Schon zum achten Mal ereignete sich Anfang dieses Jahres die Impuls Akademie, veranstaltet vom gleichnamigen Verein rund um Ernst Kovacic und Beat Furrer mit Sitz in Graz. Junge Komponisten und Interpreten aus aller Welt verbrachten zwölf intensive Tage miteinander, geprägt von regem Austausch und einer großen Neugier auf Unbekanntes.
Zu den diesjährigen Dozenten zählten Komponisten wie Georges Aperghis, Chaya Czernowin, Georg Friedrich Haas und auch Peter Ablinger, der erstmalig im Rahmen des Spezialprogramms Composition beyond Music künstlerische Herangehensweisen an Musik abseits eines klassischen Konzertsettings forcierte. In Zusammenarbeit mit renommierten Musikern internationaler Solistenensembles erarbeiteten Teilnehmer im Einzel- bzw. Ensembleunterricht vorwiegend Stücke der klassischen Moderne wie auch der aktuellsten zeitgenössischen Literatur.
Experimenten im Bereich der freien Improvisation, angeregt und angeleitet von der Wiener Pianistin Manon-Liu Winter und dem deutschen Klarinettisten Frank Gratkowski, wurde dabei ebenfalls ausreichend Platz geschaffen. An die Impuls Akademie gekoppelt ist auch ein internationaler Kompositionswettbewerb, zu dessen Prämierten dieses Jahr Malin Bång, Daniel Fígols Cuevas, Matthias Kranebitter und Anna Mikhailova zählen. Ausgewählte Arbeiten dieser vier Komponisten wurden schon im Vorfeld mit dem Klangforum Wien erarbeitet und im Rahmen des Impuls Eröffnungskonzertes am 9. Februar 2013 präsentiert. Katrin Hauk erlebte vor Ort eine ästhetische Offenheit auf allen Ebenen:
Ein Samstagvormittag in Graz. Die Straßen sind noch leer. Nur wenig tut sich in der steirischen Landeshauptstadt. Alles wirkt noch recht verschlafen und ruhig. Nähert man sich doch der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst in der Leonhardstraße – der noch von Schnee bedeckte Stadtpark befindet sich auch gleich um die Ecke, verändert sich das Bild. Unterschiedlichste Menschen versammeln sich vor Udo Gangls und Gebhart Blazeks nahe gelegenen Teppich- und Möbelgeschäft, um an dem ersten Minutenkonzert des diesjährigen Impuls Festivals teilzunehmen.
Das Publikum setzt sich aus verschiedenen Leuten zusammen; es umfasst interessierte Passanten, Kursteilnehmer und einige Dozenten, die lose auf Teppichen sitzen oder gespannt im Raum herumstehen. Auch Ute Pinter, Organisatorin und treibende Kraft hinter der Impuls Akademie, ist Teil des Geschehens und lauscht aufmerksam Alvin Luciers Triangel Solostück Silver Street Car for the Orchestra und Thomas Kesslers Stück „Is it?“ für Sopran und Sopransaxophon, auf höchstem Niveau interpretiert von Teilnehmern der Impuls Akademie 2013. Nach etwa 30 Minuten ist das Musikprogramm vorbei und es kann in die nächste Galerie weitergewandert werden, in die Galerie Lendl in der Bürgergasse 4, inmitten der pittoresken Grazer Altstadt.
Diese Minutenkonzerte beziehungsweise diese samstäglichen Galerierundgänge, begleitet von zeitgenössischer Musik, sind in Graz schon fast zur Tradition geworden und finden mindestens einmal jährlich bei freiem Eintritt in unterschiedlichen Kunstinstitutionen statt, seit 2009 organisiert vom Verein Impuls. Dieses Jahr ereigneten sich diese eben in Rahmen des Impuls Festivals. Befreit vom herkömmlichen Konzerthabitus, neunzig Minuten lang still sitzen zu müssen, können Besucher frei entscheiden wie lange sie sich dem Gespielten aussetzen möchten, ob sie stehen möchten, sich durch den Raum bewegen oder doch lieber am Boden sitzend den gespielten Kompositionen zuhören. Die ausführenden Musiker spielen frei im Raum verteilt, umgeben von den vor Ort befindlichen Kunstwerken. Das visuelle Erleben der ausgestellten Arbeiten wird dabei meist fein mit dem des akustischen verwoben. Ein Podium im traditionellen Sinne ist nicht gegeben, was die Ausführenden bei der Wahl ihrer Positionierung erfinderisch macht.
