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Wolfgang Amadeus Mozart unter „ferner liefen“

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Wettkampfromantik der Pianoamateure in Paris
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Chung Lee ist gewiss kein Star. Schumanns Kinderszenen aber spielt der Architekt aus China so traumwandlerisch zart, dass die Juroren leise mitsummen. „Sehr musikalisch“, nickt Arto Benon, einer von ihnen. Der Pianist und Lehrmeister muss es wissen, hat er selbst doch bei einem Schüler Liszts studiert und in Paris mit dem Klaviermagier Cortot zusammengearbeitet. Jetzt legt er seine Hände übereinander, kehrt den Blick nach innen und lauscht der Poesie des grauhaarigen Herrn am Flügel.

Musikalität ist gefragt beim ältesten und renommiertes- ten Wettbewerb begabter Amateur pianisten, zu dem in Paris 86 Kandidaten aus 22 Ländern antreten. Und Musik erspürt hier jeder Amateur - der junge Physiklehrer aus La Réunion wie die gesetzte Psychologin aus Dallas, die Mutter aus Halifax wie der Anwalt aus Luxemburg. Konkurrenz und Siegeswille rangieren weit hinter der Liebe zur Musik. Dies ist das Credo Gérard Bekermans, des Pianisten und Ökonomen, der den Wettbewerb 1989 aus der Taufe hob. So schafft er eine entspannte Atmosphäre, in der niemand Schaukämpfe erwartet oder Neuauflagen von „Liszt gegen Thalberg“ oder „Clementi gegen Mozart“. Auch sonst spielt Mozart in Paris kaum eine Rolle. Nicht einmal im Mozartjahr. Chopin ist Favorit, erklingt so oft wie Beethoven und Bach zusammen. Seine Balladen und Scherzi, die alle Vorrunden bis zum Finale durchströmen, befreien aus Interpreten Sturm und Drang ebenso wie das träumerische Lied in allen Dingen. Nicht immer freilich löst sich die Botschaft von der Technik. Bisweilen wird Gefühl zur Marionette des Verstandes, durch Gestenpathos oder die Kunst der Mundmalerei ersetzt. Doch gerade da, wo das Perfekte fehlt, wo Arpeggien geschmirgelt, Temposprünge selbst gebastelt klingen, wo Harmonien im Pedal ertrinken, Allegro donnert und Vivace plätschert, da sitzt ein Mensch, der spielt und manchmal zittert, im Rampenlicht. Der Amateur ist nahbar und weit entfernt vom Superstar. Das Publikum bewundert Mut und Willen, kann sich aber zugleich in ihn hineinversetzen. Hier liegt das Geheimnis dieses Wettbewerbs, die Romantik jenseits der Epochen.

Am Vorbild Paris orientieren sich Amateur-Wettbewerbe in aller Welt. Auch in New York und Colorado Springs, in Boston und Fort Worth gilt: Gehobener Spaß sticht Kampfgeist. Und überall regiert Chopin. Beethoven und Bach werden oft gespielt, Brahms oder Schubert eher heimlich verehrt. Kann man mit Brahms überhaupt gewinnen? Eberhard Zagrosek, der erstmals in Berlin einen Amateur-Wettbewerb ausrichten wird, ist davon überzeugt. Auch Chuck Cabell, Präsident des Colorado-Wettbewerbs, bestätigt, die meist gespielte Musik müsse nicht zwangsläufig siegen. In Paris jedenfalls siegt das Außergewöhnliche. Moderne Kompositionen, die ihre Interpreten zu perkussiver Gewalt nahezu herausfordern, beeindrucken die Jury wenig. „Nach Rachmaninoff ging es mit der Musik bergab“, sagt Benon, der Rachmaninoff noch persönlich erlebte.

„Moderne Komponisten nutzen den Flügel als Tamburin.“ Ein mildes Urteil, hört man Hartmanns Werk „27. April 1945“, gespielt von Gregor Prozesky aus Diepholz. Ein Maschinengewehr berichtet vom Weltkrieg, von Wut und Empörung beim Anblick der KZ-Häftlinge aus Dachau, ein Klanggespinst – faszinierend und beklemmend zugleich. Weit nachdenklicher nähert sich diesem Thema die Pariser Studentin Audrey Megaïdes mit dem dramatisch gedehnten Crescendo ihrer Eigenkomposition „Reise nach Auschwitz“.

Ganz anders erobert Dominik Winterling Publikum und Jury. Einst Domspatz zu Regensburg, jetzt Wirtschaftsstudent in Mannheim, reißt er mit spritzigen Chopin-Etüden zu Ovationen hin. Und auch wenn er Cho-pins f-Moll-Ballade zu wenig Zeit zu atmen lässt und sich mit dem Engländer Rupert Egerton-Smith den zweiten Platz teilen muss, so wird niemand, der dabei war, vergessen, wie er mit Nikolai Kapustins Variationen opus 41 die Grenzen zwischen Klassik und Jazz sprengte.

Liszts Verdi-Paraphrase über Rigoletto und eine Sonate von Henri Dutilleux allerdings, vollendete Dynamik zwischen Akkordgewitter und flirrenden, wie Schneekristalle ziselierten Tastenläufen eines Thomas Yu, Zahnarzt aus Toronto, sind Jury, Pressejury und Publikum den Hauptpreis wert.

Fünf Tage im Februar. Was wird bleiben? Irgendwann – ein Brahms-Intermezzo zieht gerade vorüber – verklärt sich Benons Cortot-Blick. „Alte Schule“, lächelt er und trifft zugleich den Geist des Wettbewerbs, die Olympische Idee des Dabeiseins. Die Freude am Spiel ist der Gewinn für alle. Es gibt keine Verlierer.

Nirgends wird das deutlicher als in Chung Lees Halbfinale. Nervosität hat ihn gepackt. Seine Ballade versiegt. Das Publikum ist bestürzt. Chung Lee erhebt sich.

Ob er noch ein Stück spielen dürfe, fragt er, zur Jury gewandt. „You have time“, nickt Bekerman, der Vorsitzende. Der Architekt dankt, setzt sich. Ein Juwel bezaubert das andächtige Publikum. Alle Herzen bei Chung Lee. Sein großer Moment. Einmal im Leben ist jeder ein Star.

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