Das menschliche Blut ist ja ein raffiniert zusammengesetzter Stoff. Mitunter werden einzelne Komponenten oder Züge betont: „heißblütig“, „blaues Blut“, „südländisch“, „kaltblütig“ bis hin zu „blutleer“. Dass das auch musikalisch funktioniert, bewies Adolf Müller, als er aus bekannten Johann Strauß-Melodien ein Arrangement schuf, dem Bühnen-Blut-Profis wie Victor Léon und Leo Stein ein pulsierendes Handlungsgerüst einzogen.
Die Operation und Transfusion gelang: nach mittlerem Uraufführungserfolg 1899 wurde die erstklassig besetzte Wiederaufnahme 1905 ein „Hochdruck“-Erfolg – und seither sprudelt das „Wiener Blut“ von vielen Bühnen.
Intendant Josef Köpplinger münzt seit 2013 ein Manko in einen Gewinn um: sein Stammhaus, das Staatstheater am Gärtnerplatz, wird wegen deutlich größerer Probleme mit Asbest, Schadstoffen und Anwohnerproblemen nicht zum 150-jährigen Bestehen, also im Herbst 2015 renoviert und erweitert bespielbar, sondern wohl erst im Jahr 2016. Köpplinger muss also vorläufig nicht mit einem festen Ensemble „haushalten“, sondern kann „en suite“-Besetzungen zusammenengagieren – mit nahezu perfekt passenden „Typen“. Ergebnis: Jubelstürme für ein „ächt“ sprudelndes „Wiener Blut“ im Cuvilliéstheater.
Der „musikalische Doktor“ Michael Brandstätter sorgte für den richtigen Fluss. Mit einer der Größe des Theaters angepassten Orchesterbesetzung gelangen ihm herrliche „lebenserhaltende“ Maßnahmen: Aufhören machende Forte-Piano-Wirkungen, die kleinen Ritardandi, ehe der wiegende Walzer-Schwung einsetzt, den ein oder anderen Knalleffekt, immer wieder rasante Beschleunigungen hin zu Galopp und Schnellpolka – und grundsätzlich halt der Sinn, dass musikalisch „süße“ und „sämige“ Pralinen eben auch gut für den Blutzucker sind: „An der schönen blauen Donau“, „Wein, Weib und Gesang“, „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und natürlich „Wiener Blut“ weckten vampirische Gefühle … Einzig Tenor Tilman Unger als Graf Balduin Zedlau braucht noch ein wenig „Höhen-Sauerstoff-Anreicherung“ – kein Wunder bei Verführung von drei Frauen… doch alle anderen Solisten ließen quirliges Blut hören: Daniel Prohaskas Diener Josef, Cornelia Hornaks Gräfin Zedlau, Ella Tyrans „Demoiselle Cagliari“, Hans Grönings aus sächsisch-preußischer Steifheit wienerisch locker werdender Fürst Ypsheim – und Jasmin Sakr gelang, neben aller Pfiffigkeit der „Probiermamsell“ Pepi auch das kleine Elend des von allen Mannsbildern gern ausgenutzten „süßen Mädels“ anklingen zu lassen.
Regisseurin Nicola Claudia Weber hatte einen bayerischen und einen österreichischen Amor gleichsam aus der Rokoko-Dekoration des Theaters auf die Bühne beordert, wo sie uns vorführten, was die von ihnen angezettelte „Liebesblödigkeit“ aus Menschen macht. Vom Bühnen-Duo Fehringer-Leikauf hatte Weber ein kleines „Zuckerbäcker-Wien“ auf die Drehbühne bauen lassen – bis hin zu weißen „Baiser“-Wölkchen, kleinem „Steffl“-Dom und Sezessionsgebäude sowie Klimt-Bildzitaten. Und als für „draußen in Hietzing“ große Weintrauben alles verhängten, spazierte sogar Dr. Sigmund Freud über die Bühne.
Für die ins Uraufführungsjahr 1899 verlegten Ehebruchsverwechslungen hatte Weber auch den Text gestrafft, allgemeinverständliche Wortwitze belassen und die Solisten mit österreichisch-wienerischer Herkunft oder Erfahrung auch mal „loslegen“ lassen. Zusammen mit Dirigent Brandstätter war über alle schnellen Auf-, Ab- und Fehltritte hinaus hörbar am Tempo und an den Übergängen Dialog zu Musik gearbeitet worden. Prompt stimmte das „Timing“ – die amüsierte Begeisterung über soviel erstklassiges „Theaterhandwerk“ gipfelte in Bravo-Stürmen für zwei Originale: Harald Hofbauers Fiakerkutscher legte eine wienerische Schimpfkanonade hin, dass es eine „balkanische Wucht“ war. Bei Wolfgang Hübsch flossen Brettl-, Volks- und Burgtheatererfahrung zusammen, um im Karusselbetreiber Kagler ein liebeswert grantelndes Urbild des „Weana Schmähs“ erstehen zu lassen – hinreißend. Bei beiden wären fast dolmetschende Übertitel zu wünschen – oder besser: man muss sie und ihre „blutigen Suaden“ noch mal erleben.