Hauptrubrik
Banner Full-Size

Worin noch niemand war

Publikationsdatum
Body

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Was Ernst Bloch in diesen Schlusssätzen auf Seite 1.628 seines 1959 erschienenen dreibändigen Lebenswerks Prinzip Hoffnung mehr tastend und ahnungsvoll denn erkenntnissicher formulierte, sucht auch das diesjährige Festival „MusikTriennale Köln 2010“ unter dem bipolaren Motto „Heimat – heimatlos“ in Musik aufzuspüren.

In den Festivalkonzerten werden Folklore, Herkunft, Kindheit und sonstige Prägungen von Komponisten ebenso thematisiert wie der Verlust von Heimat und das Finden einer neuen im Zuge von Vertreibung, Exil und Migration. Im bunten Programm-Mix zwischen Schubert, Mahler, Strawinsky, Bartók, Eisler, Weill, Jazz und Zeitgenossen finden sich ab dem Eröffnungskonzert am 24. April auch Uraufführungen des Armeniers Tigran Mansurian, des israelischen Palestinensers Samir Odeh-Tamimi, des Japaners Toshio Hosokawa und des Elsässers Mark Andre. Ebenso polyglott unterwegs ist vom 9. bis 11. April das „Forum Neuer Musik“ des Deutschlandfunks Köln mit Musik aus Deutschland, Finnland, England, Italien, Lettland, Polen, Slowenien und der Ukraine sowie mit Uraufführungen junger Komponisten: Helena Tulve, Niklas Seidl, Dai Fujikura, Mathias Hinke und Tomasz Praszczalek. Ob man ihrer Musik ihre Heimat wird ablauschen können?

Bei den diesjährigen Wittener Tagen für neue Kammermusik stammen dagegen die neunzehn Uraufführungen überwiegend von bewährten Meistern und häufigen Witten-Wiedergängern. Allein der 84-jährige Wiener Altmeister Friedrich Cerha ist vom 23. bis 25. April mit sieben Stücken vertreten, darunter zwei deutsche Erstaufführungen sowie „Bruchstück: geträumt“ für das Klangforum Wien und „Neun Bagatellen“ für das „Zebra“-Streichtrio als Weltneuheiten.

Weitere Uraufführungen

12.4.: Norbert Sterk, Erich Urbanner, neue Konzertwerke, Musikverein Wien
17.4.: Isabel Mundry, Scandello-Verwehungen, Semperoper Dresden
23.4.: Jay Schwartz, Music für Eight Double Basses, hr Sendesaal Frankfurt
Manfred Trojahn, Moderato, musica viva Herkulessaal München
25.4.: Nicolaus A. Huber, Titty Twister für Viola und Akkordeon, Donau-eschingen
Andreas F. Staffel, ÜBerLinien für Sopran und Ensemble, intersonanzen-Festival für Neue Musik Potsdam
27./28.4.: Philipp Maintz, Maldoror, Márton Illés, Scene polidimensionali XXII „Die weiße Fürstin“, Münchener Biennale für Musiktheater
28.4.: Hannes Seidl, Freie Wahl für Lauter Blech, Sendesaal Radio Bremen

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!