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In einer Halle, eines alten Kraftwerks (weißgestrichene Wände, hohe rundbogen Fenster mit Säulen davor). In der Mitte ist eine Bühne umringt von Kindern mit der Schauspielerin in buntem Rock auf der Bühne.

Die Schauspielerin Isabelle Vogt moderierte das „Spannungen“-Kinderkonzert. Foto: Claudia Irle-Utsch

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Wenn eins ins andere greift

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Das Kammermusik-Festival „Spannungen“ elektrisiert auch das ganz junge Publikum
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Es ist, was es ist: ein Fest der Kammermusik, sich selbst nie genug, sondern immer mit dem Anspruch, weiter zu gehen, Grenzen auszuloten. Die „Mischung aus großer Ernsthaftigkeit und größter Wildheit“, sei es, was das Fes­tival ausmache, sagte der Geiger Chris­tian Tetzlaff im Juni am Abend des Eröffnungskonzerts von „Spannungen“. Im zweiten Jahr nach dem Tod des Gründers und langjährigen Festivalleiters Lars Vogt (1970–2022) hat er die künstlerische Leitung übernommen. Und gab sich fest entschlossen, dieses Mal und auch künftig genau jene musikalischen Ideen ans Publikum weiterzugeben, „die wichtig für die menschliche Seele“ sind.

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„Spannungen“ findet seit 1998 im idyllisch gelegenen Jugendstil-Kraftwerk der RWE AG bei Heimbach in der Rureifel statt. Das ist ein außergewöhnlicher Ort, der stets im Frühsommer eine Festivalwoche lang zur Spielstätte für Musikerinnen und Musiker wird, die miteinander können: in der Klassikwelt renommierte Größen ebenso wie jene, die dabei sind, sich zu etablieren, und für die eine Teilnahme durchaus richtungsweisend sein kann. Es stehe ein Generationswechsel an, unterstrich Christian Tetzlaff, der selbst vor einem Vierteljahrhundert zu jenen zählte, die in Heimbach tolle Musik, aber abseits von Proben und Konzerten auch „Spökes“ machten: „Es werden wieder deutlich jüngere Künstler kommen.“

Das junge Publikum hat „Spannungen“ von Beginn an im Blick. Es gibt traditionell ein Kinderkonzert für Schulklassen aus der Region sowie einen „Wandertag“, bei dem Schülerinnen und Schüler rund ums Abitur exklusive Einblicke in den Festival-Alltag bekommen. Neu war in diesem Jahr ein Matineekonzert am Sonntagmorgen, das die ganze Familie ansprechen wollte.
Bei den Musikvermittlungsangeboten ist die Berliner Schauspielerin Isabelle Vogt ein Dreh- und Angelpunkt. Die Tochter von Lars Vogt moderierte mit Humor und hellwachem Geschick das Kinderkonzert, bei dem 500 Kids erlebten, wie viel Spaß klassische Musik machen kann (etwa beim Trommel-Duett mit einem rosa Kaninchen), mit welcher Virtuosität hier gespielt wird – und: wie sehr ein Werk unter die Haut gehen kann. Charlotte Brays „A Lost Place” feierte 2023 als Auftragskomposition bei „Spannungen“ seine Uraufführung. Jetzt waren die Kinder gefragt, was sie mit dieser zeitgenössischen Musik für Violine, Bratsche und Cello assoziieren. Ihre Antworten kamen prompt: Wut, Hass, Tod, Angst, Trauer. „Als ob jemand gestorben wäre ...“ Richtig oder falsch, das ist Isabelle Vogt wichtig, gibt es bei diesem Musikempfinden nicht. Allerdings kamen die Schülerinnen und Schüler durchaus vorbereitet ins Konzert, waren doch die beteiligten Lehrkräfte im Vorfeld mit Ideen zur Einstimmung versorgt worden. 

Für die schulpädagogische Arbeit zeichnet Pia Hoffmann verantwortlich. Die Grundschullehrerin weiß, was Kinder musikalisch anspricht. Vor zehn Jahren gewann sie mit ihrem Schulchor den von der RWE AG gestifteten Förderpreis; inzwischen ist sie es, die verantwortlich danach schaut, wer diese Auszeichnung verdient hat. 2024 durfte sich die Martinusschule Schlich über das Preisgeld von 500 Euro freuen. Die Begründung: Die Schule hat ein ausgeprägtes Musikprofil mit vokalem Schwerpunkt. Pia Hoffmann: „Alle Kinder singen jeden Tag.“ Am Tag der Preisverleihung sangen sie dann auch auf der großen Bühne in Heimbach.

Stimmig greift bei „Spannungen“ das Eine ins Andere. Dazu gehört, dass sich die Musikvermittlung letztlich an alle Interessierten richtet. Zu jedem Konzert gibt es auf der Website des Festivals eine Video-Programmeinführung mit dem pensionierten Lehrer und Musikjournalisten Pedro Obiera; und dass Maja Ellmenreich vom Deutschlandfunk beim Eröffnungs- und beim Abschlusskonzert als Moderatorin dabei ist, hilft dem Publikum beim Einordnen und besseren Verstehen des Gebotenen. Alle acht Abendkonzerte sendet der Deutschlandfunk im Nachgang bis April 2025 als „Konzertdokument der Woche“.

Der passionierte Pädagoge Obiera gestaltet auf mitreißende Weise den „Wandertag“ mit. Dieses Mal hatten sich zehn Schülerinnen und Schüler des Dürener Gymnasiums Am Wirteltor für die Teilnahme gemeldet. An ihrer Schule hat Lars Vogt einst sein Abitur gemacht. Er war immer wieder zu Besuch, um etwa mit seiner Initiative „Rhapsody in School“ für die klassische Musik zu werben; seit diesem Sommer gibt es einen Saal, der seinen Namen trägt.

Der „Wandertag“ der Gymnasiasten, zu dem auch ein Probenbesuch und eine Wanderung vom Ort zum Kraftwerk gehören wird, beginnt im Astoria Hotel, der „Basisstation“ des Festivals. Am langen Esstisch gesellt sich die Pianistin Danae Dörken zu den Jugendlichen und spricht von dem, was „Spannungen“ für sie bedeutet: „Es ist ein Festival, das einen unglaublich bereichert. Vieles davon trägt man weiter, das ganze Jahr.“ Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Kiveli habe sie sowohl Rachmaninoffs „Sinfonische Tänze für zwei Klaviere“ als auch Debussys „En blanc et noir“ eigens für die Konzerte in Heimbach einstudiert. Neues hier zu präsentieren sei hilfreich, weil diese besondere Atmosphäre beflügele. Zugleich fordere der freundschaftlich-professionelle Rahmen heraus: Gerade hier wolle man ein Werk natürlich besonders gut spielen.

Wie hoch die Wertschätzung der bei „Spannungen“ beteiligten Musikerinnen und Musiker ist, zeigt sich spätes­tens beim großen Applaus am Abend. Unten auf den Rängen klatscht das Publikum begeistert in die Hände. Auf der Empore des Kraftwerks aber, wo die Künstlerfamilie ihren Platz hat, wogt wieder und wieder eine La-Ola-Welle. Und schwappt über: auf die Schülergruppe vom Wirteltor. Das Festival hat gewonnen.

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