„Osnabrück ist eine schöne Stadt. Sie liegt in einer Gegend. Viele Häuser zieren das Weichbild.“ Stimmt. – Gab mal so ’ne Kabarett-Truppe: Insterburg & Co., die ham das verbrochen. Den Sketch mit Osnabrück. Während der siebziger Jahre war das.
Vorher, sehr viel vorher, genauer im Jahr 1648, wurde hier unter anderem der Westfälische Friede be- und geschlossen, mit dem immerhin der dreißigjährige Krieg beendet werden konnte. Wie wir wissen, hat dieser Friedensschluss nicht lange halten können. Jedenfalls nicht bis in unsere Tage. Gut sechzig Kilometer weiter west-(falen)wärts liegt Müns-ter, wo auch eine Menge für den Frieden getan werden konnte, aber das ist eine andere Geschichte.
Was also sind zehn Jahre vor einer historischen Leinwand wie dieser? Zehn Jahre, in denen Künstler aus sogenannten Krisenregionen, sagen wir präziser: aus DER Krisenregion, just in Osnabrück zusammengekommen sind, zusammengefunden haben, um Frieden praktisch zu üben, zu demonstrieren, zu feiern. Gewiss, es braucht dazu einen Anstoß. Einen, der die Kugel zum Rollen bringt, und wenn’s über Bande ist, über viele Ecken quasi. So einer ist Michael Dreyer, 44, geboren und aufgewachsen in Bad Essen, ganz in der Nähe, Gitarre, Komposition studiert, Plattenlabel gegründet (Dreyer-Gaido Records) und sich stetig gefragt: Woher kommt’s denn, dass wir uns streiten müssen über dies und das und vor allem, über die Frage, ob dies und das das Maß macht. Das Maß von Welt. Das Maß von Kultur. Das Maß von: Jetzt.
Dreyer erzählt, eigentlich war’s der damaligen Freundin geschuldet, die multireligiöse Projekte organisiert hat, und so kam’s, dass am Nachtkästchen immer sowohl Bibel als auch Koran als auch die Vedischen Schriften als auch … you name it … zur Lektüre bereit lagen. Und dann, wie so oft, kam eins zum anderen: Westasien, sagt Michael Dreyer, Westasien sollte eigentlich diese Gegend heißen, aber das sagt natürlich keiner, sondern vielmehr: Naher Osten, oder eben: Morgenland.
Wie wäre es denn, so spintisierte Dreyer immer und immer wieder, wenn gerade ein Deutscher mit diesem schweren Gepäck zweier Weltkriege, gerade in einer Stadt wie Osnabrück, ein Zeichen setzte? Nicht bloß eine Kerze entzünden zur Weihnacht mit dem Friedenslicht aus Bethlehem, nicht einfach nur Handzettel mit frommen Sprüchen an der Uni verteilen, nein: Musikanten, Maler, Tänzer, Künstler aus eben diesem Morgenland nach Osnabrück einladen, und zwar aus dem ganzen großen Morgenland. Das bedeutet aber auch, dass Musiker aus Armenien und der Türkei, aus Kurdistan und dem Irak, aus Uigurien und China miteinander sprechen, miteinander musizieren. Das schreibt sich jetzt so einfach dahin, und ist unterm Strich auch ganz einfach.
So spielen – nicht nur zum zehnten Jubiläum – der aserbaidschanische Sänger und Perkussionist Alim Qasimov wie selbstverständlich mit dem iranisch-kurdischen Kamancheh-Spieler Kayhan Kalhor. Sie improvisieren über die Moods dieser großartigen Musikkultur, die Maquamat, zu dieser Stunde und diesem Anlass. Sie unterhalten sich auf türkisch, weil sie ja alle irgendwelche Turksprachen sprechen. Sie sagen sämtlich, dass sie vielleicht aus unterschiedlichen Gegenden kommen, ja, aber aus unterschiedlichen Ländern? Nein. „Wir sind alle eine große Familie“, sagt der syrische Klarinettist Kinan Azmeh, „und wenn wir in unseren Ländern schon nicht zusammen spielen können, dann tun wir das eben hier. Wir sind Botschafter unserer Sache, und das ist die Musik. Auf diese Weise können wir einen scheinbar kleinen und unbedeutenden Ort wie diesen auf die Weltlandkarte setzen. Wenn ich zurückkomme nach Damaskus und gefragt werde, wo um Himmels willen ist Osnabrück, dann kann ich sagen, es ist ein Ort des Friedens.“
Eigentlich, ja eigentlich ist dem nichts mehr hinzuzufügen. Die Namen der Protagonisten – sollte man sich die merken? Sind sie von Bedeutung? In einem westeuropäischen, journalistischen Sinne: ja. In einem spirituellen, globalen Sinne: nein. Sinnvoll könnte sein, zu erklären, dass die Kamancheh eines der ältesten Streichinstrumente überhaupt ist, altpersischen Ursprungs und dass Kayhan Kalhor sagen wir mal so: DER Meister dieses Instruments ist. Ein bescheidener, zurückhaltender Mann, allerdings mit einer sehr dezidierten Haltung, sagen wir: politisch hochmotiviert.
Was auch für alle anderen Teilnehmer des Morgenland Festivals gilt. Ibrahim Keivo, eine Rampensau reinsten Wassers (auch dies ein politisch hochbrisantes Thema übrigens in der ganzen Region: Wasser): Er liefert sich Shiftetele-Duelle mit Aynur, DER kurdischen Sängerin im Augenblick. In Fatih Akins: „Crossing the Bridge“ war sie zu sehen. Dahinter fetzt die NDR-Bigband mit Leuten wie Wladyslaw Sendecki (p) aus Polen oder Marcio Doctor (perc) aus Brasilien.
Was Shiftetele ist? In der Türkei erklären sie einem das so: Heleandum Jandum Shiftetelje. Und alle lachen, versucht man, das nachzuplappern, denn Shiftetele ist die Art, sich zu bewegen, ja: ein Tanz ums goldene Kalb – die Frau nämlich, Aynur, die Kurdin.
Ibrahim Keivo ist armenischer Syrer, oder ist er syrischer Armenier? Dazu umspielt Kinan Azmeh die beiden mit einer Klarinette, die in Griechenland und Bulgarien Clarino heißt, oder auch Tárogató zuweilen. Eigentlich hätte er ja Akkordeon lernen sollen, erzählt Kinan Azmeh, aber das habe er gehasst. Dann kam das Klavier, das Musikstudium in Damaskus. Er wollte ein Instrument spielen, mit dem er verreisen kann, sagt Kinan Azmeh, der heimliche musikalische Spiritus Rector der Morgenland Allstars, die auch auftreten. Unter freiem Himmel, vor diesem historischen Rathaus, in dem der Westfälische Friede be- und geschlossen wurde, 1648 war das.
Heleandum Jandum übrigens meint soviel wie: Ich brenne, ich brenne. Und das in allen vier Himmelsrichtungen. Weithin sichtbar sind diese Feuerzeichen. Hörbar auch. Gott sei Dank.