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Klingender Raum: Klanginstallation von Marianthi Papalexandri-Alexandri auf der Solitude. Foto: Frank Kleinbach/Akadamie-Solitude
Klingender Raum: Klanginstallation von Marianthi Papalexandri-Alexandri auf der Solitude. Foto: Frank Kleinbach/Akadamie-Solitude
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Wo die Wände Ohren haben

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Drei Klanginstallationen in der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart
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Totgesagte leben länger. Auch in diesem Jahr findet bei Musik der Jahrhunderte wieder das Festival „Sommer in Stuttgart“ statt, und zwar vom 20. bis 22. Juli. Die Solitude-Akademie hat dagegen ihren Teil vorgezogen: Dort gab es bereits vom 15. bis 17. Juni ein kleines Festival, das mit einer Ausstellungseröffnung begann. Die Ausstellung besteht aus drei Klanginstallationen, die noch bis Ende Juli zu sehen oder besser: zu hören sind.

Was charakterisiert eine Klanginstallation? Eben dass sie sich, im Gegensatz zur konzertanten Aufführung, im Raum abspielt, nicht in der Zeit. Alle drei Arbeiten füllen den Raum, für den sie konzipiert wurden, mit Klängen, virtuell ununterbrochen, das heißt während der Öffnungszeiten, für die Dauer von sechs Wochen. Es sind spezielle Räume: Der obere Hirschgang ist ein langer, gebogener Korridor, auf der einen Seite Fenster mit Blick auf Schloss Solitude, gegenüber die Türen der Musiker-Studios. Jeweils zwischen zwei Türen hat David Brynjar Franzson Lautsprecher auf den Boden gelegt, aus denen Klänge hervorsprudeln. Aufgenommen sind sie in seiner New Yorker Wohnung, an einem gewöhnlichen Montagmorgen. Es sind allerdings keine wiedererkennbaren Geräusche zu hören: Franzson hat die Aufnahmen manipuliert, etwa bei Sprachaufnahmen die Höhen abgeschnitten, und einen Zeitraum von mehreren Stunden auf sechs Minuten komprimiert. Das Resultat klingt erstaunlich rhythmisch, schaukelt sich langsam zur Mitte hin auf und verebbt anschließend wieder, bevor sich der Zyklus, jeweils leicht variiert, wiederholt.

Die Architekten Adam Fure und Ellie Abrons haben in ein separates Studio mit weißer Schaumstoff-Folie ein Labyrinth eingebaut: eine Höhle, die ein wenig an die schrägen Gassen des Stummfilm-Klassikers „Das Kabinett des Dr. Caligari“ erinnert. Nur erfährt hier der Betrachter die Dramatik am eigenen Leib, wenn er sich durch die höhlenartigen Gänge bewegt. Denn die Klänge, komponiert von Ashley Fure, verändern sich: In den Wänden befinden sich Sensoren, je enger die Passagen, durch die sich der Ausstellungsbesucher hinabbücken muss, je klammer die toten Winkel, umso mehr schwillt die Geräuschkulisse bedrohlich an.

Der Untere Hirschgang, der Keller unter dem Offizienbau, in dem die Akademie untergebracht ist, ist ein flacher, von dünnen Pfeilern gestützter Saal ohne Tageslicht. Und doch gab es hier einmal Fenster, wie Marianthi Papalexandri-Alexandri herausgefunden hat. Sie wurden mit Holzplatten verschlossen, übertapeziert und gestrichen, so dass sich ihre Position nur noch dem Eingeweihten erschließt. Papalexandri-Alexandri hat sie zum Schwingen gebracht und damit den gesamten Raum in ein dauerhaftes Dröhnen versetzt, ein wenig wie La Monte Young oder Phil Niblock, aber ohne menschliche Akteure. 

An jeder Holzplatte hat sie ein Drahtseil befestigt, das am anderen Ende mit einer Schlinge über einem kolophoniumbestäubten Rädchen hängt, das sich dreht und somit Reibungen erzeugt. Auf der einen Seite des Raums sind die Drähte länger als auf der anderen. Sie sind unterschiedlich stark gespannt und die Räder mit mehr oder weniger Kolophonium eingerieben. Zum Teil sind die Schwingungen deutlich sichtbar. Direkt an der Wand ist der Klangeindruck ein ganz anderer als mitten im Raum. Papalexandri-Alexandri hat auf diese Weise nach und nach den gesamten Raum erforscht, den sie sozusagen aus sich selbst heraus zum Klingen bringt, und dabei immer neue akustische Geheimnisse entdeckt. 

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