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Adriane Queiroz (Elsa) und Ensemble. Foto: Pascal Bünning
Adriane Queiroz (Elsa) und Ensemble. Foto: Pascal Bünning
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Wenig Sehnsucht und kein Lohengrin: „Sehnsucht.Lohengrin“ an der Berliner Staatsoper

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Eigentlich eine schöne Idee, Wagner für Kinder von Kindern mit Kindern zu realisieren und diese auch noch die Chorpartien eines Großteils der Partitur unisono singen zu lassen, so dass auf die Besetzung sämtlicher Rollen jenseits des hohen und des finsteren Paares verzichtet werden kann.

Das bewährte „Kinderopernhaus“ der Staatsoper Unter den Linden, mit inzwischen sechs Standorten in Berlin, musste diesmal zunächst längere Zeit online proben und das Premierendatum vom Mai in den Oktober verschieben, bis sich schließlich alle Beteiligten auf der neuen Experimentierbühne der Staatsoper trafen um dort eine eigene Version von Richard Wagners „Lohengrin“ zu realisieren.

Ausstatterin Rebekka Dornhege Reyes hat eine weiß gestylte Guckkastenbühne mit hochgebocktem Kammerorchester in den Alten Orchesterprobensaal gestellt. An die weiße Bühnenschräge schließt sich ein zweistufiges Orchesterpodest für solistische Streicher, Flöte, Klarinette, Bassklarinette, Horn und Posaune an. Der orchestrale Clou des Arrangements von Dirigent Uwe Sochaczewsky ist jedoch ein Akkordeon, welches einen Großteil der Harmoniemusik übernimmt und in der Mischung mit Flöte, zu Beginn des verkürzten Vorspiels, sogar einen scheinbar bekannten, gleichwohl eigenartigen Wagner-Mischklang entstehen lässt.

Die deutlich verkürzte Fassung der Romantischen Oper hätte pausenlos sicherlich mehr Schlagkraft besessen, aber nach 47 Minuten verkündet der Fake einer Brandsirene und die entschuldigende Ansage zweier Kinder, die Staatoper „brenne nicht – noch nicht!“ eine zwanzigminütige Lüftungspause. Als „Überraschung“ angekündigt, wird im Foyer auf einem Monitor dargeboten, was die beteiligten Kinder über diese Handlung und ihren Bezug zur Gegenwart denken.

Dann geht es weiter, mit „In Früh‘ versammelt uns der Ruf“, wenigstens der ersten Zeile jenes Doppelchores, der selbst an mittleren Bühnen häufiger gestrichen wird. Vier unterschiedlich hohe quadratische Podeste mit Dächern, deren Trägerstangen im Spiel auch anders, zuletzt als eine Art Scheiterhaufen eingesetzt werden, bilden unterschiedliche Mini-Räume. So ist Elsa bei ihrem „Ihr Lüfte, die mein Klagen“ hinter einem Schleier als Schattenriss zu erleben. Hintereinander positioniert, bildet das Podestgeviert Stufen, auf denen Elsa am Ende des zweiten Aktes in die Kirche hinabschreitet.
Anschließend bilden die vier Podeste so etwas wie ein Brautbett, und mit Nachdruck fordert Lohengrin bei seinem „Wir sind allein“ durch das Forcieren des Wortes „allein!“, dass die Kinder, die zum Absingen des Brautchors in gleichgeschlechtlichen Paaren getanzt hatten, sich nun an den Rand des Bühnenpodests zurückziehen. Aber auch nach deren Abwenden weiß der Held nicht so recht, was er mit Elsa anfangen soll und nestelt daher am Stoff des Baldachins herum. Dann folgt rasch die verkürzte Gralserzählung, bei der man merkt, dass der Sängerdarsteller sie schon ein paarmal mehr gesungen hat als die übrigen Passagen der Titelpartie.

Die Regieführung haben sich, infolge der Verschiebung der Produktion, Ulrike Schwab und Georg Schütky geteilt. Zu den Seltsamkeiten zählt, neben kollektivem Aufstampfen mit den Füßen (das auch für Elsa angeordnet ist), dass Lohengrin, wenn er den Schwan begrüßt, das Bühnenpodest verlässt, ein Fenster öffnet und durch die Jalousie nach draußen schaut. Da der Überfall durch Telramund im Brautgemach gestrichen ist, überlebt der Intrigant im Dienste seiner Gemahlin als stumme Jule (mit überaus seriöser Miene fragwürdig: Ulf Dirk Mädler); am Ende wird er – mangels eines vom Schwan zu Gottfried rückverwandelten rechtmäßigen Herzogs – als neuer Herzog von Brabant besungen.

Solcher Geschichtspessimismus vermag den Rezensenten – inmitten der durch Staatsopernangehörige angereicherten 24 Premierenbesucher*innen kalt zu lassen, nicht jedoch die fragwürdige sängerische Qualität dieser Aufführung. Adriane Queiroz als Elsa, mit kernigem Sopran und Textverständlichkeit, bildet dabei einen einsamen Lichtblick. Das ist insofern besonders bedauerlich und bedenklich, als sie die Bedeutung der hier zauberhaft engagiert auftretenden, als junges Publikum von Brabant im Spiel selbst singenden und mutig agierenden Gruppe von 19 Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 14 Jahren schmälern. Auch vermag das Gesamtergebnis wohl kaum weitere junge Besucher „ab 8 Jahren“ für das Kunstwerk Oper zu begeistern.

Noch ein Wort zur musikalischen Kurzfassung, die zum Teil neue Akkorde und neue und kürzungsbedingt veränderte Gesangslinien mit sich bringt: Manchmal teilen sich die Kinder auch in Gesangslinien jener Personen, die gleichwohl anwesend sind, wie etwa bei Elsas „Einsam in trüben Tagen“. Ansagen des Heerrufers und des Königs sind, als Chor ausgeführt, textlich in den Plural transformiert. Die martialische Ebene, also die Heerbildung für den bevorstehenden Krieg ist ganz ausgeklammert, aber „das deutsche Schwert“ als Kopf-Thema ließ sich denn im Schlussakt doch nicht ganz eliminieren – und wirkt, mit Blech betont, wie eine Verballhornung, die ins Leere führt.

Braver Applaus nach der eindreiviertelstündigen „Lohengrin“-Version. Von Sehnsucht bleibt an diesem „Sehnsucht. Lohengrin“ betitelten Abend wenig übrig – aber vielleicht die Sehnsucht nach dem kompletten und musikalisch adäquaten WWV 75, das nach dem TV-Streaming seine Publikumspremiere im Dezember noch vor sich hat.

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