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Elisabeth Auerbach (Selene), Rinnat Moriah (Dido). Foto: Annemone Taake
Elisabeth Auerbach (Selene), Rinnat Moriah (Dido). Foto: Annemone Taake
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Werbeästhetik: Da wäre Paartherapie angesagt

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Die Bearbeitung einer Bearbeitung von Leonardo Vincis „Didone abbandonata“ im Schwetzinger Rokoko-Theater. Frieder Reininghaus war für nmz-online dabei.

It’s teatime. Sparsam mit erlesenem altem Mobiliar bestückt ist der Raum, dessen kräftig getönte Wände edler Rauputz strukturiert. Ein einziges Bild fängt die Blicke – die riesengroße Skizze einer exotischen Raubkatze. Ein paar vertrocknete Pflanzen an den Bodenkanten sorgen für eine leichte Note Naturaroma. Sechs überwiegend gutaussehende junge Leute stehen oder sitzen herum, warten und trinken das, was aus Silberkännchen eingeschenkt wird. Sie geben eine Pantomime. Sie dramatisieren offensichtlich ihr Beziehungsgeflecht: Es wechseln Gesten des Begehrens mit denen der Zurückweisung oder des Zauderns – Verlangen trifft auf Enttäuschung. Unsere Zeitgenossen gebärden sich auf der Bühne, als lebten sie in der Contenance ihres ersichtlichen Wohlstands auf des Messers Schneide. Man sieht, was man erst später zu Ohren bekommt: „Wenn du mich verlässt, kannst du mich gleich umbringen“ – „Aber ich lieb‘ dich doch! Muss aber halt meinem Job nachgehen“.

Dazu erstrahlt eine wohlgesetzte Ouverture aus dem Orchestergraben – Konfektionsware des frühen 18. Jahrhunderts. Der Tonsatz weist, dem Brauch seiner Entstehungszeit folgend, keine unmittelbare Bezugnahme zu den des Weiteren verhandelten Affekten und Konflikten auf. Er wird vom Philharmonischen Orchester Heidelberg ohne allzu krasse „historische Informiertheit“ herzhaft-hemdsärmelig dargeboten, mit leicht verbeultem Hörnerglanz. Antipasti mit grober Leberwurst beim Schwetzinger Winter. Schön, dass das Rokoko-Theater im Schlosspark auch hinsichtlich der Kulinarik eine „kulturelle Schnittstelle“ darstellen will.

Kapellmeister Wolfgang Katschner greift zur Laute und hilft eigenhändig beim Begleiten von Rinnat Morriah. Die gertenschlanke Didone scheint als Hochglanzkönigin der Werbung einer Pariser Edelparfummarke entstiegen. Sie klagt in fein gewundenen Reimen und mit einer nicht immer ganz punktgenauen, aber im Laufe des Abends zunehmen sicherer werdenden Stimme. Sie fürchtet um ihre Beziehung mit dem als Kriegsflüchtling aus Kleinasien gekommenen Enea, der jetzt aufgrund der Einrede okkulter Stimmen zum Weiterziehen entschlossenen ist. Man kann die erotisch sexuellen Entzugserscheinungen nachvollziehen und fragt sich, warum sie sich, so wie sie „drauf ist“, nicht bei Parship einloggt. Dort verliebt sich doch alle acht Minuten ein Single.

Der Migrant Aeneas, der Überlieferung nach ein Sohn des Anchises und der Liebesgöttin Aphrodite, entstammt einer Seitenlinie des trojanischen Herrscherhauses und gehörte zu den Hauptleuten im legendären zehnjährigen Krieg um die Vorherrschaft im nordöstlichen Mittelmeerraum. Mit der Stimmlage und in Gestalt von Kangmin Justin Kim, neckisch blondiert, wirkt er nicht eben wie ein in jahrelangem Gemetzel gereifter Mann. Obwohl die geschmeidige hohe Stimme auch Schalmeienschärfe entwickeln kann, gibt Kim den allseits beliebten Partygast. Richtig soft. Sein melodramatisches Auftreten erweckt den Anschein, als habe sich Prinz Orlofsky aus der „Fledermaus“ in die britische „upper class“ einer nicht näher bestimmten Gegenwart verirrt. Ein wenig zeigt er sich auch für die durchaus ansehnlichen Reize, die stimmartistische Präzision und Verführungskräfte von Elisabeth Auerbach empfänglich. Virtuos und sehr glaubhaft bestreitet die in Dresden und Karlsruhe ausgebildete Mezzosopranistin aus dem Heidelberger Ensemble die Partie von Didos Schwester Selene. Sie versucht mit subtilen und offensichtlicheren Mitteln, den haltlosen Äneas an den Karthagerhof zu binden. Tja, Schwestern!

