Die Stadt Prag, die sich selbst stolz die „Goldene“ nennt, mag den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht dasselbe Attribut zuerkennen. Dabei fällt dieses Jahrzehnt in die heute fast verklärten Jahre der Ersten Republik Tomas G. Masaryks, eine Phase also, in der sich die Schöne an der Moldau dank eines wirtschaftlichen Aufschwungs besonders selbstbewusst präsentierte. Doch einen echten Wandel in Kunstdingen oder eine etwa mit Paris vergleichbare Aufbruchstimmung gab es hier zunächst kaum.
Die Stadt Prag, die sich selbst stolz die „Goldene“ nennt, mag den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht dasselbe Attribut zuerkennen. Dabei fällt dieses Jahrzehnt in die heute fast verklärten Jahre der Ersten Republik Tomas G. Masaryks, eine Phase also, in der sich die Schöne an der Moldau dank eines wirtschaftlichen Aufschwungs besonders selbstbewusst präsentierte. Doch einen echten Wandel in Kunstdingen oder eine etwa mit Paris vergleichbare Aufbruchstimmung gab es hier zunächst kaum.Der 1890 in Ostböhmen geborene Bohuslav Martinu erklärte Mitte der Zwanzigerjahre, gegen den allgemeinen Konservatismus nicht mehr weiter ankämpfen zu wollen. Ähnlich wie viele namhafte Kollegen aus anderen Kunstsparten, etwa die gerade in jüngster Zeit wiederentdeckte Surrealistin Toyen, zog es ihn von der Moldau an die Seine. Martinu war in jungen Jahren ein ausdrücklicher Gegner romantischer Gefühlswallungen, er begab sich mit diesem Schritt auf die Suche nach einer größeren Leichtigkeit und Lebendigkeit des Seins. In Paris war er von Strawinsky, Diaghilew und Debussy fasziniert, hier schloss er nach wenigen Jahren künstlerische Bündnisse mit Dadaisten und Surrealisten. Martinus eigene Musik dieser Zeit lässt bemerkenswert viel davon spüren. Doch erst allmählich tritt das ins Bewusstsein, denn ein nicht unerheblicher Teil seines umfangreichen Œuvres gerade der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre ist bis heute selbst bei Fachleuten nur wenig bekannt. Dies galt bislang auch für seinen Opernerstling „Der Soldat und die Tänzerin“, ein 1928 in Brünn uraufgeführtes und danach kaum je wieder realisiertes Werk, das nun in einer Inszenierung des in Prag sehr geschätzten Briten David Poutney seine verspätete Prager Erstaufführung erlebte.Das heimliche Hauptthema dieser Oper ist eine Apotheose des Tanzes. Im Mittelpunkt stehen Modetänze wie Charleston und Tango, die damals als Ausdruck des neuen Lebensgefühls aufgefasst wurden. Martinu verwendet sie auf originelle, leicht verfremdete Weise.
Die auf einer antiken Komödie des Plautus basierende Story der Oper, der mit viel Glück und Geschick vereitelte Verkauf einer Tänzerin an einen Soldaten, wirkt eher marginal. Gerade diese Tendenz wird in der neuen Version, die Poutney gemeinsam mit Nicola Raab erstellte, noch zugespitzt. Viel wichtiger indes als dieser Inhalt ist ohnehin die Art, wie er präsentiert wird. Das Stück folgt dabei den Pfaden, die schon Plautus vorzeichnete: dem Umweg über eine Fülle ausladender Assoziationen und Imaginationen, die nach Maßgabe klassischer Erzählmuster eigentlich verzichtbar wären. Doch allenthalben wird deutlich, dass diese „kubistische“ Sprunghaftigkeit des Werkes kein Defizit, sondern sogar eine Qualität ist. Noch dazu ist es gerade diese Tendenz, die Martinus erste Oper mit seiner letzten, der weit bekannteren „Griechischen Passion“, verbindet; dies gilt besonders für die von Ales Brezina rekonstruierte Erstfassung, die ebenfalls in der Regie von David Poutney erstmals 1999 in Bregenz vorgestellt wurde. Womöglich liegt gerade in diesem Verzicht auf Linearität Martinus originellster Beitrag zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Darin ist „Der Soldat und die Tänzerin“ ein mutiger Vorgriff auf Späteres, namentlich auf die unlängst in Stuttgart uraufgeführte Oper „Giuseppe e Sylvia“ von Adriana Hölszky und Hans Neuenfels. Die Intensität dieses theatralischen Ansatzes hängt bei Martinu nicht anders als bei Hölszky/Neuenfels eng mit der Kenntlichkeit des Theaters als bloßer Fiktion zusammen. Deutlichstes Indiz dafür sind jeweils Auftritte eines Regisseurs, der den Fortgang der Handlung an dramaturgischen Scharnierstellen aus den Angeln hebt.
Diese imponierende Neuproduktion der Prager Staatsoper, gewiss eine der spannendsten an diesem Hause seit Jahren, wurde konzeptionell wie finanziell wesentlich mitgetragen von der vor 25 Jahren gegründeten Martinu-Stiftung. Nach dem Vorbild der Frankfurter Hindemith-Aktivitäten hat diese weitgehend mit Aufführungstantiemen finanzierte Stiftung nach 1989 damit begonnen, eine Fülle von Veranstaltungen zu Martinu auf den Weg zu bringen.
Das seit 1993 am Kinsky-Platz residierende, von Mitteln der Stiftung getragene Bohuslav-Martinu-Institut tat um so mehr gut daran, um die Opernpremiere herum auch ein zweiwöchiges Festival zu organisieren. Dessen höchst informativen Mittelpunkt bildete ein international besetztes Symposion, ausgetragen in Zusammenarbeit mit den musikwissenschaftlichen Instituten der Karlsuniversität Prag und der Freien Universität Berlin. Dabei wurde außer den Werken selbst auch ihre schwierige Rezeption diskutiert. Es war die erste Veranstaltung dieser Art überhaupt, die sich mit Martinus Opernschaffen beschäftigte, das bislang einen weißen Fleck der Forschung markiert. Auf tschechischer Seite hatte die jahrzehntelang geübte Abstinenz mit politischen Vorbehalten zu tun.
Außerhalb von Martinus alter Heimat, etwa in den drei anderen Ländern, in denen Martinu zeitweise lebte (Frankreich, USA und Schweiz) hat sich die musikwissenschaftliche Forschung noch nicht so recht für diesen Wanderer zwischen den Welten zuständig gefühlt. Gerade der „internationale“ Zungenschlag seines Komponierens blieb beim Symposion sinnfälligerweise relativ unbeachtet: Ganz bewusst galt das Hauptaugenmerk nicht jenen neoklassizistischen Werken, die bislang noch am ehesten einen Platz im europäischen Musikleben gefunden haben. Martinu weiter darauf zu verkürzen, sollte von nun an eigentlich unmöglich sein. Gerade das hat dieser erste ernsthafte Gehversuch mit einem vitalen Schlüsselwerk dieser Zeit eindrucksvoll gezeigt.