Ein Wochenende voller unerhörter Nachrichten, eine fantastischer als die andere. Erst spielen die Toten Hosen Schönberg, dann hören die Hosen-Fans eine Zwölftonkomposition an, sind darüber aus dem Häuschen und lassen die Düsseldorfer Tonhalle Kopf stehen. Womit die wichtigste Nachricht vom Tag davor schon wieder untergepflügt war: ein grandioser Klavierabend mit Udo Falkner, gewidmet der Musik von Georg Kröll und – Arnold Schönberg.
Wir wissen: wenn zwei dasselbe machen, ist es noch lang nicht dasselbe. Und in diesem Fall war es sogar Lichtjahre auseinander, obwohl hier wie dort tatsächlich anspruchsvoller Schönberg auf dem Programm stand. Bliebe die Frage, wie es möglich ist, im einen Fall den Hype auszulösen, an drei Tagen eine ganze Tonhalle zu füllen und im anderen Fall einmalig den kleinen Saal? Bestenfalls.
Sicher, auch wenn eine bekannte rheinische Punkrockband mittlerweile dreißig Jahre auf dem Buckel hat (was auch an den Fans nicht spurlos vorübergegangen ist) ein Komet sind sie geblieben, die Toten Hosen. Immer noch imposant ist der Schweif, den sie hinter sich herziehen, inklusive dieses wasserkopfartigen Band-Umgebungs-Personals, das vor den Toren eines ISS-Doms goldrichtig sein mag, vor denen eines Konzertsaals nur absurd wirkt. Muskelbepackte Türsteher, die Taschen filzen und grimmig dreinschauen. Zum Abhaken.
Zeichen ohne Wunder
Denn drinnen galt’s ja – nein, eigentlich nicht der Kunst. Zusammen mit dem Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule wollte man erklärtermaßen kein „technisch perfektes Konzert“ anstreben, sondern „über Grenzen hinweg ein Zeichen setzen“. Hintergrund: das 75-Jahr-Jubiläum der NS-Ausstellung „Entartete Musik“, die 1938 auf demselben Düsseldorfer Gelände am Ehrenhof den Auftakt zur Säuberung des Musiklebens gegeben hatte. Für Thomas Leander, als Prorektor der Robert-Schumann-Hochschule zuständig für „Künstlerische Praxis und Förderungswesen“, eine denkbar klare Ausgangslage: „Das ist ein Düsseldorfer Thema, das gehört nach Düsseldorf. Düsseldorfer Musiker müssen sich daran beteiligen. Und ich wollte eine Crossover-Veranstaltung mit einer Band, die sich mit diesem Thema identifizieren kann, weil sie sich ganz klar gegen Rechts positioniert.“
So kam es denn zu besagtem konzertaten „Zeichen“, zusammengesetzt aus (im weitesten Sinne) Klassik-Bausteinen und Hosen-Sound: Kalmans Gräfin Mariza, Filmmusik von Korngold, Weill-Evergreens und (unumstritten der mutigste Programmpunkt dieses Potpourris) Schönbergs dodekaphoner, auf zwei sechstönigen Reihenhälften beruhender „Survivor from Warsaw“ op. 46 mit Campino als narrator. Die Fans hielten den Atem an, derweil der Hosen-Frontmann reihenweise Endkonsonanten verschluckte und auch in diesem Fall der Permanent-Verstärkung bedurfte. Etwas neblig das Ganze. Als „Zeichen“ aber o.k.
Kleiner Saal, große Wirkung
Mehr als ein Zeichen ereignete sich tags zuvor im Kleinen Saal derselben Tonhalle. Die Beteiligten hier: der Kölner Komponist Georg Kröll und der Düsseldorfer Pianist Udo Falkner. Letzterer spielte neben selten zu hörenden Klavierstück-Fragmenten von Arnold Schönberg eine sich an Schönbergs Serialismus anlehnende Musik von eigenartiger Machart und Charakteristik. Entwickelt aus dem permutierten Material von Schönbergs Klavier-Suite op. 25 schreibt der Bernd Alois Zimmermann-Schüler Georg Kröll seit vielen Jahren kurze, im Minutenbereich liegende Miniaturen, ein „Tagebuch für Klavier“.
Dass diese klingenden Kurzgedichte im Konzert tatsächlich auch Assoziationen zu wecken imstande waren, dass sie (nach einer von Kröll geprägten Metapher) die Bilder in den Wolken seiner „Tagebuch“-Einträge lesbar machten – dafür sorgte allein die geistreiche Pianistik, mit der Udo Falkner seinem bis in die oberen Lagen klingend intonierendem Steinway alles entlockte, was der Gestaltwerdung diente. Eine immense Aufgabe, sind Krölls „Tagebuch“- Eintragungen doch reich an Anspielungen und Verweisen ebenso wie voller pianistischer Herausforderungen, verlangen hier ein extremly slow, dann ein Presto, berühren Außermusikalisches, sind im Gespräch mit Nachbarkünsten und bewegen sich im mozartgleich Zarten ebenso selbstverständlich wie im Repetierenden eines Strawinsky. Alles drin. Aber eben (so viel zur Differenz wie zum Triumph des Kleinen Saals) alles hörbar geworden. Ein Kunstereignis.