in ihren Kompositionen beschäftigt hat, fanden am Samstag der Fagottist und Professor für Musikpädagogik Wolfgang Rüdiger und der israelische Komponist und Musikwissenschaftler Yuval Shaked. Saunders arbeitet bei der Komposition eng mit den Interpreten zusammen, unter anderem beim Violinkonzert „Still“ (2011) mit der Violinistin Carolin Widman und bei „Caerulean“ für Bassklarinette (2011) mit Carl Rosman. 

In „Caerulean“, das Rosman am Mittwoch aufführte, sind fragile Multiklänge zu hören, bei denen man nicht sicher sein kann, dass sie klar und ganz ertönen, so Saunders, sie werden durch zusätzliches Unter- und Überblasen, durch Triller, Flatterzunge und in der Grifftechnik bis an die Grenzen der Spielbarkeit ausgereizt. 

Neben der Zerbrechlichkeit von Klängen interessiert sich Saunders für die Körperlichkeit von Klängen und ihrer Setzung in Stille. Inspirieren ließ sie sich bei „Caerulean“ von Samuel Becketts „Stirrings Still“.

Das 1993 in Darmstadt gegründete ensemble phorminx spielte am 12. April unter anderem Saunders „the under-side of green“ für Klarinette, Violine und Klavier aus der frühen Schaffensphase Saunders, von 1994, dem Joyces „Ulysses“ zugrunde gelegt ist. In der Interpretation von Ferneyhoughs „On Stellar Magnitudes“ erfasste das Ensemble (Sopran: Carola Schlüter) die Poesie der äußerst komplexen Konstellationen, denen 17 aphoristische Fragmente sowie textlich Sternnamen zugrunde liegen.  

Stille und Einschränkung in der Materialvielfalt sind Eiko Yamadas Antworten auf die Frage, inwiefern sich Improvisation in Konzepten vorbestimmen lässt. Ihr „Spielform VI“ spannte sie an der Blockflöte mit Alwynne Pritchard, Helmut Bieler-Wendt, Markus Eichenberger, Matthias Handschick und Volker Staub, an den übrigen Instrumenten, elegisch-ruhig am Freitag auf. Staub trug dann sein „In Memoriam Violectra“ für Stahlsaite und Live-Elektronik vor, das er dem 2010 verstorbenen Komponisten und Improvisator Johannes Fritsch widmete. Der mit einem Violinbogen an einer weit über die Bühne gespannten Stahlsaite interpretierende Staub beeindruckte mit seinen Klängen, begleitet von Pritchard an der Live-Elektronik. 

Die Frage, ob Interpretation, die zunächst „auslegen“ meint, und „freie“ Improvisation ein Paradoxon bilden, beantwortete die Musikwissenschaftlerin Nina Polaschegg in ihrem Vortrag damit, dass Improvisation Interpretation eines Idioms sei. Sie ist Kopie, Fortschreibung, Variation oder Transformation. Was dies bedeutete, zeigte sie zusammen mit Christoph Schiller, mit dem sie das Duo 2CV bildet, und dem Turntablekünstler dieb13 in ihrer Improvisation am Freitag. Zwischen den digitalen Remixes improvisierte Schiller auf dem mit Gabeln und Styropor sowie anderem präparierten Spinett, Polaschegg auf dem Kontrabass, ebenso expressiv, wie zum Teil auch introvertiert zurückgenommen, im Nachtkonzert, im Gewölbekeller des Jazzinstituts Darmstadt.  

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