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Weltweiter Kulturaustausch und neue Konzertformen

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Das Berliner Festival Young Euro Classic im 18. Jahrgang
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Bei Young Euro Classic, dem weltweit wichtigsten Festival für Jugendorchester, spielt der Dialog der Kulturen eine wichtige Rolle. Gleich der erste Abend war der Begegnung mit China gewidmet. Ein Ensemble, gebildet aus Studierenden des Zentralkonservatoriums Peking, der Musikhochschule „Hanns Eisler“ und des Berliner Julius-Stern-Instituts, spielte auf europäischen und chinesischen Ins-trumenten Werke von Mozart, Schumann und Bach in chinesischen Bearbeitungen. Nach nur fünf Probentagen kam es zu einem erstaunlich guten Zusammenspiel.

Das aus Stockholm angereiste O/Modernt Kammarorkester versuchte den Kulturdialog mit neuen Konzertformen zu verbinden. Im abgedunkelten Saal des Berliner Konzerthauses flocht es Auftritte indischer Tabla- und Sarod-Spieler übergangslos in meditative Werke von Arvo Pärt und Peteris Vasks ein, riskierte damit aber auch eine gewisse Unverbindlichkeit. Dagegen bot das Bundesjugendorchester unter Leitung von Patrick Lange ein originelles audiovisuelles Programm mit wirklichen Entdeckungen wie dem sowjetischen Animationsfilm „Die Glasharmonika“ (1966) mit der ebenso surrealistischen Musik Alfred Schnittkes. Den 1921 geschaffenen Zeichentrickfilm „The Pet“ erlebte man mit einer neuen Filmmusik von Clemens Rynkowski mit umfangreichem Schlagwerk sowie Theremin.

Üppig finanziert durch die Nord Stream AG, die Betreiberin der 2011 eingeweihten Unterwasser-Gasleitung  unter der Ostsee, bot das Baltic Sea Philharmonic Orchestra ein dem Element Wasser gewidmetes Programm. Unter der lebhaft animierenden Leitung Kristjan Järvis spielten die Mitglieder aus zehn Ostsee-Anrainerstaaten Wassermusiken von Händel, Gene Pritsker, Charles Coleman und Philip Glass (Aguas de Amazonia). Begleitet wurde das Ganze von einer aufwändigen Light Show, die von Geräuschen begleitet eine Unterwasser-Situation simulieren sollte. Auf die Dauer wirkte sie aber störend, zumal die Disco-Jugend, die dies vermutlich genießt, im Saal fehlte.

Das I, Culture Orchestra wurde von der polnischen Regierung 2011 zur Zeit ihrer EU-Präsidentschaft gegründet, existiert aber trotz der dort inzwischen verbreiteten EU-Skepsis weiter. Auf dem von Andrey Boreyko geleiteten Programm standen neben überaus naiven Werken von Valentin Silvestrov (Der Bote) und Nikolai Korndorf (The Smile of Laud Lewis), Beethovens Violinkonzert sowie als grandioses Finale Witold Lutoslawskis Konzert für Orchester. Bewegend war der höchst konzentrierte Auftritt von Chor und Orchester der Elisabeth University of Music Hiroshima mit dem erstmals in Berlin zu hörenden Oratorium „Sternlose Nacht“ von Toshio Hosokawa, einem Requiem für die Bomben-Opfer von Dresden und Hiroshima, das leise Töne zu starker Wirkung brachte. Ebenfalls als politisches Statement zu verstehen war das Gastspiel der Nationalen Jugendphilharmonie der Türkei. Der Pate des Abends, der ARD-Journalist Rolf-Dieter Krause, gab dem Westen eine Mitschuld an der heutigen Situation am Bosporus. Unter Erdogan wird inzwischen die neo-osmanische Kultur mehr gefördert als westliche Musik. Die Zukunft der jungen türkischen Orchestermitglieder ist deshalb ungewiss. Glück hatte dagegen Hande Küden, die brillante Solistin von Tschaikowskys Violinkonzert: sie ist heute stellvertretende Konzertmeisterin des Deutschen Symphonie-Orchesters.

