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Zeuge potenziell großer Karrieren

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Zum internationalen Klavierwettbewerb im spanischen Santander
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Der Atlantik schlägt in türkisfarbenen Wellen an die iberische Küste. Sonne, leichter Wind, angenehme 27 Grad. Hier liegt Santander, die idyllische Hafenstadt im grünen Norden Spaniens. Und genau hier findet er statt, einer der größten internationalen Klavierwettbewerbe: der „Concurso Internacional de Piano de Santander – Paloma O’Shea.

Seit fünfzehn Jahren gibt es ihn nun, und wenn auch seine Bekanntheit vielleicht nicht ganz an die legendären Talentbörsen in Warschau, Moskau oder Wien heranreicht, so zählt er zweifellos zu den bedeutendsten und anspruchsvollsten Wettbewerben auf internationaler Ebene. Alle zwei beziehungsweise drei Jahre kommt in der kleinen Metropole der großen Kunst eine exquisite Experten-Kommission zusammen, um den besten unter den besten Nachwuchspianisten zu küren und seinen Weg in die Zukunft mit Ehre, Ansehen und Geld zu ebnen. Die zwölfköpfige Jury besteht seit Anbeginn des Wettbewerbs in nahezu unveränderter Konstellation und versammelt wahre Heroen des Musiklebens an einem Tisch. Neben bedeutenden Pianisten wie zum Beispiel dem Ungarn Peter Frankl, dem Italiener Bruno Canino, und der Russin Eliso Virsaladze, entscheiden auch namhafte Dirgenten wie der Finne Ralph Gothoni und der Franzose Philippe Entremont darüber, wer in Santander eine Medaille erringt.

In diesem Jahr sind das der Italiener Alberto Nosé, der deutsche Pianist Herbert Schuch und die Chinesin Jie Chen. Drei Ausnahmebegabungen, deren Erfolg in Santander eine wertvolle Starthilfe auf dem so ungewissen und schwierigen Weg ins Solistenleben sein kann.
Denn der Paloma O’Shea Wettbewerb zählt mit zu den härtesten Herausforderungen, denen sich junge Pianisten stellen können, um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Aus über 200 Bewerbern im Vorfeld, haben sich lediglich 19 für den eigentlichen Wettbewerb qualifiziert. 19 Kandidaten, die sich das mit so viel Hoffnungen verbundene Ticket nach Spanien erspielt haben, die Eintrittskarte, für einen zweiwöchigen Kampf gegen hervorragende Konkurrenten, gegen Lampenfieber und Erwartungsdruck. In drei großen, nochmals unterteilten Qualifikationsdurchgängen wird jede Facette ihrer pianistischen Fähigkeiten ausgeleuchtet. Die erste Phase beinhaltet den Vortrag frei wählbarer Solowerke der Klassik, Romantik oder der Moderne. Annähernd eine Stunde Zeit hat der Kandidat, um die Jury von seiner Darbietung zu überzeugen und mit maximal elf weiteren Teilnehmern in die nächste Runde gewählt zu werden. In die Kammermusikrunde. Zusammen mit dem renommierten Ysaye-Quartett interpretieren die jungen Pianisten eines der fünf vorgegebenen großen Werke der Literatur, wie zum Beispiel das Es-Dur-Quintett, op. 44 von Robert Schumann oder das Klavierquintett op. 34 von Johannes Brahms. Es ist ein Phänomen des Wettbewerbs, dass die Anspannung und die Freude am gemeinsamen Musizieren sich die Waage halten. Nicht zuletzt auch ein Verdienst des über alle Maßen interessierten spanischen Publikums. In den Wochen dieses kulturellen Wettkampfs auf höchstem Niveau, hält ganz Santander den Atem an, strömt in den monumentalen Festivalpalast und begleitet die Kandidaten. Applaudiert, fiebert mit und ist Zeuge der potentiell großen Karrieren, die hier ihren Anfang nehmen. Das Medieninteresse an der Hochkultur ist so groß, wie andernorts an Sport oder Politik.

Dann ist das Semifinale erreicht. Sechs Kandidaten haben es geschafft, haben sich ein Preisgeld und Anerkennung gesichert und dürfen nun mit der Sinfonia Varsovia unter der Leitung von Péter Csaba eines der zur Auswahl stehenden sieben Mozartkonzerte spielen. Mozart entscheidet über die Endrunde und hat nun Alberto Nosé, Herbert Schuch und Jie Chen ins Finale getragen. Die letzte große Herausforderung steht bevor, das Abschlusskonzert mit dem Orquesta Sinfónica de Madrid unter Jesús López Cobos. Die letzte Chance, Jury und Publikum für sich zu gewinnen. Die letzte Möglichkeit noch einmal Einfluss zu nehmen auf das Ergebnis, das dem Gewinner neben der Goldmedaille und internationalem Renommee, eine CD-Aufnahme, Konzerte in den bedeutensten Sälen auf der ganzen Welt, 30.000 Euro und einen Konzertflügel.

Es ist soweit: Vor ausverkauftem Haus treten sie auf. Jie Chen und Alberto Nosé haben sich beide für das 2. Klavierkonzert c-moll op.18 von Sergei Rachmaninoff entscheiden, Herbert Schuch für Beethovens 5. in Es-Dur op. 73.

Sie spielen, sie kämpfen, sie geben alles und Santander hört zu. Der nächste Abend ist der Abend der Siegerehrung, der Abend der Entscheidung. Aus den Lautsprechern hallt der Name des 25-jährigen Italieners. Er hat die Goldmedaille und den Publikumspreis gewonnen. Alberto Nosé strahlt vor Glück. Bescheiden und erschöpft nimmt er die Gratulationen und Ehrungen entgegen, die für seine Zukunft so viel bedeuten können. Die Silbermedaille, 20.000 Euro und ebenfalls eine Reihe wichtiger Konzertverpflichtungen gehen an den Deutschen, den bereits sehr erfolgreichen Herbert Schuch, die 19-jährige Jie Chen erhält den mit 10.000 Euro dotierten dritten Preis.

Es ist vorbei, Santander atmet durch und mit den Wellen des Atlantiks ebbt auch die Aufregung wieder ab. Der 15. Concurso Internacional de Piano de Santander 2005 – ein fairer Wettbewerb, ein schöner Wettbewerb. Ein Kräftemessen hochtalentierter Kandidaten, deren Niveau, laut Jury, deutlich über dem der Teilnehmer des letzten Mals lag, wo kein erster Preis vergeben wurde. Dennoch, Medaille oder nicht, welcher der hoffnungsvollen Nachwuchspianisten sich tatsächlich etablieren kann, bleibt der Zukunft überlassen. Der Paloma O’Shea Wettbewerb kann im internationalen Existenzkampf nicht mehr als eine Starthilfe sein. Geblieben aber ist die Erkenntnis, dass eine junge Generation von Pianisten heranwächst, deren Können und Niveau neue Maßstäbe setzt.

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