„Lost in Translation“, Sofia Coppolas Film von 2003 zeigt einen Amerikaner in der midlife crisis und eine Jüngere in einer ebenfalls sterilen Beziehung in einem Tokyoter Hotel. Wirklich zueinander finden können sie nicht. Aber auch Japan bleibt ihnen so fremd wie sie den Japanern: Kommunikation findet nicht statt, was nicht nur Frage der Übersetzung ist. Das englische Gegenstück zu dieser lautet „Transitions“, Übergänge. Ebendies hat Reinhard Kager zum Motto der diesjährigen „Klangspuren“ im tirolerischen Schwaz gemacht.
Übergänge gibt es ständig: Alle Geschichte ist Übergang. Aber „Transit“-Visa, -Schalter und -Zonen auf Flughäfen markieren auch regulierte Bereiche, also nicht unbedingt Freiheit pur. Das Schwazer Konzept fixiert denn auch Sphären, deren Grenzen existieren, aber verflüssigt werden: eine dialektische Utopie. Solcherart Zwischenräume hat Reinhhard Kager mannigfach thematisiert: als Verschränkung komponierter und improvisierter Musik, herkömmlichem Instrumentarium und Elektronik, europäischer und arabischer Tradition – und nicht zuletzt klanglichen Impuls und politischer Motivation. Dass es dabei nicht plakativ zugeht, versteht sich bei Reinhard Kager, dem an planen Gegensätzen nicht liegt.
Was aber Blöcke nicht ausschließt. So stellten sich in drei der achtzehn Festival-Tage acht heterogene Improvisations-Gruppen vor, abseits ausgearbeiteter Partituren und elektronischer Transformation. Aber auch sonst gab es vielfältige Interaktion, auch Durchblicke auf nicht nur musikalische Flucht-Räume. So gedenkt der Venezolaner Jorge Sánchez-Chiong seiner unzähligen Landsleute, die in den letzten Jahren das Land verlassen haben, unterwegs in eine ungewisse Zukunft. Sein Doppelkonzert „Caminando“ integriert denn auch ins Sinfonie-Orchester einen virtuos hämmernden Klavierpart, als Anspielung an manche Salsa-Vitalität in Caracas, und einen Schlagzeuger, der zum üblichen Apparat auch westafrikanische Batá-Trommeln spielend an die in die Karibik verschleppten Sklaven erinnert. Das ist keine „frohe Botschaft“, aber auch kein Depressions-Kult – darin nicht ohne Schwung. Michael Wertmüller wiederum sucht ebenfalls neue Impulsivität aus der Rock-Musik zu gewinnen, indem er „For Yaron!“ dem E-Gitarristen Yaron Deutsch widmet: ein Stück voller polyrhythmischer Energie bis hin zu „rockender“ Frenesie fast in der „Sacre“-Tradition. Das Eröffnungs-Double wirkte so als ruppig erfrischender Gegen-Entwurf zu jeglicher Soft-Moderne.
„Musik im Raum“ ist seit Stockhausen und Berio, erst recht Nono, zentral geworden. Adriana Hölszky, diesjährige „composer in residence“ hat dem in gleich doppelter Weise eindringlich Rechnung getragen. Beim „Wandelkonzert“ im Innsbrucker „Haus der Musik“ dialogisierten zwei hohe Es-Klarinetten über zehn Meter im permanenten Wechsel von aggressiver Schärfe und irritierenden Oberton-Vexier-Bildern. Surreal gesteigert wurden diese im Hauptwerk „Tragödia“ für großes Ensemble und Elektronik zur „Musik als Raum“: einer Art Schönbergscher „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, nun allerdings ganz ohne irgendeine Vorlage. Hatte Richard Wagner schmerzlich ironisch überlegt, ob er nach dem „unsichtbaren Orchester“ nicht auch noch das „unsichtbare Theater“ erfinden solle, so halluziniert „Tragödia“ zumindest den „unsichtbaren Raum“. Bei der Bonner Uraufführung gab es immerhin Wolf Münzners sinistres Bühnenbild, das alle Horror-Komik assoziieren ließ, so wurde nun vollends auf visuelle Auto-Suggestions-Krücken verzichtet. Einzig dem Klang galt es, sich zu überlassen. Der freilich erwies sich abermals als so imaginativ, dass er die völlige Absenz von Text-Vorlage wie Dekor-Anspielung vollauf kompensierte.
Imponierte bei der Matinee des Quatuor Diotima vor allem Sarah Nemtsovs „weggeschliffen“, so konfrontierte „In an oriental mood“ westliche und arabische Instrumental-Sprachen in der Nachfolge einiger auratischer Werke Klaus Hubers, Gerhard E. Winklers „Transitions“ und besonders Hossam Mahmouds „Verschränkung 2“. Die Synthese von Orient und Okzident ist so verlockend wie utopisch notwendig. Die Verschiedenheit von Instrumentarium und Spieltechnik, Komposition und Improvisation und nicht zuletzt der Ton-Systeme bleibt eine Herausforderung für beide Seiten: sowohl als Sehnsucht nach Symbiose wie als Wahrung des je Eigenen. Aber jede Begegnung mit diesen Sphären-Überschreitungen hat ihr unabweisbares Faszinosum. Man hört ganz Neues, und ungeahnte Zwischen-Welten tun sich auf.–.weit jenseits bloß „exotistischer Reize“. Schumanns „Von fremden Ländern und Menschen“ wird als übergreifendes Programm wieder dringlicher denn je.
Die Schwaz-Innsbrucker „Klangspuren“ wirkten da wieder nachhaltig. Im nächsten Jahr werden Clara Iannotta und Christof Dienz die Leitung übernehmen.