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Timing von Sprache, Musik und Illustration stimmte: Unser Bild zeigt Jörg Hilbert als Sprecher und Christoph Poppen als Dirigent des Münchener Kammerorchesters. Foto: Terzio Verlag
Timing von Sprache, Musik und Illustration stimmte: Unser Bild zeigt Jörg Hilbert als Sprecher und Christoph Poppen als Dirigent des Münchener Kammerorchesters. Foto: Terzio Verlag
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Wer hat Angst vor klassischer Musik?

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Ein Kinderkonzert mit dem Münchner Kammerorchester und einer Uraufführung
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Dem immer akuter werdenden Problem, dass die Klassikhörer älter und weniger werden, begegnen die von klassischer Musik lebenden Institutionen mit intensiver Nachwuchspflege. Fernziel und Hintergedanke ist, den Klassikhörer und Konzertbesucher von morgen heranzuziehen.

Das Münchner Kammerorchester meint es ernst damit und bietet in seiner Saison 2005/2006 gleich drei Kinderkonzerte an. Beim zweiten Konzertprojekt, über das hier berichtet wird, wurde kein Aufwand gescheut. „Wer hat Angst vor Mister Werwolf?“ wurde viermal aufgeführt, zwei Aufführungen (!) am 12. März im Münchner Prinzregententheater, als Schülerkonzert am 16. März in der Münchner Philharmonie und als Gastspiel in der Kölner Philharmonie am 19. März.

Der künstlerische Leiter Christoph Poppen will neben den vorhandenen Kompositionen für Kinder (Prokofieff, Saint Saëns etc.) neue Inhalte und Formate initiieren. So wurde mit „Wer hat Angst vor Mister Werwolf?“ eine aufwändige Uraufführung produziert, bei der alle Zutaten gestimmt haben. Das Autorengespann Jörg Hilbert (Text, Illustration) und Felix Janosa (Musik), bekannt durch seine zahlreichen „Ritter Rost“-Bücher und -Musicals, schuf eine musikalische Detektivgeschichte. Der Klaviersatz wurde von Tobias PM Schneid kunstvoll für Kammerorchester orchestriert. Sprecher war der erfahrene Hörspielautor und Schauspieler Martin Baltscheit.

Das gut einstündige Konzert bot zu Beginn eine von Christoph Poppen moderierte Vorstellung der Orchesterinstrumente. Dann holte der erfahrene Moderator und Dirigent Jörg Hilbert und Tobias PM Schneid zu sich auf die Bühne und befragte sie zu ihrer Arbeit. Hier wurde anhand von prägnanten Beispielen die musikalische Machart und Charakterisierung der Protagonisten vorgestellt. Eine Orchesterstelle wurde regelrecht in ihre Einzelstimmen zerlegt und wieder zusammengesetzt – das war schon recht anspruchsvoll, aber instruktiv. Bei der gut halbstündigen Aufführung der Detektivgeschichte stimmte alles: Das Timing von Sprache, Musik und Illustration, die engagierte und fesselnde Interpretation durch den Sprecher und die Musiker. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Erfolg der Uraufführung haben die auf einer grossen Leinwand hinter dem Orchester eingeblendeten Illustrationen zur Geschichte von Jörg Hilbert. Hier wählte man – zum Glück – nicht ein rasantes Popvideo-Tempo, sondern einen ruhigen, gemessenen Bilderbuch-Rhythmus. Das zahlreiche Kinderpublikum forderte eine Zugabe und bekam sie in Form einer Gedichtrezitation von Jörg Hilbert.

Text und Musik transformierten gekonnt und ziemlich genau das Genre des Detektivromans (Dashiell Hammett und Raymond Chandler) in die spannende und amüsante Geschichte „Wer hat Angst vor Mister Werwolf?“. Detectiv Peter erhält von einer geheimnisvollen, anziehenden Katzendame den Auftrag, nach einer verschwundenen Ente zu suchen. Die Spur führt zu Mister Werwolf und dessen zwielichtiger Bar „Zum Diamanten“. Dort trifft er den Pianisten Grandpa Johnson, der ihm entscheidende Hinweise für die Lösung des Falles gibt. Außerdem treten brutale Gangster, zwei unfähige Geheimpolizisten und natürlich die geheimnisvolle Auftraggeberin als Nachtclubsängerin auf. Mehr soll nicht verraten werden, außer dass detective Peter den Fall löst, weil er keine Angst vor Mister Werwolf hat.

Die wie eine Filmmusik durchgängig konzipierte Partitur charakterisiert die Protagonisten mit je eigenen musikalischen Themen und Timbre. Die Nähe zum Jazz, besonders in einigen swingenden Cool-Jazz-Reminiszenzen in den Bar-Szenen war stilecht und passend. Die Orchestrierung war abwechslungsreich und sehr gekonnt. Es gab keine Runterbuchstabierung oder „Vereinfachung“ für Kinder, im Gegenteil: die Musik war dicht und anspruchsvoll gesetzt. Mir schien, dass durch die grosse Dichte und konsequente Durchkomposition der Musik – ich beziehe mich auf die Kammerorchesterfassung – die Gefahr besteht, dass selbige als Hintergrundtapete – wie eben Filmmusik – wahrgenommen wird. Die musikalische Interpretation war auf hohem Niveau.

Fazit: Den Kindern hat’s gefallen; den Erwachsen, die sich an den zahlreichen Anspielungen auf die „Originale“ ergötzten, ebenso. Eine Buchveröffentlichung mit CD ist für den Herbst 2006 geplant. Ob mit solchen Veranstaltungen das obige Problem beziehungsweise die Aufgabe gelöst wird, ist eine andere Frage. In der Regel kommen zu den Kinderangeboten von Opern, Theatern oder Orchestern Kinder (mit ihren Eltern), die einen bürgerlich kultivierten, klassischen Hintergrund mitbringen. Interessant wäre es aber, gerade noch nicht mit Klassik in Berührung gekommene Kinder und Jugendliche zu erreichen (die zahlreichen Jugendorchester in Venezuela!). Erfolgreiche Vermittlung von Klassik funktioniert durch Mitmachen, Einbeziehen. Insofern lohnt es sich, in Formate zu investieren, in denen Kinder zum kreativen Mittun animiert werden. Sonst verbleibt die klassische Aufführungssituation und Trennung zwischen Bühne und Publikum starr und allzu bekannt aus der Schule. Hier also sind Ideen nicht nur der Institutionen, sondern auch ein Mitmachen der Schulen und der Eltern gefordert.

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