Es wäre heillos, beim neuesten Produkt des Heidelberger Theaters irgendwelche Kriterien der historischen Stimmigkeit (oder gar der „Stilreinheit“) in Anschlag bringen zu wollen. Dies gilt bereits für das Pasticcio, das G.F. Händel 1737 im Wesentlichen nach einer Vorlage von Leonardo Vinci anfertigte und das jetzt Katschner sowie der Cembalist Gerd Amelung nachbearbeiteten. Leonardo Vinci? Achtung! es handelt sich hier nicht um den aus der Toskana stammenden Maler, Bildhauer, Konstrukteur, Architekten, Anatomen und Hofzeremonienmeister, sondern um einen Neapolitaner fast gleichen Namens. Der wurde um 1696 in Kalabrien geboren, machte sich einen Namen als Komponist vor allem leichtfüßiger Opern mit galanter Musik, führte (passend dazu) in Rom und Neapel als Impresario einen „fragwürdigen Lebenswandel“ und starb im Mai 1730 vermutlich infolge einer Vergiftung (deren Ursache bzw. VerursacherInnen blieben unbekannt).

Während des fünfjährigen Italienaufenthalts des jungen Händel wurde Vinci zu einem der Orientierungspunkte für den Cembalovirtuosen aus Halle, der sich als Nachwuchs-Komponist insbesondere mit den in den verschiedenen italienischen Regionen gepflegten Schreibweisen vertraut machte, um dann den eigenen Stil auszuprägen. So nimmt nicht wunder, dass Händel, stets auf der Suche nach Heiz- und Reizstoff für seinen Opernbetrieb in London, sieben Jahre nach Vincis Tod eines von dessen urheberrechtlich nicht geschützten Werken ausschlachtete. Er kürzte einerseits langatmige Rezitative und einige Nummern, rüstete andererseits mit Arien von J.A. Hasse, Vivaldi, Giovanni Giacomelli sowie eigene Zutaten wieder auf.

Wie wird solches Entertainment des 18. Jahrhunderts ästhetische Gegenwart des frühen einundzwanzigsten? Durch die Entrückung in die Sphäre der Hochglanzbroschüren! Jenen Druckerzeugnissen, die unverlangt und bevorzugt in der Vorweihnachtszeit von Kreditkartenbetreibern und anderen Wegelagerern zugeschickt werden, um die Verfeinerung von Konsumwünschen in die besser situierten Wohnstuben tragen. Die Bildbeschönigung von Yona Kim, Dozentin für Musiktheater-Regie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, hat mit dem Carthago („esse delendam“) des ersten vorchristlichen Jahrtausends erkennbar so wenig zu tun wie mit dem Glanz und Elend des Theaters der Händel-Zeit. Und schon gar nicht lässt sich die Inszenierung auf die Konflikte zwischen Gesellschaftsordnungen und Kulturen heute ein. Sie lässt blasierte „Gefühls“-Bekundungen zeigen, adressiert an Amex- und Manufaktum-Kunden. Die erweisen sich per Akklamation dankbar, dass das Theater nur auf diese Weise mit der Realität zu tun hat und das gar nicht so glückliche, eigentlich sehr unschöne Ende der Dido mit einer konzertant vorgetragenen Abschieds-Bravournummer von Rinnat Moriah sein Bewenden hat. Welch ein Adventsglück!

Gerade für Schwetzingen gilt: Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben. Bleibt eigentlich nur die Frage, auf welche Qualifikationen gestützt die Regisseurin die Hamburger Dozentenstelle erhalten hat und ob es Ziel der von den öffentlichen Händen betriebenen Ausbildung sein kann, den Nachwuchs dergestalt auf Werbeästhetik zu trimmen. Die Heidelberger „Didone“ wird, nach dem Winterschlussverkauf in Schwetzingen, 2016 zu den Händel-Festspielen-Halle und ans Theaterchen in Bad Lauchstädt weitergereicht. Ein Hoch auf die „Umwegrentabilität“!

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