„Das Paradies ist überall!“, so lautete eigentlich das Motto, das vom Leitungsduo des IMPULS Festivals, Hans Rotman und Almut Fischer, für dessen sechsten Jahrgang ausgerufen war. Als Luther-Zitat passt ein solches Motto gewiss in die Reformations-Dekade, war aber damals schon nur theologisch zu verstehen; Bezüge zur Neuen Musik ließen sich jedoch in dem durchaus üppigen und sehr vielfältigen IMPULS-Angebot nur gelegentlich wahrnehmen.
Programmatischer Angelpunkt war eher das 100-Jahre-Jubiläum der Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, jenes 1913 erheblichen Anstoß erregenden Urgesteinsbrockens einer neuen Musikepoche, heute im Repertoirebestand aller entsprechend besetzten Orchester, die das großartig sperrige Werk inzwischen auch mit beträchtlich weniger als 100 Proben bewältigen und beim Publikum mehr Begeisterung als Skandal auslösen. So war es durchaus passend, im Rahmen dieses Festivals auf den runden Geburtstag des einstigen Schockers hinzuweisen – mit einer gelungenen Aufführung durch die Magdeburgische Philharmonie unter Ryusuke Numajiri wie auch durch eine geistvoll-witzige, mit Sacre-Anspielungen und Zitaten gespickte „Happy Birthday“-Paraphrase für gemischtes Kammerensemble von Maddy Aldis Evans, Oboistin der Anhaltischen Philharmonie, was im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt als Gruß aus Sachsen-Anhalt die Hörer entzückte.
Die spektakulärste Uraufführung des Festivals stand am Beginn des Magdeburger Konzerts und simultan des Konzerts der Anhaltischen Philharmonie Dessau unter ihrem GMD Antony Hermus, per On-Air-Liveschaltung miteinander verbunden und im Rundfunk live übertragen durch MDR sowie Deutschlandradio Kultur: „Diese So-Geliebte“, Beschwörung für Mezzosopran, Bariton, acht Schlagzeuger, zwei Orchestergruppen und zwei Dirigenten, nach Rainer Maria Rilkes „Orpheus.Eurydike.Hermes“. Der einer chinesischen Familie in den Philippinen entstammende, in Berlin ansässige Komponist Jeffrey Ching, dessen 2009 am Theater Erfurt uraufgeführte Oper „Das Waisenkind“ dort den Publikumspreis der Saison erhalten hatte, war in seinem Auftragswerk für IMPULS das künstlerische und zugleich technische Risiko eines Simultankonzertes eingegangen, um seine musikalische Darstellung des Mythos von Orpheus und Eurydike nach Rilke (aus Neue Gedichte, 1907) durch räumlich-klangliche Trennung sinnfällig werden zu lassen.
Allen Beteiligten, insbesondere den vorzüglichen Gesangssolisten Andión Fernández (in Magdeburg) und Peter Schöne (in Dessau), aber auch den speziell geforderten Tontechnikern, gelang miteinander die – trotz einiger Trübungen der Klangbalance am ersten Abend – eindrucksvolle Realisierung der komplexen Partitur. Das Publikum in beiden Elbe-Städten folgte dem 17-minütigen Werk aufmerksam und mit deutlicher Zustimmung.
Auch im sechsten Jahr enthielt das IMPULS Festival ein Jugendprojekt, zum Wagner-Jubiläum von der Theaterautorin Katharina Schlender mit Bezug auf den Siegfried-Mythos konzipiert und über Monate mit 20 Jugendlichen aus sechs Dessauer Sekundarschulen sowie Gymnasien einstudiert. Das Musiktheaterstück „Nicht tot zu kriegen – Ein Siegfriedlied“ wirft die Frage auf, „wofür ein Siegfried heute steht“; mit der Worten der Autorin steht er „für Unreife und Tatendrang, wobei ‚Unreife’ nie negativ besetzt ist, sondern eher das Unfertige ... in den Fokus rückt“. Künstlerisch und pädagogisch rundum kompetent geführt von Veit Güssow (Regie), Philip Barczewski (Musikalische Leitung) und Almut Fischer (Dramaturgie und Projektleitung), gelang eine über 75 Minuten durch präzise Ensembleleistung fesselnde Produktion, die im Dessauer Bauhaus dreimal zur Eröffnung des Festivals, danach in Halle und Magdeburg das generationsgemischte Publikum begeisterte. Christoph Reuter und Cristin Claas hatten die Musik geliefert, die, professionell von Mitgliedern der Anhaltischen Philharmonie ausgeführt, durchaus noch etwas kräftigere Würze und deutlichere Kontraste hätte vertragen können.
Was dieses Festival für Neue Musik ebenfalls auszeichnet, ist die regelmäßige Einbeziehung auch der kleineren Orchester des Landes in Halberstadt/Quedlinburg (Nordharzer Städtebundtheater), Wernigerode (Philharmonisches Kammerorchester) und in Schönebeck-Bad Salzelmen, wo die dort ansässige Mitteldeutsche Kammerphilharmonie in diesem Jahr einen geradezu Guinness-Buch-rekordverdächtigen Beitrag lieferte: 9 Uraufführungen je 5-7 Minuten knapper Auftragswerke, die Gerard Oskamp, neuer Chef des Kammerorchesters, an Komponisten aus Sachsen-Anhalt – Geburtsjahrgänge zwischen 1941 und 1984 – vergeben hatte und in einem „Marathon Neuer Musik“ mit dem 23-köpfigen Ensemble einem aufgeschlossenen Publikum präsentierte. Besonders positive Resonanz fanden Peter Petkow (*1950) mit „Marathon“, Alexander Trinko (*1955) mit seinem kammermusikalisch besetzten Lied ohne Worte „Halbgöttin“ sowie Thomas Buchholz (*1961), der in seiner dreisätzigen Suite „Gegen-Impuls“, ebenso wie Johannes Grosz (*1981) in „A5z-7y“, sämtliche Streicher solistisch fordert.
Der Gewinn dieses gewagten Abends lag auch in dem Befund, dass es unter den Neu(n)lingen keinen Versager gab und dass die sonst mit Neuer Musik sehr wenig bedachten kleinen Orchester (nicht nur Sachsen Anhalts!) auf diese Weise gleich mit einem ganzen Strauß frischen Repertoires beliefert werden. Diesem Angebot lassen sich auch „Luft und Feuer“ von Ehsan Mohagheghi Fard (UA in Wernigerode) und Caspar de Gelminis „Players Paradise“ (UA in Halberstadt/Quedlinburg) zuordnen, ebenso Peter Ruzickas „Aulodie“ für Oboe und Kammerorchester, bereits 2011 entstanden und nun bei IMPULS zu erleben in einer großartigen Aufführung mit Albrecht Mayer (Berliner Philharmoniker) und der Staatskapelle Halle unter Samy Moussa.
Aus allen diesen sowie weiteren, ganz unterschiedlichen Konzertereignissen, verteilt über den gesamten November in acht Städten Sachsen-Anhalts, dazu Leipzig und Berlin, ergab sich auch in diesem Jahr ein außerordentlich buntes Hörbild neuer wie neuerer Musik, auf hohem Niveau. Das macht schon jetzt neugierig auf den IMPULS-Jahrgang 2014.