Die australische Bratschistin Doreen Ooi, eine der vielen Teilnehmerinnen der Grazer Impuls Akademie, präsentierte ihr Solostück Intimate Decisions (eine Arbeit des australischen Komponisten Brett Dean, Jahrgang 1961) auf einer schmalen Stufe stehend, direkt hinter Daniel Amin Zamans Fotografie, Ecce Zaman, 2010, ausgestellt in der Grazer Minoriten Galerie, die den Künstler selbst auf einem weißen Sessel sitzend zeigte, bekleidet mit einer Beuys’schen Anglerjacke, Hemd und Unterwäsche, die Lippen dick mit rotem Lippenstift bemalt, und diesen in der rechten Hand haltend. Ooi spielte über die Köpfe des Publikums hinweg, was akustisch in diesem länglichen schmalen Raum eine gewisse klangliche Intimität entstehen ließ. Die verwinkelten Räume des ehemaligen Minoriten Klosters dienten auch den neun Teilnehmern des diesjährigen Kurses „Compostion beyond Music“ als Ausstellungs- und Arbeitsraum. Composition beyond Music (zu Deutsch: Komposition jenseits von Musik) war ein erstmaliges Sonderprogramm innerhalb der Impuls Akademie, dessen Leitung Peter Ablinger innehatte und durch das EU-Netzwerk Ulysses möglich gemacht wurde. Ablinger gilt als ein wahrer Grenzgänger zwischen den beiden Disziplinen der Musik und der Bildenden Kunst. Mit einfachen künstlerischen Verfahrensweisen bringt er Überhörtes wieder ins Bewusstsein zurück. In seinem Zyklus Weiss/Weisslich erhebt er etwa akus-tische Erfahrungen, wie das Rauschen eines Radios oder die Wahrnehmung von Natur- und Alltagsgeräuschen zu ästhetischen Momenten, welche einem die eigene Präsenz im Hier und Jetzt verdeutlichen. Die Grundidee des in Graz betreuten Kurses bestand nun ebenfalls darin, Werke entstehen zu lassen, die – wie Ablinger meint – „beim Publikum alternative Formen des Klingens und Hörens evozieren und kritischen Analysen musikalischer Vorbedingungen und Konventionen anregen sollen.“
Bereits im Oktober 2012 trafen die Teilnehmer vor Ort zusammen, um sich gegenseitig kennen zu lernen, etwaige Ideen vorweg auszutauschen und Anregungen von Ablinger für die gemeinsame Zusammenarbeit zu erhalten. Die Endergebnisse dieses Arbeitsprozesses zeigten sich dann in begehbaren Installationen, Objektstücken sowie interaktiven Arbeiten in der Grazer Minoriten Galerie, die das Publikum wahrlich zu einer Aktivierung ihrer auditiven Wahrnehmung einluden. Wie klingt es wohl durch einen Haufen trockener Herbstblätter zu stapfen? Die aus Israel stammende Komponistin Sivan Eldar griff mit ihrer Arbeit Three Compositions for Leaves eine doch recht vertraute akustische Erfahrung auf, die sie künstlerisch auf drei unterschiedliche Arten inszenierte.
Neben einem im Kamin positionierten gelben Blätterhaufen ließ sie in einer Installation einzelne Blätter quasi lautlos über den Boden tanzen sowie Blätter vom Dachboden des Gebäudes aus in den Innenhof segeln. Auch andere Arbeiten wie die des österreichischen Musikers Max Bogner rückten alltägliche Objekte ins Zentrum; ein E-Gitarren-Verstärker gab Schritte der Besucher in knacksenden Echos wieder. Daniel Lerchers Arbeit Entrainment befand sich in im hinteren Teil der Galerie, in einer eigens für die Ausstellung umfunktionierten Besenkammer. Einzeln erhielten Besucher hier die Möglichkeit in einer andächtigen Atmosphäre auf einem Polster kniend mit einer mit Wasser gefüllten Klangschale zu experimentieren.
In Ruhe und solange wie gewünscht konnte man glockenartige Töne entstehen lassen und diesen nachlauschen. Composition beyond Music wird auch in den kommenden drei Jahren bei ähnlichen europäischen Musikakademien fortgesetzt werden, wie dem Time of Music Festival in Vitasaari oder der Gaudeamus Muziekweek in Utrecht. Derartige Grenzgänge zwischen Musik und bildender Kunst stellen ein wirklich spannendes Arbeitsfeld dar, das nun auch auf immer mehr Interesse seitens renommierter Musikakademien stößt.