Ein Riesenprojekt, das die Choreographen Helge Letonja (Bremen) und Felix Landerer (Hannover) mit zahlreicher Hilfe erfolgreich zu Ende führen konnten: die Gründung einer neuen Tanztruppe mit TänzerInnen aus dem ganzen norddeutschen Raum, die sich „of curious nature/TanzRAUM Nord“ nennt und gestern Abend im kleinen Haus eine überwältigende Premiere feiern durfte.
Die norddeutsche Tanzlandschaft ist ohnehin schon reich an Aktivitäten: Hier seien nur die innovative, international ausstrahlende Ästhetik am Tanztheater Bremen mit Reinhild Hoffmann, Hans Kresnik, Susanne Linke und Urs Dietrich und jetzt Samir Akika und das seit 1988 zweijährlich stattfindende internationale Festival „Tanz Bremen“ genannt.
Dazu haben sich zahlreiche Aktivitäten und Kooperationen auf höchst professionellem Niveau entwickelt. Letonja, der nach seiner Zugehörigkeit zum Tanztheater Bremen seit vielen Jahren 1996 in Bremen das freie „steptext dance project“ gründete, formte aus den Bewerbungen ein zehnköpfiges Ensemble (sechs Männer und vier Frauen) aus neun verschiedenen Ländern von Togo bis Israel, von Canada bis Korea. Das neue Ensemble will einmal im Jahr eine Premiere am Theater Bremen präsentieren, es ist ansonsten ein Reiseensemble, das für dieses Projekt mit einer Millionen Euro gefördert wurde.
Unter dem Titel „On the shoulders of giants“, also dem Gleichnis der Zwerge auf den Schultern von Riesen (Isaac Newton) will Letonja die Verbindungslinien zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft befragen und gesellschaftskritisch offenlegen: „Wer sind wir?“ Das ist ein sehr pauschales, irgendwie auch schwammiges Thema. Aber genau das erlaubt den internationalen TänzerInnen, die Choreographie Letonjas verantwortlich mitzugestalten, die jeweils sehr persönliche, kulturell fundierte Körpersprache einzubringen. Und so entfaltet sich auf dem Hintergrund einer milchglasigen Wand aus Plexiglas, die später zusammenbricht und im zweiten Teil eine regelrechte Hauptrolle spielt (Bühne: Letonja), eine Fülle von existentiellen hochvirtuosen Einzelporträts. Die TänzerInnen, die sich aus einer regelrechten Skulptur dunkler burkaähnlicher Umhänge herausschälen – dann tragen sie einen einfachen weißen Anzug mit einer seidenartigen Schärpe – machen sich auf die Suche, leben in ihrer Angst, freuen sich über Kommunikation, behaupten sich gegen Frustration, fragen und stellen sich selbst in Frage: und dies stets in den durchaus konventionellen Formationen Solo, Pas de deux und Gruppe.
Auch die schwarz-blaue Skulptur entwickelt sich, bäumt sich auf und bricht wieder zusammen. Später greift das Plexiglas ein: sperrt die Menschen ein, lässt sie frei, führt sie noch zu ganz anderen existentiellen Situationen, als die im Solo möglich wären. Der Ausdrucksreichtum ist unendlich, die Virtuosität atemberaubend, die Präzision begeisternd. Geführt und unterstützt werden die Szenen von der minimalistisch eindringlichen Musik von Simon Groff und Lynn Wright.
- Weitere Vorstellungen: 5., 8. und 9. März, 21. und 27. Juni und 1. Juli.