Frank Hilbrich inszeniert eine bedrückende Sicht auf Verdis „Macht des Schicksals“. Ute-Schalz-Laurenze hat sich die Premiere an der Staatsoper Hannover angesehen.
Giuseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“ ist eher selten auf den Opernbühnen zu finden. Das mag an den Unwahrscheinlichkeiten, auch Holprigkeiten des Textbuches liegen, in dem sich unglaubwürdige „Zufälle“ geradezu häufen. Wie sehr aber genau das bei dem so selbstkritischen Verdi volle Absicht war, kann man an Inszenierungen erleben wie sie jetzt am Staatstheater Hannover auf dem Spielplan steht. Frank Hilbrich gelingt insgesamt ein großer Wurf, bei dem Details allerdings anfangs noch unfertig erscheinen. Das ist gleich zu Anfang der Fall, wenn Alvaro, der Inka, der die Adelstochter Leonora liebt, so zappelig und verschlampt auftreten muss, dass man Leonoras Vater verstehen kann, diese Beziehung verbieten zu wollen. Die ersten Bilder wirken zähflüssig und man weiß nicht so recht, wo das alles hingehen soll.
Nach der Pause jedoch werden inszenatorische Strukturen klar. Hilbrich hat Schwerpunkte: Kinder durchziehen das Geschehen und zeigen uns, dass man den Kindheitsprägungen niemals entkommen kann. Gleich zu Anfang stehen der Vater, Leonora und Alvaro als Kinder da. Sie stehen weiterhin an der Seite und scheinen sich selbst als Erwachsenen zuzuschauen. In der Chorszene, die die Gesellschaft auf dem Höhepunkt ihrer Verkommenheit zeigt, müssen die Kinder furchtbaren Missbrauch ertragen, sie werden verkauft, sie werden betrunken gemacht. Das ist das wohl härteste Bild, das Hilbrich uns zumutet. In der Szene des sterbenden Alvaro werden Kinder, bereits gekleidet wie die erwachsene Spaß- und Feiergesellschaft, zum Zuschauen gezwungen. Suggestiv arbeitet Hilbrich den tödlichen Gruppendruck heraus und wie die Individuen genau daran zerbrechen. Dann scheut er auch vor bluttriefenden Realismen nicht zurück.
Und er erfindet Bilder von bedrückender Eindringlichkeit. Leonora steht am Anfang zur Ouvertüre und ihrer großen „Pace“-Arie als Obdachlose mit Klamotten im Einkaufswagen da: sie hat nirgends Frieden und ein Zuhause gefunden. Wenn sie im Kloster als Einsiedlerin aufgenommen wird, so ist auch das kein beruhigendes Fluchtende, sondern sie wird in einen Glaskasten regelrecht eingesperrt, die Mönche um sie herum sind mit allerlei Zuckungen verrückt geworden. Die Unmenschlichkeit der Kirche wird auch gezeigt, in dem das Gespräch zwischen Leonora und dem Pater über die Gegensprechanlage läuft. Am Ende übernimmt Alvaro den Einkaufswagen, nur er muss weiterleben, wird nie zur Ruhe kommen und seine indianische Identität sowieso nicht erreichen.
Das wird wunderbar unterstützt durch einfache, zeitgenössische Kostüme (Gabriele Rupprecht) und durch das drehbare Bühnenbild von Volker Thiele, in dem die Menschen in immer neue Räume geraten, die ihnen auch nicht weiterhelfen. Stefan Klingele als Gastdirigent arbeitete mit dem Niedersächsischen Staatsorchester die Besonderheiten dieser herrlichen Partitur mustergültig und enorm inspirierend heraus: schon in der Ouvertüre fallen die Brüche auf, neben Bedrohung (schärfsten Fortissimodissonanzen) steht die irreale Sehnsucht nach Frieden und Liebe, ausgedrückt besonders in der Klarinette. Das glüht und leuchtet regelrecht.
Brigitte Hahn als etwas zu betuliche Leonora, Monika Walerowicz als agile Kriegstreiberin Preziosilla, Brian Davis als lächerlich konsequenter Bluträcher Don Carlo, aber vor allem Xavier Moreno als schwer traumatisierter Inka-Sohn Alvaro sicherten die anhaltende Spannung des Abends, die gegen Ende immer stärker wurde.
Wenn man öfter mal denkt, die von Verdi gezeigten Probleme seien nicht mehr die unseren, dann belehrt uns dieser Abend vom Gegenteil. Dass die Trinität Kirche, Staat und Kapital das Land veröden lässt und dass Menschen durch Erziehung zerstört werden, ist leider mehr als aktuell. Viel Premieren-Beifall für einen großen Abend.