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Außer der Beschwörung der Vergangenheit ist wenig geblieben von der Revolution. Weder damals noch heute: Denn Cornelius Schwehrs erste Oper reflektiert nicht nur die Badische Revolution von 1848/49, sondern auch das Scheitern der Studentenrevolte von 1968. Insofern erklärt sich auch der etwas überraschende Titel der Oper: „Heimat“, dessen Libretto der alt-linke Liedermacher Walter Moßmann verfaßte, kreist naturgemäß um all die Deformationen, die der Begriff vor allem durch den Nationalsozialismus erhielt. Befreit von triefendem Heimatkitsch und nationalistischer Vaterlandsromantik, will die Oper an dessen ursprüngliche Bedeutung erinnern: als Ort der Geborgenheit, der nach Ernst Bloch „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“
Ein alter Mann erinnert sich an seine Jugendzeit, als die Blochsche Vision einer in wahrhafter Heimat wurzelnden Gesellschaft noch Leitbild der badischen Befreiungsbewegung war. Den nervösen Träumen des sterbenden Alten entsprechend, rollen heterogene Sequenzen aus dem geschichtlichen Bürgerkrieg ab. Es sind jedoch keine getreu historischen Stationen, die Moßmanns nichtlineares Libretto verfolgt – obwohl durchaus Ähnlichkeiten zwischen dem Protagonisten Hikel und dem Freiheitskämpfer Friedrich Hecker verspürbar sind –, vielmehr prototypische Schicksale in revolutionären Prozessen schlechthin.
Bezeichnend, daß – ähnlich wie in Luigi Nonos Revolutionsoper „Al gran sole“ – das Scheitern der Revolutionäre ins Zentrum rückt. 150 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands berührt „Heimat“ eine Reihe auch heute noch entscheidender Fragen: Warum radikaldemokratische Inhalte zu erstarren beginnen, sobald sie mit den Formen eines im Kern herrschaftsbestimmten Regierungsapparats in Berührung kommen, demonstrieren schmerzhaft die koalitionsgeknebelten Grünen Deutschlands.
Darauf reagiert auch Schwehrs Musik. Indem sie immer wieder auf skelettierte Formen aus der Operntradition zurückgreift, um deren Antiquiertheit zu erweisen. Dementsprechend fern ist ihr auch jedes revolutionäre Pathos. „Heimat“ ist keine Oper im herkömmlichen Sinn, vielmehr eine aufs Feinste ausgehörte Elegie, der selbst das schmerzhafte Aufbäumen von Nonos „Al gran sole“ fehlt. Schwehr vollzieht eine stille, in sich gekehrte Trauerarbeit, deren theatrale Dramatik sich eher in den Binnenstrukturen abspielt, in den vielen fragenden Pausen, in einigen schockhaft aufblitzenden Clusterakkorden.
Den Singstimmen fehlen folglich auch die Melismen, die kantablen Bögen. Jeder Silbe des Textes entspricht ein Ton in der Partitur, die dadurch den Charakter einer gebrochenen Klage gewinnt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch vier – vorzügliche – Instrumentalsolisten, die den vier Protagonisten zugeordnet sind, die in der Erinnerung des auf der Vorbühne in einem Bett fiebernden Alten (Hubert Bischof) wieder auftauchen: Eine Klarinette begleitet Hikel als jungen Studenten, vorzüglich gesungen von Wolfgang Newerla; ein Klavier Amalie, die Salondame – Sigrun Schell; Percussion Max, den desertierenden Offizier – Pere Pou-Llompart; und eine Geige Sofie, das Dienstmädchen – Julia Mende. Um die Hoffnungslosigkeit der Lage der kurzfristig regierenden badischen Revolutionäre zu unterstreichen, bettet Schwehr seine „Heimat“ in einen formalen Verlauf, der an Bergs „Lulu“ erinnert: Zentriert um ein längeres instrumentales Zwischenspiel sind jeweils zehn Szenen, die in der zweiten Hälfte exakt krebsgängig verlaufen. Das verleiht dem Musiktheater etwas Zwanghaft-Unausweichliches, das die Macht verselbständigter bürokratischer Strukturen hervorkehrt, an denen die revolutionären Ideen schließlich zerbrechen.
Obwohl die Dramaturgie von „Heimat“, die opernhafte Fragmente nur der Vergangenheit zuordnet und die Gegenwart des Sterbenden durch Schauspieler verkörpern läßt, nicht ganz zu überzeugen vermag, besitzt Schwehrs reflexiv-leises Musiktheater doch bezwingende Momente. Daß dessen Stärke just in seiner vielfachen Gebrochenheit zu suchen ist, mißverstand Regisseur Gerd Heinz jedoch gründlich. Anstatt das Fragmentarische von „Heimat“ zu betonen, flüchtete sich die Inszenierung bei der Freiburger Uraufführung in dick
aufgetragene Opernhaftigkeit, die Schwehrs karger Musik widerspricht.
Fehlgeleitet ist schon das Bühnenbild Beatrix von Pilgrims, ein steiler Erdhügel vor dem Panorama des verschneiten Berner Oberlands, der dem Chor kaum Bewegungsfreiheiten läßt. Schwer, vor den omnipräsenten Menschenmassen das Beziehungsgeflecht der vier aus völlig unterschiedlichen Beweggründen in die Revolution hineingeratenen Protagonisten zu entfalten, ohne Zuflucht zu Übertiteln nehmen zu müssen. Unentschlossen changiert die Regie zwischen Brechtschen Verfremdungseffekten und postmodernen Zutaten, wie ironisch über den Alpen schwebenden Lustern.
Überzeugend hingegen die musikalische Wiedergabe des komplexen Stücks, die Freiburgs scheidender GMD Johannes Fritzsch äußerst sorgfältig vorbereitete. Erstaunlich vor allem die klangliche Feinfühligkeit, mit der das rhythmisch stets sattelfeste Philharmonische Orchester der Stadt Freiburg die Partitur interpretierte. Trotz der schwierigen Koordination des durch Studenten der Musikhochschule verstärkten Riesenensembles gelang es Fritzsch, einen organischen musikalischen Atem zu entwickeln. Eine beachtliche Leistung für solch ein kleines Theater.