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Foto: Jörg Landsberg / Theater Bremen
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Wie eine Feuerschmiede – Michael Talke zeigt am Theater Bremen mit Rossinis „Barbier von Sevilla“ politisches Theater

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Wenn in Giacchino Rossinis berühmtester Oper „Il Barbiere di Siviglia“ der intrigante Gesangslehrer Don Basilio seine üble, lebensberatende Verleumdungsarie singt, wenn er mehrfach zu verstehen gibt, dass er für Geld alles macht, wenn Doktor Bartolo meint, nur aus seiner Position heraus sich alles erlauben zu können, wenn der Barbier in dieser Art von Gesellschaft seine unmissverständlichen Geschäfte macht und wenn das arme, aber kluge Mündel Rosina ins Haus eingesperrt ist, dann ist deutlich, wo und wann wir uns befinden: 1816 in einer Zeit, in der jegliche Idee der vergangenen Revolution vorbei ist, und im Gegenteil aus einer freien Gesellschaft eine geworden ist, in der jeder nur noch dem eigenen Vorteil hinterher rennt.

Der Regisseur Michael Talke, dem Bremen einen großen „Rigoletto“ verdankt, suchte den Stil, genau dieses zu zeigen. Mit der absurden Geschichte an sich und der komisch-brillanten Musik von Rossini mit ihrer Dominanz des Gesanges aber ist das immer schwierig. Talkes kluge Lösung scheint ebenso einfach wie sie überzeugend in der bejubelten Premiere umgesetzt wurde: Verfremdung mit fast Brecht‘schen Methoden. Da hat er zuerst einmal die unendlich langen Rezitative, die die komplizierte Handlung eher öde vorantreiben, ersetzt durch einen Moderator, der die Story präsentiert mit der Einbeziehung der Interpreten und auch schon mal selbst ins Geschehen eingreift (glänzend Guido Gallmann): „Auch der Dirigent Olof Boman möchte, dass jetzt bald das Happy End kommt“ oder auch „Erst noch eine große Arie von Hyoyong Kim“. Von Anfang an macht er durch das marionettenhafte Verhalten der Protagonisten klar, dass damit eine morallose Gesellschaft gemeint ist, in der die Menschen nur noch funktionieren können. Und er macht klar, dass Rossini eine gnadenlose Gesellschaftskritik geschrieben hat, deren Mitglieder im Finale des ersten Aktes nicht mehr wissen, was eigentlich läuft: „Mein Kopf ist wie eine Feuerschmiede!“ Die Komik ist: wir als Publikum wissen es.

Dieser Stil macht Spaß, wir haben lange nicht mehr so gelacht in der Oper! Da ist zunächst einmal die Bedeutung der immer wechselnden und überdimensionalen Perücken. Wenn man dann als Opernfan noch mit den einzelnen Sängern auch emotional verbunden ist – auch damit spielt die Regie –, ist es schon zu komisch, wenn der ansonsten glatzköpfige Kim als Student Lindoro mit schwarzen Haaren, als Musiklehrer mit roten und dann als Graf wieder mit Glatze dasteht. Oder wenn Patrick Zielke als Bartolo seine Perücke herunterreißt, wenn seine Wut am größten ist. Da sind dann weiterhin die fast choreographierten Bewegungen, die grundsätzlich für Komik sorgen, sich aber auch leider erschöpfen. Die Situationskomik wie die gestörte Gesangsstunde gelingt einfach prächtig, das kann man kaum besser machen und das möchte man gleich nochmal sehen. Die historischen Fantasiekostüme (Regine Standfuß) tun das ihre. Das Bühnenbild dazu dient auch der Verfremdung einer wie auch immer gearteten Realität – es gibt nur eine Wand, die die Einsperrung Rosinas markiert. Alles andere ist blinkendes Licht- und Bilddekor, unterstützt die absurde Nichtwirklichkeit der Szene als eine Art Kabarett und bleibt leider auch ein wenig beliebig. Stört aber nicht (Barbara Steiner). 

Das Ganze lebt von der Präsenz und der Gesangskunst der Sänger. An diesem Abend haben wir ein beglückendes Maß an Bel Canto Gesang erfahren, dem Rossini so anhing, dass er die in Richtung Richard Wagner gehende Entwicklung nicht mehr mitmachen wollte: er hörte einfach auf, Opern zu komponieren. Hier ist an erster Stelle Hyoyong Kim zu nennen: es gibt im zweiten Akt eine gnadenlos schwere Arie, die selten oder nie gesungen wird. Kim singt sie mit Leichtigkeit und Bravour und erntet einen beispiellosen Szenenapplaus. Eine Idealbesetzung für die Titelfigur könnte man das neue Ensemblemitglied Birger Radde nennen, da passt alles: perfekt sitzender, flexibler Gesang und eine beeindruckende Bühnenpräsenz, die Vorfreude auf Kommendes macht. Und dann Patrick Zielke in einer Art weißen Tülltonne als Bartolo: Seine Arie singt er in einem derart virtuosen Tempo des Sprechgesanges, das kein Selbstzweck ist, sondern das seine auch verzweifekte Durchgeknalltheit zeigt. Man weiß bei Zielke nie, was man mehr bewundern soll: Die Mischung aus knalliger Direktheit und ungemein feiner seelischer Reaktion gelingt ihm sowohl in der Darstellung als auch in den Nuancen der Musik. Christoph Heinrich als Basilio liefert ein großes Rollenporträt – im – haben wir richtig gehört? – sehr verbesserten Singen und im fein nuancierten Spiel. Nerita Pokvytyté stand als Rosina in nichts nach, wachsen könnte noch das Stimmvolumen in der Mittellage, aber das wird es auch. Nathalie Mittelbach ergänzte das Ensemble als Berta.

Dass diese Sänger sich alle so überragend zeigen konnten, dafür ist nicht nur die sängerfreundliche Regie, sondern vor allem auch der Dirigent Olof Boman verantwortlich. Die Musik blitzte und lachte, donnerte und karikierte, liebte und hasste. Eine große Leistung der Bremer Philharmoniker.

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