In Osnabrücks Innenstadt tobt der Bär und sie ist schwarz vor Menschen. Tausende sind angelockt vom „Moonlight shopping“ und kostenlosem Parken mitten in der City! Direkt vor dem „Theater am Domhof“ tönt die von lautem Trommeln sekundierte Performance einer Tanzgruppe – drinnen die Premiere von Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“. Irgendwie passt das zueinander ...
Witzig, tragisch, traurig – vital: Paul Abrahams „Ball im Savoy“ im Theater Osnabrück
Die Uraufführung von Paul Abrahams „Ball im Savoy“ am 23. Dezember 1932 in Berlin vor mehr als 3000 Menschen war ein voller Erfolg für den Komponisten, der erst knapp drei Jahre zuvor in die deutsche Hauptstadt gekommen war – also ins Zentrum der „Goldenen 20er Jahre“ mit ihrem überschäumenden, pulsierenden und vor allem freizügigen Leben. Dies sollte sich bereits wenig später völlig ändern, Paul Abraham emigrierte zunächst in seine ungarische Heimat und von dort aus über mehrere Stationen in die USA. „Ball im Savoy“ ist somit seine letzte in Berlin herausgekommene Operette – und so etwas wie der letzte Tanz auf dem Vulkan, bevor den Nationalsozialisten die Macht übergeben wurde und Schluss war mit Frivolitäten auf der Bühne, mit sexueller Freizügigkeit, mit Ausschweifungen, mit Lust an Leben und Liebe und mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Frau.
Diesen Tanz auf dem noch nicht ausgebrochenen Vulkan thematisiert „Ball im Savoy“. Ausgespart bleibt, worauf Dramaturgin Juliane Piontek sehr klug und völlig zu Recht in ihrem Text im Programmheft hinweist: dass parallel zum Riesenerfolg der lustvoll konsumierten Operette „an der Friedrichstraße nahe Weidendammer Brücke bettelnde Menschen und Obdachlose die [Berliner] Straßen säumten.“ Das kommt einem in diesen Zeiten doch irgendwie bekannt vor.
Man kann diese Disparitäten innerhalb einer Gesellschaft im Hinterkopf haben und sie umstandslos aufs Heute übertragen. In der Osnabrücker Inszenierung von „Ball im Savoy“ von Felix Seiler spielen sie keine Rolle. Und sie müssen es auch nicht. Was man hier erlebt, ist eine von vorn bis hinten, von Anfang bis zum Ende sehr gut gemachte und jede Sekunde lang unterhaltsame Operette, die sich um eine im Grunde nicht sehr spektakuläre Geschichte dreht.
Aristide und Madeleine kommen nach einem Jahr aus ihren „Flitterwochen“ zurück nach Nizza, wo sich prompt am ersten Abend beim Ball im Savoy amouröse Gelegenheiten bieten. Für Aristide, der noch eine Bringschuld gegenüber seiner Ex, der Tänzerin Tangolita auszugleichen hat und dies auch wohl gern täte nach einem Jahr Gemeinsamkeit mit Madeleine (mal wieder „ein bisschen ledig sein“). Und für Madeleine, die von dem heimlichen Treffen ihres Gatten mit Tangolita erfährt, sich wie eine „Fledermaus“-Rosalinde in den Ball im Savoy hineinschmuggelt und als Betrogene nichts anderes will als Revanche. Daraus entwickelt sich eine Geschichte mit tragikomödischen Zügen, zu der sich gleich anfangs noch ein paar schräge Typen hinzugesellen. Aristides alter Kumpel Mustafa Bey zum Beispiel, ein schaumschlägerischer Frauenheld, der eigentlich kein Türke ist, sondern Klaus Messerschmidt aus Gütersloh; Daisy Parker Darlington, die zufällig anwesende Cousine der eifersüchtigen Madeleine, die unter dem Pseudonym José Pasodoble als Jazzkomponist(in) eine steile Karriere gemacht hat. Und Célestin Formant, ein junger, so ganz unschuldig wirkender Advokat, den sich Madeleine spontan schnappt, um es ihrem Gatten Aristide (Stichwort Revanche) gleich zu tun: fremdzugehen am ersten Abend nach den „Flitterwochen“!
Felix Seilers Osnabrücker Inszenierung sprüht vor Vitalität, ist ebenso witzig wie tragisch und traurig. Er stellt Typen auf die Bühne, denen man spontan Sympathien entgegenbringt – oder sie als borniert und kleinkariert empfindet. Man kennt das, man findet sich (im schlimmsten oder auch im Idealfall) darin wieder. Hartmut Schörghofer schafft eine Bühne vorwiegend in Schwarz-Weiß-Optik, etwas in Richtung Illusions-Malerei (zwei Dimensionen erschaffen drei ...); Linda Schnabels Kostüme sind einfach eine Wucht (Kompliment an die Kostümabteilung des Osnabrücker Theaters). Und vor allem punktet diese Produktion mit einer schlichtweg hinreißenden Choreographie all der getanzten Szenen, die nicht nur von der hauseigenen Dance Company Osnabrück (Bart de Clercq) brillant gemeistert werden. Denn auch der Chor (Sierd Quarré) spielt, singt und tanzt mit Begeisterung, die sich unmittelbar aufs Publikum überträgt.
Sängerisch bleiben am Premierenabend keinerlei Wünsche offen. Susann Vent-Wunderlich changiert ganz virtuos zwischen selbstbewusster Frau und enttäuschter Geliebten; Jan Friedrich Eggers, ihr Gatte Aristide, hat ebenso alles „drauf“: das Schmeichelnde wie das Herrische. Hans Gröning als Mustafa Bey, erst seit dieser Spielzeit im Osnabrücker Ensemble, ist eine Wucht, darstellerisch wie sängerisch! Susanna Edelmann gibt die begehrte Tangolita mit verführerischer Stimme. Und da ist dann Veronika Hörmann, die als Daisy Parker Darlington nicht nur ganz fantastisch singt, sondern auch irre gut tanzt. Ein starkes, ein restlos überzeugendes Rollenporträt!
Dies alles wird quasi „unterfüttert“ durch Daniel Inbal, den Dirigenten, der das Osnabrücker Symphonieorchester mit leichter, lockerer Hand zu Klängen animiert, die sich hier mal spätromantisch geben, dort mal ganz kräftig in den Jazz der 1920er Jahre vertiefen. Musikalisch spannend und abwechslungsreich – insgesamt ein großer Wurf. Und ein Plädoyer für Paul Abraham und seinen Ball im Savoy.
- Weitere Termine: 8., 14., 22. November; 3., 15., 25., 31. Dezember; 11. und 23. Januar 2025
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