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Die Pianistin Rei Nakamura während ihrer Performance. Foto: Kai Hanneken
Die Pianistin Rei Nakamura während ihrer Performance. Foto: Kai Hanneken
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Wenn es in der Elektronik knistert, funkt und kracht

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Das im Karlsruher ZKM beheimatete Festival Piano+ ist fünf Jahre alt geworden
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Die Konzertreihe Piano+ („Piano plus“), die alljährlich im Dezember im Zentrum für Kultur und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe stattfindet, konnte nun ihr fünfjähriges Bestehen feiern. Die für das Programm verantwortliche Pianistin Catherine Vickers kann eine höchst erfolgreiche Bilanz vorweisen.

Werke von 59 Komponisten, darunter 14 Uraufführungen, an denen insgesamt 39 Interpreten und 21 Klangregisseure beteiligt waren, stehen auf der Liste der Aufführungen, die seit 2005 im „Kubus“ er-klungen sind. „Kubus“ heißt der kammermusikalisch intime, technisch perfekt ausgerüstete Konzertsaal des Instituts für Musik und Akustik im ZKM. Ein idealer Ort für eine Konzertreihe, die, wie ihr Name besagt, auf die Erweiterung des Klavierklangs durch technische Mittel ausgerichtet ist.

Gleichsam exterritorial erfolgte die postume Uraufführung von Stockhausens „Strahlen“, eine Umarbeitung des Chorstücks „Hoch-Zeiten“ aus dem „Licht“-Zyklus; sie geriet, wie bei diesem Komponisten üblich, zum gro-ßen Bahnhof.

Das Stück erklang zur Eröffnung einer Ausstellung mit Kunst aus privaten Sammlungen Baden-Württembergs vor einem erlauchten Publikum aus Politikern, Wirtschaftsleuten und Sammlern. Dass aber nach zwanzig Minuten unter der versammelten Festgemeinde ein unaufhaltsamer Exodus einsetzte, lag nicht nur an den sechs vorangegangenen Reden, sondern auch an der Komposition. Mit dem monotonen Solopart des Vibraphons und dem trotz zehn Kanälen wenig aufregenden Raumklang (Klangregie: Kathinka Pasveer) wirkt es wie ein gewaltiger sacharingesüßter Hefeteig und dürfte vermutlich beim Museums-publikum das Vorurteil befestigt haben, Neue Musik sei etwas für Langweiler.

Am anderen Ende der Erregungsskala stand Christoph Ogiermanns audiovisuelles Action-Stück „zig gesetze angewendet auf rei nakamura“. Die japanische Pianistin Rei Nakamura ist musikalisch hochbegabt und dazu ein überragendes Bühnentalent. Auf vier Bühnen rings um das Publikum, unterstützt vom Komponisten als Klangregisseur und Mitakteur, brachte sie das ziemlich hyperaktive Stück mit einer furiosen Performance zum Erfolg.

Zwischen diesen Extremen: fünfzehn Werke, die die Formel „Piano plus“ auf unterschiedlichste Weise interpretierten. Die beiden Italiener Ciro Longobardi (Klavier) und Agostino di Scipio (Elektronik) brachten eine Auswahl spannungsreicher, farbenfroher Stücke zu Gehör. Darunter die Komposition „Till“ des Argentiniers Horacio Viaggione, in der es knistert, funkt und kracht, dass es eine Freude ist, und den feinen Ohrenspitzer „music for piano with slow sweep pure wave oscillators“ von Alvin Lucier.

Catherine Vickers stellte drei Uraufführungen vor. In „crossmap (biwak)“ tastet Frank Gerhardt die Bruchstellen zwischen Live-Klang und Elektronik ab und mischt überraschend Sprachfetzen als Fremdkörper dazu. Kumiko Omura entwirft in „Sea Cloud II“ sensible Klangbilder, die einmal leicht im Raum schweben, dann wieder scharf geschnitten erscheinen. Ludger Brümmer, der Leiter des Instituts für Musik und Akustik im ZKM, steuerte mit „Flow“ eine Serie von kurzen Stücken bei, die auf einem veränderlichen Algorithmus beruhen: lapidare, präzis gezeichnete Klangfiguren – Etüden im besten Sinn des Wortes, in denen der Klang auch zu den stetig wechselnden Lichtimpulsen im verdunkelten Raum in Beziehung gesetzt wird.

Die erfrischende Vielfalt an Ideen, Formen und Realisierungmöglichkeiten ist das herausragende Merkmal von Piano+. Mit den jährlich variierenden Programmschwerpunkten zeigt das Festival, wie weit elektronische Musik weggekommen ist von der theoretisch überfrachteten Strukturbuchhalterei früherer Jahre. Sie ist nicht mehr Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Musikmachen. Und wenn sich Lockerheit mit kompositorischem Sachverstand verbündet, macht das Hören sogar unverhohlen Spaß.

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