Der riesige Gebäudekomplex des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe beherbergt neben den Einrichtungen im audiovisuellen Bereich auch das IMA, das Institut für Musik und Akustik. Eingebunden in die Gesamtstruktur des ZKM widmet es sich der musikalischen Forschung und Produktion an der Schnittstelle zu den neuen Medien. Seit seiner Gründung 1991 hat das heute von Ludger Brümmer geleitete Institut auf diesem Feld zahlreiche Initiativen entwickelt, angefangen von der Entwicklung neuer musikalischer Software über die Erteilung von Stipendien und Aufträgen für Kompositionen, die in den hauseigenen Studios realisiert werden, bis zur Edition einer CD/DVD-Reihe gemeinsam mit dem Label Wergo und öffentlichen Veranstaltungen. Und gemeinsam mit dem Freiburger Experimentalstudio hat das IMA den Giga-Hertz-Preis für elektronische Musik ins Leben gerufen; erster Preisträger war 2007 der Engländer Jonathan Harvey.
Die Veranstaltungen des IMA finden im Blauen Kubus statt, einem würfelförmigen Raum mit einer einzigartigen Beschallungstechnik – über die 47 ringsherum verteilten Lautsprecher kann jede Art von virtuellem Raumklang erzeugt werden. Hier fand nun im Dezember auch wieder das Festival „Piano plus“ statt, das von der Pianistin Catherine Vickers geleitet wird und Kompositionen für Klavier mit Elektronik präsentiert. Mit einer Mischung von neuen und älteren Werken gibt das Programm einen informativen Überblick über die noch junge Geschichte des Genres. Zum Klassiker avanciert ist inzwischen die fast einstündige Komposition „Pluton“ für Midi-Klavier und Computer des heute in San Diego lehrenden Philippe Manoury. In dem 1989 uraufgeführten Stück kommt erstmals die heute weit verbreitete Software MAX zur Anwendung, die Miller Puckette damals in Zusammenarbeit mit Manoury am Ircam entwickelte. Mit ihr können Parameter wie Räumlichkeit, Tonhöhen und Klangstreuung gesteuert werden. Der Komponist geht aber hier noch einen Schritt weiter und lässt die Elektronik in eine lebendige Interaktion mit dem Spieler treten: Indem der Computer die digitalisierte Notation abtastet und zugleich auf bestimmte Merkmale der Interpretation reagiert, beeinflusst er in Echtzeit die innere Struktur der Musik und damit den Prozess der Aufführung. Im Zusammenspiel von Christian Nagel am Klavier und Philippe Manoury am Reglerpult entstand eine grandiose Klanglandschaft, die in ihrem Facettenreichtum ebenso beeindruckte wie in der souverän gestalteten Großform.
Manourys „Pluton“ besitzt alle Merkmale eines Prototyps und setzt klare Standards. In der Komposition „I Kill by Proxy“ für Klavier, Schlagzeug und Computer nutzt Michael Edwards zwar alle Schikanen der Raumklangakustik im Blauen Kubus, doch bleibt er zu oft in der bloßen Darstellung der Möglichkeiten stecken und lässt es, anders als Manoury, an einer genuinen ästhetischen Botschaft fehlen. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt wiederum Peter Ablinger in seiner Werkreihe „Voices and Piano“, indem er die Obertonspektren gesprochener Sätze analysiert und sie in pianistische Akkordfolgen umwandelt. Der an sich reizvolle Versuch, der von Catherine Vickers akkurat demonstriert wurde, leidet dann aber doch etwas an der Abbild-Mechanik – eine Beschränkung auf den Klavierklang, ohne vorheriges Zuspielen der Sprechsätze, wäre zum Hören anregender gewesen. Catherine Vickers bildet zusammen mit Pi-hsien Chen ein fabelhaftes Klavierduo, das aber diesmal leider nur in der Uraufführung von „madu 0.8 pyong“ von Martin Bergande in Erscheinung trat.
In einem kommentierten Konzert präsentierte Siegfried Mauser mit Werken von Jan Müller-Wieland, Hans Jürgen von Bose, Georg Friedrich Haas, Olga Neuwirth und Gerd Kühr fünf völlig unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema „Klavier plus“ – von einer ästhetischen Enge der Gattung kann heute nicht die Rede sein. Dass ganz allgemein die Kombination von Instrumentalklang und Elektronik noch viel Potenzial birgt, ging auch aus dem Videointerview hervor, das Ludger Brümmer 2004 mit Karlheinz Stockhausen im Zusammenhang mit dessen Arbeit an „Licht-Bilder“ am IMA führte und das nun zum Gedenken an den Komponisten wieder gezeigt wurde. Der Komponist ist darin ganz der alte Visionär, für den die Zukunft der Live-Elektronik gerade erst begonnen hat.