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Foto: Stephan Glagla
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Wie ein Mythos versinkt – Das Musical „Titanic“ am Theater Osnabrück

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Da ist sie wieder in aller Munde: die „Titanic“! Frisch restauriert und in gestochen scharfer Bildauflösung ist der legendäre Film von James Cameron auf den Leinwänden zurück. Als er vor 25 Jahren in die Kinos kam, hielt sich der Streifen über lange Zeit in den Charts – und landete auf Platz 3 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten! Ein derartiger Erfolg blieb dem Titanic-Musical von Maury Yeston – ebenfalls 25 Jahre alt – versagt und wurde für die Produzenten ein Minusgeschäft.

Ein Musical über die erste Reise der Titanic, die auch ihre letzte sein würde? In der Tat: im Lunt-Fontanne Theatre in New York lief im April 1997 die Uraufführung des abendfüllenden Stücks über den Untergang des „unsinkbaren“ Luxusliners. Peter Stone schrieb Buch und Gesangstexte, Maury Yeston die Musik. Gut fünf Jahre später folgte die Deutsche Erstaufführung in Hamburg. Aber heute? Heute muss es erst einmal wieder aus der Versenkung gehoben werden, was nicht ganz einfach ist. Immerhin verlangt Yestons „Titanic“-Musical einen immensen personellen wie technischen Aufwand. Um so erfreulicher, dass sich jetzt das Theater Osnabrück diesem Wagnis gestellt hat – und mit seiner Inszenierung bei den Fans punkten kann!

Die tragische Geschichte der Titanic gehört längst zum Allgemeinwissen. Natürlich wird sie in den 150 Musical-Minuten auch erzählt. Am interessantesten sind all die ganz persönlichen menschlichen Schicksale, die sich da zwischen Kommandobrücke und Maschinenraum abspielen. Auf diesem stählernen Koloss nämlich stoßen Welten zusammen. Da sind an erster Stelle die superreichen Bonzen, die ihr Salär fürs Mega-Event dieser Jungfernfahrt locker aus der Portokasse zahlen. Dann sind Menschen aus der Mittelschicht an Bord. Wahrscheinlich haben sie lange für den Titanic-Trip gespart, ebenso wie die drei Mädels aus Irland in der 3. Klasse, die in der Neuen Welt ihr Glück versuchen wollen und Amerika für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten halten. Und ganz unten? Das ist die dunkle und schmutzige Welt all jener, die den Dampfer in dessen Bauch unsichtbar überhaupt erst in Gang bringen und halten wie Heizer Frederick Barrett. Schließlich richtet sich der Blick auch auf die stolze Crew, angeführt von Kapitän E. J. Smith. Offiziere, Funker, Steward, Bordkapelle sind unabdingbar für Sicherheit und Komfort auf der spektakulären Reise durch den Atlantik.

Es ist eine spannende Mischung ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Kreise, die an ein und demselben Ort zusammenkommen oder auch nicht. Wie viele Sehnsüchte schwingen während der Stunden auf dem Schiff mit? Welche Hoffnungen? Welches Ziel steht am Ende? Glück in der Liebe, beruflicher Erfolg, eine ökonomisch gewinnbringende Beziehung vielleicht, vor allem aber ein Siegeszug der Ingenieurskunst. Peter Stone beschreibt liebevoll Charaktere und deren Entwicklung quasi in Echtzeit. Das sorgt für häufig wechselnde Szenen und Personenkonstellationen – durchaus eine Herausforderung für Regisseur Ansgar Weigner, Choreografin Sabrina Stein und Darko Petrovic, der für Bühne, Kostüme und Videosequenzen verantwortlich ist. Ein virtuoses Team voller Fantasie! Und ein großes Ensemble, das darstellerisch ebenso wenig zu wünschen übriglässt wie der Chor (Sierd Quarré). Weigner hat alles perfekt im Blick und lenkt die Protagonisten souverän durch Luxus-Lounges, führt sie auf das Panorama-Deck, setzt auch heftige Auseinandersetzungen zwischen Kapitän, Schiffseigner und Konstrukteur packend um, nachdem der Eisblock bereits gerammt ist und sich Panik auszubreiten beginnt.

Das Ende ist bekannt: weniger als drei Stunden nach der Kollision verschwinden mit der Titanic nicht nur ein Schiff und über anderthalb Tausend Menschen. Es versinkt auch der Mythos, der Homo sapiens könne dank seiner wahnsinnigen Intelligenz und prallgefüllter Bankkonten alles erreichen.

Die in jeder Hinsicht ganz ausgezeichnete Osnabrücker Produktion offenbart ein einziges Defizit: und das betrifft die von Maury Yeston komponierte Musik! Sie kommt zwar immer stimmungsvoll daher und fühlt sich ein in die je aktuelle Situation, ist aber wenig originell. Oft überkommt einen das Gefühl, diese oder jene Melodie oder harmonische Zusammenhänge schon einmal gehört zu haben. Einerlei: An-Hoon Song am Pult des Osnabrücker Symphonieorchesters entwirft ein Szenario, das punktgenau zwischen Dramatik und zärtlicher Poesie changiert. Und auf das großartige Riesenensemble ist in jedem Augenblick Verlass.

Sehr schön auch das „Drumherum“ dieser Inszenierung: schon vor den Treppenstufen zum Eingang des Theaters stapeln sich Eisblöcke. Und hinter den Türen empfangen uns freundliche Matrosen, die Bordkarten verteilen mit den Namen echter Passagiere von einst (ein QR-Code gibt anschließend detailliert Auskunft über deren Biografie). Im Foyer spielt ein Pianist, die Leute von der Theatergastronomie stecken in Matrosenkostümen und wünschen „Gute Reise“. Eine tolle Idee, dank derer sofort gute Stimmung entsteht!

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