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Bastian Pfefferli und Victor Barceló. Foto: Gianmarco Bresadola
Bastian Pfefferli und Victor Barceló. Foto: Gianmarco Bresadola
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Wo laufen sie denn? Uraufführung von Simon Steen-Andersens „Walk the Walk“ an der Staatsoper Berlin

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Zur ersten Premiere dieser Spielzeit, die der Staatsopern-Intendant unter das Motto „Ruhelos“ gesetzt hat, begrüßte Matthias Schulz im ausverkauften Alten Orchesterprobensaal die anwesenden 14 Besucher zu der – aufgrund des Fahrradunfalls eines Darstellers – um drei Tage verschobenen Uraufführung von „Walk the Walk, für vier Performer, Laufbänder, Objekte, Licht und Rauch“ von Simon Steen-Andersen.

Mindestens einmal pro Monat erhalte ich Spam-Werbung, ich solle meine Schallplatten vor dem Verfall retten und sie durch Erwerb eines Umwandlungs-Systems auf CD übertragen. Nachdem die Schallplatte als Tonträger totgesagt worden war, überlebte sie dank einiger Klangästhetiker, die auf das satte, auf CD nicht zu erzielende Musikerlebnis nicht verzichten wollten – wie auch durch das von DJs praktizierte Scratching. Unlängst erreichte die Musikfreunde aus den USA die Meldung, inzwischen habe die Produktion neuer Vinyl-Schallplatten den Markt neu hergestellter CDs überrundet.

Daran musste ich denken, als das Schlussbild von „Walk the Walk“ im tricky Black-Box-Bühnenbild den Blick auf einen zentralen Schallplattenspieler freigab, auf welchem eine zu langsam abgespielte Aufnahme von „Wanderers Nachtlied“ ihre Runden drehte.

Beim Einlass war auf dem Sitzplatz der errichteten Tribüne das Programmheft des Abends zu finden; doch der jüngst an der Deutschen Oper Berlin eingeführten Praxis folgend, beschränken sich nun auch an der Staatsoper die Informationen zum Stück auf ein gefaltetes DIN A4-Blatt mit dem Hinweis, „Das komplette Programmheft steht Ihnen digital zum Download auf unserer Website zur Verfügung.“

Die „Walk the Walk“-Produktion wäre an jeder Sprechbühne oder Spielstätte der freien Szene genauso gut platziert gewesen – denn mit Musiktheater hat dieser Performance-Abend relativ wenig zu tun. Der in Berlin lebende dänische Komponist und Performer zeigt sich hier in zweiter Funktion. Denn die von Pro Helvetia, Danish Arts Foundation, Impuls neue Musik und von der Schweizerischen Botschaft geförderte Uraufführung bietet außer elektronischen Geräuschen durch Frequenzüberlagerung, der Auf- und Abfahrt eines Mikrofons, eingespielt beschleunigten und sich verlangsamenden Herzschlägen sowie in einer Szene live eingesetzter Trommel, Harmonika und Maultrommel weniger Musik als ein durchschnittlicher Schauspielabend.

Das Schweizer Schlagzeuger-Quartett „Ensemble This | Ensemble That“, vier Herren mit Baseballkappen, agiert teils stumm, teils auf Englisch im , mikroportverstärkten Small Talk, oder es verliest Autoritätsbeweise rund um die Frage des Gehens: da wird Peter Brook ebenso herangezogen, wie auch frühe Foto- und Filmkünstler, Johann Wolfgang von Goethe mit seinen „Wanderjahren“ oder das Brockhaus Konversationslexikon aus dem Jahre 1837.

Einige Szenen des Entertainments erinnern an Bildungs-Sendungen im frühen Schwarzweißfernsehen, etwa an eine wissenschaftliche Phänomene erklärende Reihe von und mit Walt Disney oder an einen Film über die Trickkiste der Tonfilm-Geräusche-Macher: hier wird das Laufen auf dem Platz in einer Kiste mit Tonbandabfällen von einem der Wuschelkopf-Mikros am Stativ so eingefangen, als würde jemand durchs Gras laufen.

Kommerzielle Unterhaltungsmusik ertönt während eines langen Umzugsvorgangs der Herren Brian Archinal, Victor Barceló, Miguel Ángel García Martín und Bastian Pfefferli. Diese bewegen sich anschließend erneut, stets von links nach rechts, über drei verschiedene Laufbänder. Gegen Ende wird einer der walkenden Darsteller im Gegenwind mit Papierfetzen und Luftschlangen beworfen und muss sich dann durch einen langen, knapp mannshohen Plastikluftschlauch bewegen, durch welchen er einige schnorchelartige Elemente bohrt.

Abschließend ertönt als einsames Fazit „Wanderers Nachtlied“ von Franz Schubert – in einer die allgemeine Erschöpfung diesseits und jenseits der Rampe gut zum Ausdruck bringenden, verlangsamten UPM-Wiedergabe des besagten Plattenspielers.

Wohl mehr ratlose als ergriffene Stille herrschte nach Ende der 80-minütigen, gefühlt aber durchaus mehr als zweistündigen Performance, bis der Hausherr applaudierend das Schweigen brach, auf dass die vier Protagonisten und den sich in Personalunion von Regisseur, Ausstatter und Komponist(?)  verneigenden Simon Steen-Andersen der Applaus als ein freundliches Rauschen umgab.

Die als Kompositionsauftrag der Staatsoper Unter den Linden, zusammen mit Musica Strasbourg, Gare du Nord Basel und KLANG Kopenhagen gemeinsam finanzierte Produktion soll im Juni nach Berlin zurück kommen und dann, so Schulz, „in einer erweiterten und veränderten Version vor hoffentlich wieder 110 Besuchern“ gezeigt werden.

  • Weitere Aufführungen: 15., 20., 22., 24., 28. und 30. September 2020, 22., 24., 26., 28. und 30. Juni 2021.

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