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Clara Iannottas „Limun für Violine und Viola“. Foto: Petra Basche
Clara Iannottas „Limun für Violine und Viola“. Foto: Petra Basche
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Zähflüssiger Raum – Das Eröffnungskonzert der MaerzMusik 2015 in Berlin

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Der neue künstlerische Leiter der MaerzMusik, Berno Odo Polzer, hat einiges vor in seinem ersten Jahr vor Ort. In der wortreichen Pressekonferenz vor einer Woche versprach er, dass jedes Konzert ein eigenes Ereignis werden würde, dass es keine Zufälligkeiten in der Zusammenstellung geben werde, in der Not Ratgeber gewesen wäre. Angefangen von „Liquid Room“ bis zu „The Long Now“ (das über 30 Stunden am Ende des Festivals im Kraftwerk Berlin gehen wird). Drum herum wird dann gelesen und gedacht bei „Thinking Together“.

Das alles ist nicht unsympathisch, im Gegenteil. Warum soll man mit Konzerten und der Konzeption eines ganzen Festivals nicht genauso umgehen, wie es Künstler mit ihrem Material tun: ökonomisch und avanciert. Das Problem ist nicht die Absicht meistens, sondern deren Umsetzung.

„Liquid Room“ verspricht einen „flüssigen Raum“, einen „fließenden“ oder einen verflüssigten, schwer zu sagen, aber unbedingt ein „besonderes Konzertformat“. In jedem Fall darf man als Eckpunkte festhalten: Konzert über vier Stunden mit Mitgliedern zweier Ensembles (ICTUS aus Brüssel und Mosaik aus Berlin), viereinhalb Bühnen – verteilt auf der großen Bühne des Hauses der Berliner Festspiele. Auf den Bühnen, im Wesentlichen nacheinander, Kompositionen kammermusikalischen Zuschnitts aus jüngerer Zeit, mit elektronischer Verstärkung oder ohne, mit traditionellen Instrumenten oder ohne, mit großer Lautstärke oder geringerer, mit flackerndem Licht oder geschmeidigem Nebel. Dazwischen eine Menge Menschen als Zuhörer (anfangs noch viele, gegen Ende wesentlich weniger und zunächst eher stehend, gegen Ende häufiger liegend und sitzend), teils in Bewegung, häufiger teils wie erstarrt stehend, den geistigen Sitzplatz aus Gewohnheit mit sich herumtragend. Die Musikehrfürchtigkeit lässt sich nicht so einfach abschütteln. Auch Neue Musik ist Religion.

Dabei war das, was da in vier Stunden in ungefähr 26 Teilen zu Gehör kam von großer musikalischer Buntheit, fein und fitzelig mal hier wie bei Clara Iannottas vor sich hinhauchendem „Limun für Violine und Viola“ oder grob überrumpelnd da und dort wie bei Bruce McClures „Modified Projector Performance“ oder verrückt virtuos witzig wie bei Enno Poppes „Rad“ für zwei Keyboards. Mittendrinn immer wieder auch mal die charismatische Eva Reiter an der Gambe oder als Sängerin/Performerin zum Beispiel mit Peter Ablingers popmusikalischer Zeitansage „Tim“. Als ein Block musikalischer Extravaganz Jürg Freys „Streichquartett Nr. 2“ (von 1998-2000), das seine Mollakkorde über 28 Minuten lang hin Akkord für Akkord, von Pausen unterbrochen, aushaucht: Das vielleicht musikalisch radikalste Werk des Abends.

In den vier Stunden wurde es nie langweilig, vielleicht wurde man etwas müde zwischendrin, doch die Konzeption von ICTUS und ensemble mosaik war lichttechnisch, akustisch und in der Ablaufgestaltung auf allerhöchstem Niveau, keine Frage. Aber eine neue Konzertform? Gar ein „Liquid Room“? Der Raum und die Zeit sind leider doch sehr hartnäckig. Mit ihr im Gepäck reist die Tradition des Hörens und der Kunstbetrachtung an sich.

Steifer Tanz auf Eisschollen

„Häuser voll Musik“ hat es länger schon gegeben. Da regierte gerne der Zufall und die akustische Überlappung, was manchmal zu eben recht produktiven akustischen Allianzen führte, die aber selten genug der Fall waren - wie jeder weiß. Kaleidoskopischer Zirkus resultierte dagegen häufig und der Kampf um Aufmerksamkeit, um der Gleichgültigkeit von Zeit und Raum ein Schnippchen zu schlagen. Das wurde schnell albern. Das was hier anders, dramaturgisch von der Idee her gut geführt. Im verflüssigten Raum von ICTUS und ensemble mosaik war es gleichwohl schwierig mitzufließen oder sich mitreißen zu lassen. Häufiger wurde man im jeweiligen akustischen Ereignis stehen gelassen. Die potentiell einfache Realisierbarkeit einer Fluchtmöglichkeit ist ein echter Fortschritt – man muss da nicht mehr an dutzenden Knien, fluchend und sich zugleich wortkarg entschuldigend, vorbeischrabben. Doch der von Polzer so schön formulierte „Tanz auf Eisschollen“ mochte sich einfach nicht einstellen. Die Hölle der Neue-Musik-Rezipienten ist immer noch außerordentlich kalt. Da fror zusammen, was zusammengehört.

πάντα ῥεῖ – panta rei – alles fließt. Aber doch meist zugleich nur in eine Richtung, wenn überhaupt. Das macht es sehr schwer, die Situation insgesamt in Freiheit und Beweglichkeit zu setzen. Am ehesten gelang dies mit den Werken des Abends, die kompositorisch ziellos wirkten oder jeder Zielsetzung die Sogwirkung entzogen. Repetitive Musik ist da immer in einer bevorzugten Situation, aber auch überkomplizierte Stücke, gewiss jedenfalls nicht das Mittelmaß.

„Festival für Zeitfragen“

Ausblick: MaerzMusik sei jetzt aufgestellt als „Festival für Zeitfragen“, so der Untertitel der Veranstaltung. Damit oszilliert man irgendwo zwischen Fragen der „Zeit“ als physikalisch-philosophischer Größe und der Forschung nach gewissermaßen drängenden, brennenden Fragen der sozialen und politischen Zeit, der Erkenntnis der Gegenwart und öffnet damit Türen in das gesellschaftliche Jetzt. Da wird man mit Spannung die „Bühnenwerke“ „RECHT“ und „KREDIT“ von Hannes Seidl und Daniel Kötter erwarten dürfen. nmz-online wird darüber berichten. Das Gesamtfestival wird von Albrecht Dümling in der nmz behandelt und in SILBERHORN wird noch einmal „Liquid Room“ mit ICTUS und ensemble mosaik aufgegriffen.

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