Hauptbild
Vida Miknevičiūtė (Lisa), Michal Doron (Pauline), Damen des Sächsischen Staatsopernchors Dresden  © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Vida Miknevičiūtė (Lisa), Michal Doron (Pauline), Damen des Sächsischen Staatsopernchors Dresden.

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Wenn nur die Erinnerung Licht ins Dunkel bringt – Tschaikowskys „Piqué Dame“ an der Semperoper Dresden

Vorspann / Teaser

Pjotr Tschaikowskys „Piqué Dame“ ist nicht das Operndebüt des 1963 in Gera geborenen, höchst erfolgreichen Filmregisseurs Andreas Dresen. Aber es war seine erste Opernregie an der Semperoper in Dresden.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Die Geschichte um den notorischen Spieler Hermann ist ziemlich deprimierend. Das erspart Dresen seinem Publikum nicht. Dieser Hermann spannt seine geliebte Lisa nicht nur ihrem Verlobten einfach aus, er will auch deren geheimnisvoller Großmutter das angebliche von ihr gehütete Geheimnis der drei Gewinner-Karten entreißen und bringt damit letztlich sowohl die alte Frau und schließlich sich selbst um.

Müsste man Dresens „Piqué Dame“ als Film beschreiben, dann wäre sein aufgezeigter Weg in den Abgrund so eine Art Autorenfilm in Schwarzweiß. Mit allen phantasieanregenden Vorteilen und Nachdenkimpulsen, die das hat. Aber auch mit dem Verzicht auf eine entfesselte Opulenz, die der gesellschaftliche Hintergrund der Geschichte im streng hierarchischen alten (und neuen) Russland durchaus zulassen würde. Für den kompletten Verzicht auf Sitz- und andere Möbel hatte sich Dresen bewusst entschieden. Bis auf den unvermeidlichen Rollstuhl der alten Gräfin und einen Koffer für Lisa, die hier nicht in die Newa geht, sondern am Ende – unserer Zeit gemäßer – einfach nur weg. Die Bühne von Matthias Fischer-Dieskau ist eine imposante Großmetapher. Auf der Drehbühne finden sich fünf unterschiedlich hohe, wuchtig halbrunde Mauersegmente. Die Phantasieräume, die sich damit bilden lassen, changieren zwischen angedeutetem Innenraum und einem Labyrinth. Wenn sich diese Wände schließen, dann kommt ein Außen(sein) zustande, das nichts von „Sommer vorm Balkon“, sondern eher etwas von Spätherbst vor der Tür hat.

Dresen zeigt von der Gesellschaft, die in der Oper das Hintergrundrauschen für Hermanns Spielsucht und seine eskalierende Skrupellosigkeit mit der er beim Spiel seinen Sieg erzwingen will, um dazuzugehören, vor allem in den von Micheal Tucker eindrucksvoll durchchoreografierten, gleichgeschalteten Chorbewegungen. André Kellinghaus hat hier für vokalen Gleichschritt und Wirkungsmacht gesorgt. Das wirkt von den Krankenschwestern, Soldaten und bewaffneten Kadetten ziemlich (zeitlos) militant. Hier kommt nicht nur der Ausländer Hermann in Petersburg schlecht weg, sondern auch die Gesellschaft. Darauf konzentriert sich Dresen, der auch keine Scheu hat, die Protagonisten immer wieder an der Rampe zu postieren.

Text

Im Graben hat die Sächsische Staatskapelle das große, ausladende Pathos nicht nur in der deutschen, sondern auch in der russischen Variante samt Seelenschluchzen drauf, wie sie Tschaikowsky in seiner 1890 am Ort der Handlung in St. Petersburg uraufgeführten, heute nicht allzu häufig zu sehenden „Piqué Dame“ zelebriert. Am Pult sorgt der Russe Mikhail Tatarnikov nicht nur per se für das Idiom der Musik, sondern er steigt auch ziemlich kraftvoll und beherzt ein. Jede Sorge, dass das die Protagonisten bedrängen könnte, erweisen sich freilich als überflüssig. Denn die Semperoper bietet ein durchweg exzellentes Ensemble auf. Die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė durchdringt als Lisa mit ihren Spitzentönen jede Orchestermauer, so wie ein Diamant Glas schneidet. Der russische Tenor Sergey Polyakov erspielt seinem Hermann zwar keinerlei Sympathiepunkte – sein Stimme freilich bietet neben imponierender Kraft ein einnehmendes Timbre. Gegen den Fürsten Jelezkij gibt es, so emphatisch wie ihn Christoph Pohl gestaltet, nicht den geringsten Einwand. An seiner Seite hätte Lisa wohl ein Leben und selbst Freiheiten gehabt, wie nur wenige Frauen in ihrer Zeit. Wobei seine Selbstbeherrschung bei Hermanns letztem Auftritt am Spieltisch doch etwas übertrieben wirkt. John Lundgren ist ein imposanter Graf Tomskij und Michal Doron macht aus ihrem kleinen Auftritt als Pauline ein Mezzo-Kabinettstück vom Feinsten.

Für Evelyn Herlitzius ist die Gräfin nicht nur ein Heimspiel, sie macht auch unmissverständlich klar, warum die Oper nach dem Spitznamen der Gräfin, Piqué Dame, benannt ist. Ihr gönnt Judith Adam ein farbenfrohes Designerschmuckstück unterm rosa Plüschmantel. Sie ist ganz Diva mit bedeutender Vergangenheit und zelebriert den Auftritt der Zarin selbst als ein faszinierendes Stück von rückblickender Verehrung als Star. Herlitzius singt das alles mit Tiefe, Gefühl und Wehmut – in ihren Auftritten steigt die etwas unterkühlte Grundtemperatur der eher dunkel abstrakten Inszenierung denn auch merklich an. 

Die Antwort auf die Frage, ob es denn heute noch angehe, eine russische Oper zu inszenieren, hat Dresen nicht nur mit seiner Inszenierung, sondern im Vorfeld auch ganz direkt beantwortet: „Es wäre aus meiner Sicht mehr als dumm und geradezu infantil, die russische Kultur oder russische Künstler für die furchtbare Politik und den Krieg von Putin verantwortlich zu machen.“ Für seine Inszenierung jedenfalls war der Premierenbeifall in Dresden ungeteilt.

  • Weitere Vorstellungen: am 5., 8., 12. und 15. Juli und dann wieder in der neuen Spielzeit. www.semperoper.de 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!