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In Jan Müller-Wielands neuem Musiktheater „Die Irre oder Nächtlicher Fischfang“ geraten Mann und Frau oft heftig aneinander. Sie küssen und sie schlagen sich, haben sich aber wenig zu sagen. Foto: Thilo Beu/Theater Bonn
In Jan Müller-Wielands neuem Musiktheater „Die Irre oder Nächtlicher Fischfang“ geraten Mann und Frau oft heftig aneinander. Sie küssen und sie schlagen sich, haben sich aber wenig zu sagen. Foto: Thilo Beu/Theater Bonn
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Zerrüttet, sprachlos

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Eine neue Oper von Jan Müller-Wieland
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Das Bonner Beethovenfest belegt die Aktualität seines Namenspatrons nicht nur durch kompetente Interpretationen von dessen Werken, sondern auch durch neue Kompositionsaufträge an gegenwärtige Komponisten. Jan Müller-Wieland schrieb für dieses Jahr die Oper „Die Irre oder Nächtlicher Fischfang“, in einer „langen Nacht des Streichquartetts“ erklangen vier neue Werke französischer Komponisten, unter anderem von Philippe Fénelon, Christophe Bertrand und Alexandros Markeas.

Wenn das Beethoven wüsste. Das Bonner Fest in seinem Namen erteilt dem Komponisten Jan Müller-Wieland einen Musiktheaterauftrag, die Autorin und Dramaturgin Micaela von Marcard schreibt ein Libretto, das Theater Bonn organisiert die Uraufführung im Forum der Bundeskunsthalle, das Publikum steigert sich zum Schluss fast zu einem kleinen Jubel, als hätte es gerade „Fidelio“ erlebt. Ein Irrtum? Nicht ganz. Beethoven dachte an den Menschen, Müller-Wieland und seine Librettistin denken auch an den, besser: die Menschen. Allerdings mit weniger Utopie als der alte Bonner Meister.

Der konnte noch das Hohelied der Gattenliebe anstimmen, auch wenn schon bei ihm etliche Finsterlinge und Opportunisten die Szene bevölkerten. Bei Müller-Wieland gibt’s kein Hohelied, nur Gegenwart, Heute. Mann und Frau beginnen ein Gespräch. Die Frau sagt: „Ich. Ich. Ich“, und noch einmal: „Ich.“ Der Mann sagt: „Du“, und weiter: „Na…! Na…! …Na! Bitte? Na…? Bitte?“ Schließlich auch: „Ich liiii… dich!“ – Die Liiiiebe kriegt er nicht aus dem Mund. Sprachstörungen, Sprachlosigkeiten, Ausdrucksarmut sind das Kennzeichen unserer Tage. Statt an der Rechtschreibung herumzudoktern, sollte man den Menschen von heute lieber ein Vokabelheft verordnen, in das sie jeden Tag zehn ihnen unbekannte deutsche Wörter eintragen müssen, damit sich ihr aktiver Wortschatz und damit ihre Ausdrucksfähigkeit erhöht.

Müller-Wieland und seine Autorin sehen das sehr genau: Wie viele Probleme zwischen den Menschen, den Partnern, in Gesellschaft und im Privaten aus der wachsenden Zerrüttung der Sprache und der Sprachfähigkeit herrühren. Kommunikationsstörungen, Vereinsamung, Flucht in die Gewalt, sei es in der Gruppe oder zu zweit. Das alles kann natürlich auch nicht ohne Auswirkungen auf Liebe und Sex bleiben. Erosionen auch hier. In drei Dutzend knappen Szenen, von kurzen Spotlights unterteilt, zieht der seelenseismografische Zustandsbericht über Leute von heute in knapp eineinhalb Stunden vorüber. Pascal meinte noch, dass in der Liebe Schweigen mehr sage als Worte, dass es eine Beredtheit des Schweigens gäbe, die „mehr sagt, als tausend Worte vermögen“. So schweigen die Figuren hier nicht, und wenn sie reden, dann hört sich das an, wie wenn sich unser Hausnachbar mit seinem türkischen Schwarzarbeiter unterhält: „Steine, wachsen nach oben, sind so schwer. Du plemplem.“

Müller-Wielands assoziative Phantasie arbeitet auch hier wieder auf Hochtouren. Thomas Schüttes Popanz-Figurinen, ein Gedicht Silja Walters, das „Die Irre“ heißt, Goethes Gedicht „Der Fischer“, Picassos Bild vom „Nächtlichen Fischfang bei Antibes“, Schuberts „Winterreise“, Taboris „Hund und Herr“, Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“, Wagners „Walkürenritt“, das Bim und Bam aus Mahlers Dritter, das sich mit einem kleinen Sechzehntelmotiv auf die Silben Di, Del, Du und Del zu Dideldudelbimbambimbambimbam verwandelt. Aber Müller-Wieland komponiert das alles nicht als Zitat, es wirkt vielmehr wie eingewirkt in eine Partitur, die äußerst reizvoll in oft fein hingetupften Klängen, beredten instrumentalen Klangfiguren, erregten und vorantreibenden rhythmischen Sequenzen mit den szenischen Aktionen korrespondiert. Das Ensemble für neue Musik „musikfabrik“ unter der Leitung von Wolfgang Lischke realisierte die Klangpartitur mit hörbarer Sensibilität und, wenn erforderlich, dramatischem Impuls.
Wenn die Uraufführung trotz allem Gesagten insgesamt einen leicht flächigen Eindruck hinterließ, lag das sicher auch an der Inszenierung durch Werner Schroeter. Müller-Wielands Musik besitzt die Tendenz zum Kommentar, sie „spricht“ oft pointiert, ironisch, zynisch und dann auch wieder leichthin aus, wie der Komponist unsere „Welt“ sieht. Das wirkt fast immer böser, gemeiner, aggressiver als ergrimmte Kritik an den allgemeinen Zuständen. Werner Schroeter erkennt in der Libretto-Vorlage allerdings nur, wie er sagt, „eine unglaubliche Verteufelung einer möglichen Wirklichkeit“.

Was aber heißt in diesem Zusammenhang „möglich“? Es ist doch die Realität, die sich in diesem Stück seismografisch abbildet. So bleibt die Inszenierung zwischen den steilen schwarzen Schrägwänden links und rechts der weitgehend freien Spielfläche (inklusive symbolhafter Wasserplansch-Lache) insgesamt zu bedeutungs- und erdenschwer – so bemerkenswert engagiert sich auch die Spieler/-innen in die gesellschaftlichen Situationen unseres allgemeinen Missvergnügens hineinzusteigern versuchen.

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