Das Schleswig-Holstein Festival Orchester, das Musiker und Musikerinnen aus 26 Nationen umfasst, bot diesmal unter Christoph Eschenbach beeindruckend differenziert Messiaens monumentale Turangalila-Symphonie. Qualitativ durchaus vergleichbar war das vor 20 Jahren gegründete Asian Youth Orchestra, das auf seiner Jubiläums-Welttournee zum ersten Mal in Berlin gastierte und unter Leitung von James Judd Mahlers 1. Symphonie verblüffend authentisch bot. Das Publikum reagierte mit Jubel und Ovationen.

Ein gern gesehener Gast ist das ausschließlich aus europäischen Musikern bestehende Gustav Mahler Jugendorchester. Im Jubiläumsjahr seines 30-jährigen Bestehens wurde die Sommertournee von Ingo  Metzmacher geleitet, mit dem das Orchester bereits gute Erfahrungen gemacht hat. Mit einem ebenso kontrastreichen wie anspruchsvollen Programm wurde der Auftritt zu einem Höhepunkt des Festivals. Den suggestiven Klängen von Schönbergs „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“ folgte Gershwins Klavierkonzert in F, bei dem die Holzbläser sogar die dirty notes stilgerecht realisierten, während der Solist Jean-Yves Thibaudet in den einschmeichelnd leisen Partien seine besten Momente hatte. Nach der Pause ließ der brodelnde Expressionismus von Bartóks „Wunderbarem Mandarin“ aufhorchen, nicht weniger die enorme Farbigkeit in Ravels „Daphnis und Chloé“-Suite. An Klang-sinn und Flexibilität schien das Mahler Jugendorchester die anderen großen Klangkörper noch zu übertreffen.

Seit Jahren wirbt Young Euro Classic mit dem Motto „Hier spielt die Zukunft“.  Tatsächlich sind die Jugendorchester eine wichtige Basis für die professionellen Klangkörper. Viele Musiker werden diesen Übergang aber nicht schaffen. Ratlosigkeit herrschte, als Dieter Rexroth, der künstlerische Leiter des Festivals, in seiner Moderation beim Deutschland-China-Projekt die Musiker nach ihrer Zukunft fragt. Dem portugiesischen Jugendorchester, so erfuhr man, droht sogar das Ende.  Optimistischer macht dagegen, dass die Jugend aus Polen und der Türkei trotz der Kapriolen ihrer Regierungen selbstbewusst die europäischen Begegnungen fortsetzt. Abgesehen von Hosokawas eindrucksvollem Oratorium fiel die Begegnung mit neuen Werken in diesem Jahr etwas magerer aus sonst. Gediegenes Handwerk dominierte. „Haydar Haydar“ von Ali Özkan Manav, präsentiert von den Türken, war die effektvolle Orchestration einer bekannten Baglama-Melodie, „As the Heart Soars“ (Wenn das Herz sich erhebt) von  Chun-Wai Wong, das den Auftritt des Asian Youth Philharmonic eröffnete, eine optimistische Hymne auf die Stadt Hongkong. Der Europäische Komponistenpreis ging an die 20jährige, in Lissabon studierende Portugiesin Mariana Viera für ihr Stück „Raiz“, das der Jury zufolge dem Publikum „unerhörte Klanglandschaften“ eröffnete.

Fast alle Konzerte waren ausverkauft und die Konzerteinführungen gut besucht. Früher sah man allerdings im Publikum mehr Jugend. Dies liegt sicher an den wiederum erhöhten Eintrittspreisen, die im 18. Jahrgang des Berliner Festivals nun zwischen 17 und 29 Euro liegen. Für manche Interessenten, nicht zuletzt für Familien, wurde der Konzertbesuch damit unerschwinglich. In den ersten Festivaljahren hatte der Eintritt noch 8,50 Euro auf allen Plätzen gekostet.  Damals gab es auch noch mehr Begegnungen der jungen Musiker untereinander. Immerhin durften in diesem Jahr die Mitglieder des Jovem Orquestra Portuguesa das Konzert des Gustav Mahler Jugendorchesters besuchen.

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